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Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern
Gekommen, um weiterzuziehen

Am Sonntag wird in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt. Der Wahlkampf ist vom Thema Flüchtlinge bestimmt - obwohl die meisten Geflüchteten nach ihrer Anerkennung lieber weiterziehen, weil sie keine Arbeit finden oder Angst vor Fremdenhass haben.

Von Daniel Heinrich |
    Der Schriftzug "Wir schaffen das nie" steht an einem Bauzaun der neuen Bundesstraße B96 bei Rambin (Mecklenburg-Vorpommern) auf der Insel Rügen, die zum Wahlkreis von Bundeskanzlerin Merkel gehört.
    "Wir schaffen das nie" steht an einem Bauzaun bei Rambin (Mecklenburg-Vorpommern) - Merkels Äußerung hat in dem Bundeslang für viel Unverständnis gesorgt. (dpa-Zentralbild / Stefan Sauer)
    Kinder toben, Ehrenamtler werkeln, jemand kocht Kaffee, alles schreit durcheinander. Es ist es gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten. Claus Oellerking hat den Überblick. Braungebrannt, kurzes Polo, kurze Haare, wache Augen, runde Brille. Seit 2015 engagiert er sich in der Flüchtlingshilfe.
    "Begegnung. Das zentrale Element, was in den Welcome-Cafés in Schwerin und somit auch im Bunten Q stattfindet, ist die Möglichkeit zur Begegnung. Wir haben vor einem Jahr überlegt, was wir tun können für Flüchtlinge, was die brauchen. Und außer, dass sie Kleidung und Schuhe brauchen, brauchen sie Ansprechpartner - und das bieten wir ihnen in den Welcome-Cafés in der Stadt und somit auch im Bunten Q."
    "Sie hassen den Islam"
    Nader Ali ist eine von denen, die regelmäßig vorbeikommen. Das Gesicht dezent geschminkt, die Augenbrauen akkurat gezupft, das dunkle Kopftuch perfekt zum Rest der Kleidung abgestimmt. Die 42-Jährige hat in Damaskus Mathematik unterrichtet - bei den Vereinten Nationen, wie sie betont. Jetzt also Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin. Im Bunten Q fühlt sie sich wohl.
    "Die Leute hier sind sehr nett. Sie bringen uns Ausländern ganz viel Liebe entgegen. Wenn ich auf die Straße gehe, erlebe ich das anders. Viele Leute mögen keine Ausländer, vor allem nicht, wenn man arabisch aussieht, ein Kopftuch trägt. Sie hassen den Islam."
    Kritik am "Wir schaffen das"
    Ein einziger Blick auf die Wahlplakate in Schwerin, im ganzen Land gibt Aufschluss darüber, was Nader Ali andeutet. Die AfD warnt vor "Asylchaos", die NPD sowieso. Auch der SPD-Ministerpräsident, auch Erwin Sellering kommt nicht herum um das Thema dieser Wahl. Randbezirk: Weite Alleen, Plattenbauten, AfD-Wahlplakate. Auftritt Wahlkämpfer Sellering:
    "Die letzten Umfragen zeigen ja, dass sich um die 20 Prozent vorstellen können, die AfD zu wählen. Ich finde, dass das ein wirkliches Alarmzeichen ist. Ich habe eben mit einer Bürgerin gesprochen, die gesagt hat: Machen wir uns doch nichts vor. Es geht um die Flüchtlinge dabei. Ich fürchte, dass das wahr ist. Viele Menschen haben den Eindruck gehabt, da ist 'jemand' relativ leichtfertig damit umgegangen und hat gesagt: 'Wir können das nicht begrenzen, die Menschen sollen unbegrenzt kommen.' Damit wurde der Eindruck erweckt, dass das alles ganz einfach ist. Ich glaube, dass das nicht klug war."
    Angst vor den Menschen
    Angela Merkels "Wir-schaffen-das" hat für viel Unverständnis gesorgt bei den Politikern in Mecklenburg-Vorpommern. Aber auch bei den Bürgern. Auch Nader Ali bekommt die negative Stimmung zu spüren.
    "Ich habe einfach Angst vor den Leuten hier. Ich weiß nicht, warum das meinen Kindern und mir so passiert."
    Langfristig will sie nicht in Mecklenburg-Vorpommern bleiben. Damit ist sie bei Weitem nicht alleine. Seit dem vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Flüchtlinge im Land halbiert. Steffen Schoon arbeitet für die Landeszentrale für Politische Bildung:
    "Es gibt eine hohe Schwundquote. Wir vermuten, dass ganz viele Flüchtlinge, deren Verfahren vielleicht schon abgeschlossen ist, die registriert sind, doch eher in die Großstädte ziehen - nach Berlin, nach Hamburg. Ich vermute, dass die Vorstellung, die Chance, sich integrieren zu können, über beispielsweise Arbeit und so weiter, in den Großstädten als höher erachtet wird als bei uns."
    11.000 Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern
    In Schwerin - im bunten Q ist es spät geworden an diesem Nachmittag. Die Kinder sind weg, der Kaffee auch. Auch Claus Oellerking muss jetzt los. Eines will er jedoch noch loswerden. Er wirft einen Blick zurück in die Jahre nach dem Zeiten Weltkrieg.
    "Wenn sie mit älteren Leuten sprechen, die Flucht erlebt haben, die wirkliche Armut erlebt haben, die haben viel mehr Verständnis und ein offenes Herz für diejenigen, die jetzt kommen und in Not sind."
    In den Jahren nach 1945 kamen über eine Million Flüchtlinge in das, was heute Mecklenburg-Vorpommern ist. Das entsprach in etwa der Zahl der Einwohner. Derzeit leben 11.000 Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern. Bei einer Bevölkerung von 1,6 Millionen entspricht das in etwa einem halben Prozent der Bevölkerung.