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Flüchtlinge in Europa
Asylcenter außerhalb der EU

Um Schleusern zuvorzukommen, müsste es zum Beispiel Asylcenter in Transitländern geben, sagte der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt. Allerdings dürfe nicht verkannt werden: "Es werden danach immer noch Menschen versuchen, über Schleuser in die Bundesrepublik Deutschland oder nach Europa zu kommen."

Manfred Schmidt im Gespräch mit Christine Heuer |
    Manfred Schmidt, der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, vor der rstaufnahme-Einrichtung Siegen-Wittgenstein.
    Manfred Schmidt, der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. (picture alliance / dpa / Bernd Thissen)
    Ein solches Center würde für deutsche Behörden Entlastung bringen. Allerdings müssten dann Mitarbeiter des Bundesamtes oder andere in den Transitländern vor Ort sein. Auch das sei eine Ressourcenfrage, aber eben in Transitländern außerhalb der EU.
    Für die Prüfung von Asylverfahren gebe es in Deutschland zu wenig Stellen, so Schmidt. Doch nun würden mehr Stellen aufgebaut und 20 neue Dienststellen eingerichtet. "Und das ist für die Beschleunigung von Verfahren ein ganz wesentlicher Punkt."

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Am Telefon begrüße ich Manfred Schmidt, Präsident beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, guten Morgen!
    Manfred Schmidt: Guten Morgen!
    Heuer: Das waren jetzt, Herr Schmidt, in dem Beitrag von unserer Kollegin aus Brüssel viele, viele Zahlen, ich greif mal zwei raus: Norwegen und Schweiz, die brauchen für die Prüfung eines Asylantrags mittlerweile 48 Stunden, Deutschland immer noch gut fünf Monate. Was machen wir falsch?
    Schmidt: Na ja, jetzt müssen wir uns mal die Schweiz anschauen. In der Schweiz wird ein Verfahren erprobt mit 1.300 Flüchtlingen, 40 Prozent von den Flüchtlingen, die in der Schweiz in dem Testverfahren sind, sind aus dem Verfahren rausgenommen worden, weil die Verfahren länger als neun Monate dauern. Also bei 1.300 Flüchtlingen in einem Probeverfahren, 48 Stunden, das können wir in der Bundesrepublik Deutschland auch. Wir haben das beim Kosovo gemacht, innerhalb von 59 Tagen über 15.000 Entscheidungen getroffen. Also das System Schweiz ist auf die Bundesrepublik Deutschland so nicht übertragbar, weil es im Prinzip nur ein Probeverfahren im Moment ist.
    Heuer: Ja, die Schweizer haben es sich bei den Norwegern abgeschaut, da funktioniert es auch in 48 Stunden.
    Stellen werden aufgestockt
    Schmidt: Ja, jetzt müssen wir uns aber auch mal die Zahlen uns anschauen, die wir haben. Wenn wir allein mal auf den Bereich Mai schauen, weil da haben in der Tat die Zahlen von der internationalen ... Wir haben allein im Mai 25.900 Verfahren gehabt, Schweden zum Beispiel nur 5.300, also das sind auch andere Zahlen, die wir haben. Und wir haben natürlich auch eine andere Entscheiderzahl.
    Heuer: Das heißt, Sie haben zu wenig Stellen?
    Schmidt: Wir haben zu wenig Stellen, die haben wir jetzt aber auch aufgebaut, in den letzten zwölf Monaten allein 650 neue Kollegen, und bis zum Jahresende werden wir noch mal an die 1.000 Mitarbeiter bekommen und dazu auch noch über 20 neue Dienststellen. Und das ist für die Verfahrensdauer, für die Beschleunigung von Verfahren ein ganz wesentlich Punkt, das Konzentrierte, in die Landeserstaufnahmeeinrichtungen, mit den Kollegen der Länder, mit den Kollegen des Bundesamt schnelle Verfahren zu erreichen.
    Heuer: Die Bundesregierung strengt sich da an, reicht das aus, was die Ihnen jetzt zugesagt haben, oder wollen Sie eigentlich noch ein bisschen mehr?
    Schmidt: Wir werden ja im nächsten Jahr auch noch mal bis zu 1.000 neue Dienststellen bekommen, 2016/2017 werden wir über 58 Dienststellen im Bundesgebiet haben, wir werden in diesem Jahr 20 neue Landeserstaufnahmeeinrichtungen haben. Das setzt sich im nächsten Jahr noch mal fort, aber es ist natürlich davon abhängig, wie viel Zugänge wir in unseren Asylverfahren haben werden. Das prognostizieren wir in diesem Jahr mit 800.000, und nun müssen wir schauen, wie wir auch mit den unterschiedlichen Herkunftsländern umgehen, weil das ist auch sehr entscheidend für die Beschleunigung von Verfahren.
    Identitätsüberprüfung und Sicherheitsüberprüfung bleiben
    Heuer: Ja, genau, da gibt's ja immer diese Idee, man unterscheidet zwischen Kriegsflüchtlingen, man kann auch sagen Vertriebenen, wie Syrern, und dann Menschen, die wegen einer besseren wirtschaftlichen Perspektive nach Deutschland kommen. Die Grünen, Herr Schmidt, die schlagen ja jetzt vor, die Syrer ganz von den Asylanträgen auszunehmen, weil ja ganz klar ist, dass die Fluchtgründe haben. Können Sie dieser Idee etwas abgewinnen?
    Schmidt: Die Idee haben wir natürlich auch diskutiert, ob wir tatsächlich syrische Flüchtlinge aus dem Asylverfahren herausnehmen. Wir sehen da aber keine Verfahrensbeschleunigung, denn das, was wir auf jeden Fall machen müssen, das ist in der Tat eine Identitätsüberprüfung und auch eine Sicherheitsüberprüfung. Auf die können wir nicht verzichten, auf die können wir auch nicht verzichten, wenn wir Flüchtlinge aus Syrien aus dem Verfahren herausnehmen würden. Das Zweite: Damit schließe ich ja auch nicht aus, dass syrische Flüchtlinge danach auch noch mal einen Asylantrag stellen können, denn es kommt ja sehr auf die Rechtsfolgen an. Syrische Flüchtlinge, die bei uns Flüchtlingsschutz bekommen, haben eben auch die Möglichkeit des Familiennachzugs. Sie haben einen Aufenthaltstitel, der über drei Jahre geht und dann in einen dauerhaften Aufenthaltstitel übergeführt wird. Die Idee, die die Grünen im Moment diskutieren – die kommen zwar aus der Bürgerkriegssituation des Ex-Jugoslawiens, wobei dort die Bürgerkriegsflüchtlinge nur eine Duldung hatten –, ist eine ganz andere Rechtsfolge, deswegen sehen wir bei der Herausnahme keine wirkliche Beschleunigung.
    Heuer: Eine wirkliche Beschleunigung gibt es aber offenbar auch nicht, wenn man Westbalkanländer … Albanien, Kosovo, Montenegro, da fordern Sie, dass die jetzt eben auch noch als sichere Herkunftsländer eingestuft werden, da spart man ganze zehn Minuten Zeit im Asylverfahren, das ist doch nur Kosmetik.
    Konsequenterer Vollzug der Entscheidungen nötig
    Schmidt: Also wir haben bei dem Westbalkan, um nur noch mal die Zahlen deutlich zu machen, wir haben aus dem Bereich Syrien, über den wir diskutieren, im Moment etwa 52.000 Anträge im Bundesamt, aus dem Westbalkan insgesamt etwa 107.000, also irgendwie ist ja das Gefüge durcheinandergeraten. Bei den sicheren Herkunftsländern, da haben wir in der Tat einmal eine Verlangsamung der Zugänge, wir haben bei Serbien einen Rückgang. Was wir aber noch konsequenter machen müssen, ist, dass wir dieses Signal auf sichere Herkunftsländer in die Herkunftsländer zurückspielen, und das geht nur mit einem konsequenten Vollzug auch der Entscheidungen. Ich glaube, wir haben alle geglaubt, wir titulieren die Länder als sichere Herkunftsländer, ohne dass wir tatsächlich auch das, was damit zusammenhängt, nämlich es gibt hier keinen Schutz über Asyl- und Flüchtlingsverfahren, dass wir die nicht konsequent auch in den Ländern umgesetzt haben durch konsequente Rückführung. Ich glaube, da müssen wir noch schneller werden.
    Heuer: Herr Schmidt, aber wenn Sie das konsequent weiterdenken, dann müssten Sie eigentlich sagen, die Menschen, die vom Balkan kommen, die sollten überhaupt nicht in ein Asylverfahren, für die müsste es ein Einwanderungsgesetz geben.
    Schmidt: Wir müssen schauen, das wird ja auch diskutiert, dass wir, wenn wir uns den Bereich Kosovo anschauen, Albanien anschauen, dass wir da auch Möglichkeiten schaffen eines legalen Zugangs in die Bundesrepublik Deutschland.
    Heuer: Also Sie wären dafür, dass man da sagt, dann machen wir ein Gesetz und eine Quote und diese Leute können kommen, ohne Asyl zu beantragen?
    Für Albaner ist das Asylverfahren das falsche Verfahren
    Schmidt: Das ist zumindest eine der Forderungen, und ich glaube, dass diese auch uns entlasten würde eben im Bereich des Asylverfahrens. Denn es macht ja überhaupt keinen Sinn, wenn Menschen hierher kommen und sie haben eine Schutzquote von 0,1, 0,2 Prozent und diese Menschen dann in einem falschen Verfahren hier das, was sie eigentlich wollen, was sie eigentlich beabsichtigen, gar nicht realisieren können und dann auch noch Schleppern auf den Leim gehen. Wir haben ja oftmals Albaner zum Beispiel hier im Bundesgebiet, die haben einen gefälschten Arbeitsvertrag, die wissen in unseren Verfahren gar nicht, was wir von ihnen eigentlich wollen, denn ihnen ist erzählt worden, ihr habt ja hier einen Arbeitsvertrag, geht in die Bundesrepublik Deutschland, sagt dort Asyl, und dann könnt ihr nach drei Monaten, fünf Monaten auf den Arbeitsmarkt. Und dann schauen wir uns die Arbeitsverträge an und stellen fest, dass es den Arbeitgeber gar nicht gibt. Dazu braucht man andere Lösungen. Der Flüchtlingsschutz, das Asylverfahren ist hier das komplett falsche Verfahren.
    Heuer: Sie haben die Schlepper angesprochen, wir haben jetzt diese Woche gerade diese Tragödie in Österreich erlebt mit 71 Toten in einem liegen gelassenen Lkw, nun schlägt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den Europäern vor, er fordert eigentlich auch von ihnen, sichere und legale Einreisemöglichkeiten für Bürgerkriegsflüchtlinge zu schaffen. Sind Sie dafür?
    Schmidt: Das haben wir ja auch schon diskutiert, das hat ja Minister de Maizière auch in Brüssel schon vorgetragen. Ich glaube, wenn wir vor die Schleuser kommen wollen, dann müssen wir zum Beispiel Aufnahmecenter in den Transitländern haben. Dort macht es Sinn, darüber zu entscheiden, gibt es hier dort Flüchtlinge über die Genfer Flüchtlingskonvention, und wenn wir das dort entscheiden, dann gibt es dann auch den legalen Weg in die Bundesrepublik Deutschland oder nach Europa. Wir dürfen aber auch, glaube ich, nicht verkennen, es werden danach immer noch Menschen versuchen, dann über Schleuser in die Bundesrepublik Deutschland oder dann nach Europa zu kommen. Das ist keine 100-Prozent-Lösung.
    Alle europäischen Länder brauchen eine Lösung
    Heuer: Aber wenn man so etwas durchsetzen würde, dann würden auch die deutschen Behörden, würden Sie auch entlastet werden.
    Schmidt: Dann würden wir auch entlastet werden, selbstverständlich, wir würden dann allerdings auch mit Mitarbeitern des Bundesamtes oder anderen europäischen Organisationen und Institutionen natürlich dann auch in den Transitländern da sein. Also das ist auch wieder dann eine Ressourcenfrage, aber dann eben nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in Aufnahmecentern in Transitländern außerhalb der EU.
    Heuer: Kurz zum Schluss, Herr Schmidt: Irgendjemand müsste einen solchen Plan ja durchsetzen. In Europa scheren ja viele aus und machen gar nicht mit. Für wie realistisch halten Sie, dass man zu so einer Lösung kommt?
    Schmidt: Ich glaube, dass die Lösung am Ende doch realistisch ist, weil auch die anderen Mitgliedsstaaten können sich aus der Solidarität nicht verabschieden. Die Bundeskanzlerin hat ja sehr deutlich gesagt, dass auch die Flüchtlingspolitik auch hier in Europa eine Frage ist, was hält Europa eigentlich zusammen. Und der Druck wird – wie wir ja aus Syrien, Irak, Afghanistan sehen – wird steigen. Und insofern brauchen alle europäischen Länder eine Lösung.
    Heuer: Manfred Schmidt, Präsident beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Herr Schmidt, vielen Dank für das Gespräch, und dass Sie sich am Samstagmorgen die Zeit genommen haben, dafür natürlich sowieso danke schön!
    Schmidt: Herzlichen Dank, danke! Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.