Ein gewöhnlicher Dienstag, 16 Uhr: Zur Nachmittagsmesse in der syrisch-orthodoxen Kirche Sankt Afrem sind vor allem alte Männer und Frauen gekommen, ein paar Mütter mit ihren Kindern. Vorne im Altarraum ein Frauen- und ein Männerchor, die abwechselnd singen.
6.500 Mitglieder hat diese Gemeinde, es gibt in Södertälje noch drei weitere Kirchen für aramäische und assyrische Christen - an Sonntagen müssen inzwischen mehrere Messen abgehalten werden, weil die Gottesräume sonst aus allen Nähten platzen. Denn mit jedem Krieg oder Konflikt im Nahen und Mittleren Osten wächst die aramäisch-sprachige Community.
"There is no surprise that people are coming to Södertälje."
Johan Ward. Soziologe, Statistiker und Berater in Sachen Integration bei der Kommune Södertälje.
"Es gibt hier zwei assyrische Fußballteams, es gibt Fernsehsender, du kannst sehr gut zurechtkommen mit Arabisch - es ist also kein Wunder, dass so viele Flüchtlinge hierherkommen."
Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot
Johan Ward trägt Zahlen zusammen: etwa 7.000 Neuankömmlinge aus dem Irak seit 2003. Im vergangenen Jahr hat die kleine Stadt 2.000 Menschen aufgenommen, 15 Prozent aller syrischen Flüchtlinge, die nach Schweden kamen. Fast ebenso viele wie das zehnmal so große Stockholm. Seine Zahlen sind die Grundlage, um Lösungen für die wachsenden Probleme zu entwickeln: Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot stehen an erster Stelle.
"Die Kommune hat bereits im Jahr 2008 vorgeschlagen, festzulegen, wie viele Menschen höchstens in einer Wohnung wohnen dürfen. Doch wir hatten bisher keinen Erfolg damit. Und sogar innerhalb der assyrischen Gemeinde gibt es inzwischen Vorbehalte, sie fürchten, dass die Stadt auseinanderbricht, weil es immer schwieriger wird, die Neuankömmlinge zu integrieren."
Schwedens großzügige Asylpolitik ist auch großzügig bei der Wahl des Wohnortes. Das führt dazu, dass einige wenige Gemeinden sehr viele Flüchtlinge aufnehmen. Die beiden Koordinatoren, die im Auftrag der schwedischen Regierung sechs Monate durch das Land reisten, um Kommunen zu überprüfen und für die Aufnahme von Flüchtlingen zu werben, haben festgestellt: Je wohlhabender eine Gemeinde ist, desto weniger Flüchtlinge nimmt sie auf. Bei ihrem Abschlussbericht Ende Juni haben sie daher unter anderem den Vorschlag gemacht, einen gesetzlich geregelten Schlüssel einzuführen, damit alle 290 schwedischen Kommunen gleichermaßen Verantwortung übernehmen. Ein Vorschlag, der Boel Godner aus dem Herzen spricht. Die sozialdemokratische Bürgermeisterin von Södertälje will keinen einzigen Kriegsflüchtling abweisen. Doch sie fordert ein neues Konzept:
"Ich sage immer, dass wir das beste Land für alle Flüchtlinge auf der Welt sein könnten. Daraus wird jedoch nichts, solange Södertälje und ein paar andere Kommunen die meisten Menschen aufnehmen und die großen und reichen Kommunen sagen können, sie haben keine Kapazitäten."
"Wir wollen Vielfalt"
Der amtierende Integrationsminister Erik Ullenhag von den Liberalen ist gegen die Gesetzesänderung, wie sie von den Sozialdemokraten gefordert wird. Doch dass neue Strategien entwickelt müssen - davon ist auch er überzeugt:
"Wir haben viel zu lange geglaubt, dass das mit der Aufnahme von Flüchtlingen etwas Vorübergehendes sei. Aber für die nächsten Jahre sollten wir einfach damit rechnen, dass Flüchtlinge nach Schweden kommen. Deswegen müssen wir längerfristig planen und eine permanente Organisationsstruktur aufbauen."
Wie diese aussehen kann - darüber gibt es bisher keine Einigkeit. Und vor der Parlamentswahl am 14. September wird es in dieser Frage sicher keine Entscheidung geben. Im Wahlkampf werden andere Themen wichtiger sein, nur die Rechtspopulisten nehmen die Einwanderung auf ihre Agenda. Und daher, sagt der Soziologe Johan Ward, muss so schnell wie möglich eine Lösung gefunden werden.
"Wir wollen Vielfalt, verschiedene Sprachen und Kulturen in unserer Stadt. Doch wir müssen uns dringend mit den problematischen Aspekten auseinandersetzen. Sonst wird die Bevölkerung ihre positive Einstellung gegenüber Einwanderern ändern. Auch im Stadtrat von Södertälje sitzen bereits Vertreter der fremdenfeindlichen Parteien: Schwedendemokraten und die rechtsextremen Nationaldemokraten. Ich denke, überall in Europa müssen wir diese Entwicklung sehr ernst nehmen. Denn das wäre auf lange Sicht gesehen eine Gefahr für die Demokratie."