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Flüchtlinge in Griechenland
Familienzusammenführung lässt auf sich warten

Tausende Flüchtlinge sitzen in Griechenland fest. Viele von ihnen müssen getrennt von ihren Angehörigen ausharren und warten auf eine Ausreise im Rahmen der Familienzusammenführung. Doch sie werden immer nur vertröstet, hänge in einer Warteschleife. Helfer sehen eine Mitschuld bei der Bundesregierung.

Von Michael Lehmann | 18.07.2017
    Ein Flüchtlingscamp auf Lesbos in Griechenland
    Ein Flüchtlingslager auf Lesbos. "Griechenland ist zum Aufbewahrungsstaat geworden. Und es gibt für diese Warteschleife keine Programme. Keine Aussichten. Auch wenig Informationen. " (dpa / Orestis Panagiotou)
    Sprachunterricht in Thessaloniki bei der Flüchtlingshilfe von "Naomi". Fatima aus Syrien sitzt mit leuchtenden Augen im kleinen engen Klassenzimmer und bekommt Lob von ihren beiden Lehrerinnen. Denn sie hat schon viel gelernt:
    "Ich heiße Fatima Achmad, ich komme aus Syrien. Ich wohne in Thessaloniki. Ich denke, ich möchte nach Deutschland gehen. Ich möchte meinen Sohn sehen. Und, maybe, das ist not richtig. Aber ich versuche".
    Und wie sie versucht, möglichst schnell noch besser Deutsch zu lernen. Die fünffache Mutter hofft, mit dem in Griechenland festsitzenden Teil ihrer Familie bald weiterreisen zu dürfen nach Frankfurt. Dort ist ihr Sohn inzwischen 14 geworden, der Sohn, den sie vorgeschickt hatten, als es über die Balkanroute noch schnell nach Deutschland ging.
    Weniger Familienzusammenführungen
    Menschlich gesehen hat diese Frau ein Anrecht auf rasche Familienzusammenführung. Doch was bisher nicht offiziell bestätigt wird aus dem Bundesinnenministerium in Berlin, wirkt sich in den Aufnahmelagern in Griechenland für zigtausende Flüchtlinge ähnlich bitter aus: Die Verantwortlichen nicht nur in Berlin, sondern auch im Migrationsministerium in Athen haben bei der Familienzusammenführung kräftig auf die Bremse gedrückt.
    Das Bundesinnenministerium bestätigt auf Nachfrage einen starken Rückgang der Fallzahlen.
    Dorothee Vakaris, die ehemalige Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde in Thessaloniki, versucht in ihrer Hilfsorganisation "Naomi" das schlimmste Leid zu lindern:
    "Griechenland ist zum Aufbewahrungsstaat geworden. Und es gibt für diese Warteschleife keine Programme. Keine Aussichten. Auch wenig Informationen. Die Menschen wissen nicht: Wann werden sie jetzt weiterreisen können. Wann werden die Familien wieder vereinigt sein, die über viele Monate oder manchmal auch Jahre getrennt sind."
    Sprachunterricht in Thessaloniki bei der Flüchtlingshilfe von "Naomi"
    Sprachunterricht in Thessaloniki bei der Flüchtlingshilfe von "Naomi" (ARD/Michael Lehmann)
    Fatima aus Syrien mag Deutschland nicht die Schuld geben für ihre quälend lange Wartezeit. Sie möchte einfach nur dorthin. Dort sei vieles besser, ist sie sicher. Ihr Sohn habe jetzt in Deutschland lange genug alleine bei einer anderen Familie klar kommen müssen ohne seine Mutter:
    "Er braucht mich jetzt, nach den zwei Jahren allein. Ich vermisse ihn sehr. Eigentlich könnte ich ständig losheulen, auch wenn ich mal mit ihm am Telefon spreche. Aber ich muss stark bleiben. Immer. Das muss ich als Mutter tun. Ich muss ihn auch auf diese Distanz beschützen. Wenn ich meine Kraft verliere, verliere ich meine Familie."
    Unnötiges Warten auf eine humanitäre Lösung
    Nicht alle Flüchtlinge, die seit langem auf Familienzusammenführung warten, gehen damit so geduldig und stark um wie Fatima. Dorothee Vakaris sagt, es sei ein Skandal, dass Deutschland als reiches Land diesen einigen tausend in Griechenland wartenden Menschen nicht schnell eine humanitäre Lösung anbietet:
    "Dieses Ausgeliefertsein ist für die Menschen sehr schwer zu ertragen. Und ich denke es gibt nicht die Strukturen, die Menschen in dieser Situation wirklich begleiten und auffangen zu können. Es gibt viel zu wenig Sozialarbeiter, es gibt viel zu wenig Juristen, auch die solche Verfahren intensiv begleiten könnten".
    Die vielen ehrenamtlichen Helfer, die in Griechenland versuchen, Flüchtlinge möglichst gut zu begleiten, sind deshalb auch immer wieder überfordert - und viele inzwischen auch frustriert. Mit Schuld, meint die ehemalige evangelische Pfarrerin in Thessaloniki, sei die deutsche Bundesregierung, die ganz bewusst auf eine humanitäre Geste, auf schnelle Familienzusammenführung im Moment verzichte:
    "Ich habe den Eindruck, dass das politisch einfach nur benutzt worden ist, um vor den Wahlen jetzt bestimmte Bevölkerungsgruppen weiterhin zu beruhigen".