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Flüchtlinge
Kirchenasyl unter Druck

Doris Otminghaus, Pastorin im fränkischen Haßfurt, bietet Flüchtlingen, deren Abschiebung bevorsteht, einen Schutzraum. Pfarrerinnen und Pfarrer, die wie sie Kirchenasyl gewähren, werden in jüngster Zeit häufig angezeigt, vor allem in Bayern. Ist das noch Rechtswahrung oder schon Wahlkampf?

Von Dagmara Dzierzan |
    Die evangelische Pfarrerin Doris Otminghaus sitzt in ihrem Pfarrhaus im fränkischen Haßfurt, in dem sie bislang neun Flüchtlinge aufgenommen hat.
    Die evangelische Pfarrerin Doris Otminghaus sitzt in ihrem Pfarrhaus im fränkischen Haßfurt, in dem sie bislang neun Flüchtlinge aufgenommen hat. (picture-alliance / dpa / Nicolas Armer)
    "Ich heiße Asibollah A. Ich bin 22 Jahre alt, ich bin sieben Jahre schon in Deutschland. Ich hab Probleme gehabt in Afghanistan, Familienprobleme. Ja, ich hab hier in Deutschland Asylantrag gestellt, der Asylantrag ist abgelehnt, und dann bin ich in Kirchenasyl in Haßfurt gekommen. Aus meiner Meinung entweder ich sterbe hier in Deutschland, aber nie wieder nach Afghanistan gehen, auf keinen Fall."
    Verzweiflung und Angst sprechen aus den Worten des jungen Mannes. Nur knapp ist er vor einigen Monaten der Abschiebung nach Kabul entkommen. Über eine Hilfsorganisation fand er Schutz im Pfarrhaus der evangelisch-lutherischen Gemeinde im fränkischen Haßfurt. Pfarrerin Doris Otminghaus hat dort bisher neun Flüchtlinge vorübergehend aufgenommen. Auch Asibollah - aus voller Überzeugung:
    "Ich find's bei ihm unheimlich tragisch, weil er mit 12 Jahren aus Afghanistan geflohen ist. Er hat vier Jahre gebraucht bis er in Deutschland war. Er hat sich als Kind durchgekämpft, ist dann gleich inhaftiert gewesen, ein halbes Jahr in einem Gefängnis als Zwölfjähriger im Iran, ist dann erneut geflohen, allein. Und war dann mit 16 in Deutschland, hat sich dann zweimal in ein Arbeitsverhältnis hineingearbeitet, hat alleine Deutsch gelernt. Bei ihm find ich's extrem tragisch."
    Kirchenasyl nur in Notfällen
    Im Zuge der stetigen Verschärfung des Asylrechts in Deutschland und in Europa fallen diese "Fälle", wie es Amtsdeutsch heißt, durch die immer größeren Maschen des Gesetzrasters. Die letzte Chance: Kirchenasyl, das nach reiflicher Prüfung in Notfällen gewährt wird, erklärt Pfarrerin Otminghaus:
    "Es gibt schon klare Kriterien, nach denen wir entscheiden, ob wir jemanden ins Kirchenasyl aufnehmen. Das eine ist, dass die Rechte momentan ausgeschöpft sind, dass wirklich eine Härte auch vorliegt für die Personen, die kommen, und dass wir auch beim Eintritt ins Kirchenasyl eine Chance sehen, dass dieses Kirchenasyl auch etwas bewirken kann."
    Und das Ziel? Ein Asylverfahren in Deutschland. Entweder ein erneutes, wie bei Asibollah, um seine Situation noch einmal zu überprüfen. Oder die Erlaubnis, hier einen Antrag stellen zu dürfen. Denn seit der Dublin-III-Verordnung müssen Asylverfahren im Erstaufnahmeland bearbeitet werden, dort, wo die Flüchtlinge in Europa angekommen sind und registriert wurden. Erst nach sechsmonatigem Aufenthalt in Deutschland übernimmt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die sogenannten Dublin-Fälle. Diese Frist gilt es im Kirchenasyl zu überbrücken, geschützt vor der Abschiebung in Länder, wo die Situation äußerst prekär ist für Flüchtlinge, etwa nach Ungarn oder Bulgarien, sagt Doris Otminghaus:
    "Nach Ungarn und Bulgarien kann man niemand mehr hin zurückschicken, weil die Behandlung der Flüchtlinge nicht mal Mindeststandards von humanitärer Hilfe entspricht. Der eine ist aus Bulgarien gekommen, der wurde inhaftiert, sie mussten das Wasser aus der Toilette trinken. Da wurde ein Kind so schwer von einem Wärter geschlagen, dass es ohnmächtig durch die Gegend flog. Und solche Dinge sind da passiert, da gibt es genügend Beispiele und Erzählungen. Da kann niemand mehr hin zurück."
    Pfarrerin Doris Otminghaus neben einem afghanischen Flüchtling, dem im Pfarrhaus in Haßfurt Kirchenasyl gewährt wurde. 
    Pfarrerin Doris Otminghaus neben einem afghanischen Flüchtling, dem im Pfarrhaus in Haßfurt Kirchenasyl gewährt wurde. (picture-alliance / dpa / Doris Otminghaus)
    Aus diesem Grund hat die Pfarrerin zwei kurdische Jesiden aus dem Irak aufgenommen, die nach Osteuropa zurückgeschickt werden sollten - und Rastam aus Äthiopien, der über Italien nach Deutschland kam. Er erzählt:
    "Italien auch, die schlagen uns mit großem Holz … ja. Ich war in Sizilien das erste Mal, und dann nach Como ich bin gekommen, und dann ich schlafe auf der Straße. Ich hab gar nicht wie ein normaler Mann ein Menschenrecht gehabt in Italien."
    Schutz und Frieden benötigt der 19-Jährige dringend. Er gehört dem Stamm der Oromo an, der im eigenen Land diskriminiert und verfolgt wird:
    "Meine Problem ist politische Problem. Wir haben Demonstration gemacht in Äthiopien. Viele Leute wurden getötet vor meinen Augen. Ich verstecke mich, weil ich hab Angst. Ich bin aufs Land gegangen, und dann da sieben Tage geblieben, ohne Essen. Und dann haben sie mich gefunden, ins Gefängnis gebracht. Ich blieb zwei Monate im Gefängnis. Die haben um mich geschlossen viele Pistolen und sowas. Ich bin verletzt jetzt, habe den ganzen Körper verletzt ... ja."
    "Wie im Gefängnis"
    In Haßfurt kümmert sich ein Helferkreis der evangelischen Gemeinde liebevoll um Rastam. Und das Pfarrehepaar nimmt sich Zeit für Gespräche mit seinen häufig traumatisierten Asyl-Gästen. Dennoch ist der Alltag im Kirchenasyl äußerst belastend, erzählt der junge Äthiopier:
    "Ja, natürlich, es ist schwierig. Ein Tag ist wie ein Jahr hier für mich. Nur essen und schlafen, essen und schlafen. Wir haben nur Garten, wir können nicht spazieren gehen und sowas."
    Doris Otminghaus sagt:
    "Im Kirchenasyl zu leben ist eine unheimliche Härte für die Menschen, die drin sind. Denn sie sind ja sozusagen wie im Gefängnis, sie dürfen ja die Kirchenräume nicht verlassen. Im Kirchenasyl haben sie Tag und Nacht Zeit, und da kommen alle schrecklichen Erlebnisse, die sie je in ihrem Leben hatten, aufgrund der Misshandlung, aufgrund des Krieges, aufgrund dessen, was sie auf der Flucht erlebt haben, all das kommt hoch und belastet die Menschen immens."
    Eine harte Zeit, die Ultima Ratio, wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft sind. Denn der uralte Brauch des Schutzes in heiligen Räumen, den der Staat im Allgemeinen toleriert, ist auch für die Geistlichen eine große Herausforderung. Im Februar 2015 wurde in Augsburg nach 18 Jahren erstmals ein Kirchenasyl geräumt - ein Tabubruch, der Empörung, Proteste und eine grundsätzliche Diskussion auslöste. Kurze Zeit später einigten sich Vertreter der Kirchen und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge auf eine Vereinbarung. Die Juristin Bettina Nickel, stellvertretende Leiterin des Katholischen Büro Bayern, fasst die Eckpunkte zusammen:
    "Also das Bundesamt hatte gesagt, es akzeptiert die Tradition des Kirchenasyls. Die Kirchen hatten wiederum zugesagt, das KA nicht im Gießkannenprinzip zu gewähren und die Kirchen haben eine Ansprechpartnerstruktur aufgebaut, dass wir beraten und auch Dossiers für das Bundesamt erstellen, wo wir die besondere Härte nochmal schildern und das Bundesamt drauf schauen kann."
    Auf diese Weise sind nach Beendigung des Kirchenasyls die allermeisten Urteile durch das Bundesamt zugunsten der Asylbewerber revidiert worden. Die Kirchen leisten also nicht nur humanitäre Hilfe, sondern eine dringende rechtsstaatliche Korrektur, die konservative Politikerkreise in Bayern allerdings anders beurteilen. Die CSU-Landtagsabgeordnete Petra Guttenberger sagte im ARD-Magazin "Kontraste":
    "Ich bin der festen Überzeugung, dass wir heute kein Kichenasyl mehr brauchen, weil es eben Gottseidank eine Verfassung gibt, die den Einzelnen schützt, und wer ein Ablehnungsbescheid hat, hat eine Endentscheidung. Und an Recht und Gesetz muss sich jeder halten, auch Pfarrer."
    Anzeigen wegen "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt"
    So geraten Pfarrerinnen und Pfarrer, die Kirchenasyl gewähren, zunehmend unter Druck. Zahlreiche von ihnen, sind vor allem in Bayern angezeigt worden - auch Pfarrerin Doris Otminghaus. Doch Bayerns Justizminister Winfried Bausback ließ im März dieses Jahres erklären:
    "Die Gewährung von sogenanntem Kirchenasyl stellt nun mal in der Regel eine strafbare Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt dar. Und die müssen unsere Staatsanwälte verfolgen."
    Bettina Nickel vom Katholischen Büro Bayern, die die Kirchen in dieser Problematik berät, ist anderer Ansicht:
    "Wenn sich jemand ins Kirchenasyl begibt, und so, wie wir das durchführen, es den betroffenen Behörden, also dem Bundesamt, der zuständigen Ausländerbehörde, angezeigt hat, dass in einem solchen Fall kein illegaler Aufenthalt vorliegt, weil der Betroffene ja für sämtliche Behörden erreichbar ist, dann kann natürlich eine Pfarrerin, ein Pfarrer auch keine Beihilfe dazu leisten."
    Normalerweise wird die Anzeige wegen Geringfügigkeit fallen gelassen. Es geht augenscheinlich nicht um Verfolgung, es geht um Abschreckung, um ein politisches Signal. Den Pfarrerinnen und Pfarrern geht es aber um praktische Hilfe, sagt der katholische Priester Peter Brummer. In Tutzing am Starnberger See hat er inzwischen 22 Menschen Kirchenasyl gewährt. Aus Überzeugung - als Christ und als Staatsbürger:
    "Wir berufen uns auf das, was das Grundgesetz ja auch vorgibt: die unantastbare Würde des Menschen. Und der Schutz für Menschen in Gefahr für Leib und Leben. Ich kann zu dem stehen, vor meinem Gewissen ohnehin, aber auch als Staatsbürger. Im Gegenteil, wir sagen: Eigentlich könnte sich das Innenministerium ja auch bedanken für diese Lösungen in diesen Notfällen, die wir hier in Einzelfällen ermöglichen."