Deutsch-Unterricht der etwas anderen Art an der Hiidenkivi Gesamtschule im Nordosten Helsinkis. Lehrerin Sara Vaarmola steht in einer Art Innenhof, von dem drei lichtdurchflutete Klassenzimmer abgehen, und ruft vier Achtklässlerinnen deutsche Personalpronomen zu. An den Wänden hat Sara große Zettel aufgehängt. Auf den Blättern stehen verschiedene Formen von "sein": ist, seid, sind. Die Schülerinnen rennen nun der Reihe nach zur richtigen Verbform – spielerisches Lernen nennt die Deutsch-Lehrerin das.
Vor vielen Klassenzimmern hängen blau illuminierte Ladestationen für Tablet-PCs, die Architektur der Schule ist transparent, mit klaren Formen, viel Holz und Glas.
Spielerisches Finnisch lernen
Auch ein Stockwerk tiefer geht es spielerisch zu an diesem Morgen. Kein Wunder, die 20 Schüler in Tiina Aaltos Unterricht sind Erst- und Zweitklässler. Sie sollen in kleinen Gruppen Tiere darstellen und beschreiben, wie sich Kater, Hund oder Hase verhalten. Im Anschluss daran überlegen die Kinder mithilfe von Bildern, welche neuen Wörter sie dabei gelernt haben. Das sei auch wichtig, weil nicht alle Kinder gleich gut Finnisch sprächen, erzählt Tiina Aalto. Ein aus dem Irak stammendes Mädchen etwa beherrsche die Sprache so gut wie gar nicht:
"Das Mädchen ist zwar in Finnland geboren, aber dann ist die Familie zurück in den Irak gezogen, und die Kleine hat ihr Finnisch komplett vergessen. Aber die anderen Kinder helfen ihr, wir arbeiten viel mit Bildern, und das funktioniert gut, viel besser jedenfalls als in einer Vorbereitungsklasse, in der die meisten schlecht oder gar kein Finnisch sprechen."
Integration von Anfang an
Die Klasse an der Hiidenkivi-Schule ist Teil eines Pilotprojekts der Stadt Helsinki: Erst- und Zweitklässler aus anderen Ländern werden nicht wie bisher in speziellen Vorbereitungsklassen unterrichtet, sondern nehmen von Anfang an am Regelunterricht teil. Die ersten Ergebnisse seien vielversprechend, sagt Vizerektor Ilppo Kivivuori:
"In dieser Altersstufe lernen die Kinder ja sowieso viel voneinander, sie schauen sich Dinge ab von den anderen. Und in diesen isolierten Finnischklassen kommen sie nicht in Kontakt mit gleichaltrigen Muttersprachlern, sozialisieren sich nicht richtig."
Die Integration von jungen Migrantenkindern in Regelklassen ist auch einer der Kerngedanken des neuen finnischen Unterrichts-Curriculums, das ab Herbst 2016 für alle Schulen verpflichtend ist. Die neuen Regelungen seien zwar vor der Flüchtlingskrise ausgearbeitet worden, doch sie kämen jetzt genau zum richtigen Zeitpunkt, findet Fred Dervin. Der Professor für multikulturelle Bildung an der Uni Helsinki hat den Verfassern des neuen Curriculums beratend zur Seite gestanden:
"Dieses Denken: Ich trenne Schüler nach Sprache und kulturellem Hintergrund finde ich beängstigend und auch ermüdend. Denn wie bekomme ich das Gefühl integriert zu sein und dazuzugehören zu einer Gruppe, wenn ich mit diesen Menschen nicht zusammen bin, zusammen lerne?
Aber dieses Denken ist in Finnland noch immer stark ausgeprägt. Wenn jemand bei uns zum Beispiel einen finnischen Pass bekommt, nennt man ihn einen 'Neuen Finnen', wir wählen sogar jedes Jahr den 'Besten Neuen Finnen' - die Frage ist: Was ist dann eigentlich ein 'normaler Finne'? Darum halte ich es für wichtig, dass im neuen Curriculum kein besonderer Akzent mehr auf eine speziell "finnische Kultur" gelegt wird und das Thema Sprache sehr viel weiter gesehen wird. Es heißt dort jetzt explizit: Jeder Lehrer ist gleichzeitig auch ein Sprachlehrer!"
Vorsorgen für die Zukunft
In Helsinkis Schulen werden bislang nur wenige Flüchtlinge unterrichtet. Das liege auch daran, dass die meisten dieser Menschen bislang in eher ländlichen Gegenden untergebracht sind, erklärt Ilppo Kivivuori. Doch der Vizerektor der Hiidenkivi-Schule ist sich sicher: Diese Menschen werden irgendwann in Richtung der größeren Städte ziehen und dann auch noch weitere Familienmitglieder aus der Heimat nachholen. Und dafür sieht der Lehrer sich und seine Schule gut gerüstet, auch durch den Unterricht in Regel- statt Vorbereitungsklassen.