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Flüchtlinge
"Man muss sagen, es ist eine Katastrophe"

Die Situation von Flüchtlingen in Deutschland, sei eine "Katastrophe", sagte der Berliner Landesbischof Markus Dröge im DLF. Es könne nicht sein, dass Ehrenamtliche für die humanitäre Grundversorgung einstünden, das sei Sache des Staates. In der Flüchtlingsdebatte solle man endlich über ein Einwanderungsgesetz diskutieren - anstatt über Sachleistungen.

Markus Dröge im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge
    Der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge (Imago / EPD)
    Nur wenn der Staat die aktuelle Situation als "Katastrophe" anerkenne, könnten auch Einsatzkräfte wie das Technische Hilfswerk bei der Versorgung der Flüchtlinge hinzugezogen werden. Da sollten die Rollen besser verteilt werden, sagte Landesbischof Dröge im DLF. Der Staat müsse deutlich machen, dass er für die humanitäre Grundversorgung eintrete.
    Der Landesbischof kritisierte außerdem die Diskussion darüber, Flüchtlingen statt Geld (rund 140 Euro im Monat) nur noch Sachleistungen zur Verfügung zu stellen. Diese Debatte diene lediglich als Abschreckung, sagte Dröge. Er forderte: Man sollte jetzt über faire Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt und ein Einwanderungsgesetz diskutieren. Außerdem sollte man danach fragen, was in der aktuellen Situation zu tun sei. Nämlich: die Menschen angemessen zu behandeln, Notunterkünfte schaffen und die Asylanträge schnell bearbeiten, damit die Menschen eine Perspektive hätten.

    Jasper Barenberg: Vertrauen Sie keinesfalls auf Versprechungen, warnt eine Stimme aus in einem kurzen Film, der sich an die Menschen in den Balkan-Staaten wendet. Er führt vor Augen, was den Allermeisten in Deutschland wohl droht: Abschiebung, Wiedereinreiseverbot und die Rechnung für die Kosten des Rückflugs. Das gibt es schon, während Bayerns Innenminister Joachim Herrmann Schlagzeilen macht mit der Forderung, was es nicht mehr geben soll, so viel Bargeld nämlich wie bisher. Für mehr Sachleistungen hatte sich ja auch schon Innenminister Thomas de Maizière ausgesprochen. Zumal immer deutlicher wird: Länder, Städte und Gemeinden müssen sich auf noch viel mehr Flüchtlinge einstellen als bisher erwartet.
    Am Telefon ist der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, schlesische Oberlausitz. Guten Morgen, Bischof Markus Dröge!
    Markus Dröge: Ja! Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Wir haben gerade die neuesten Schätzungen gehört, harte Zahlen werden wir dann wahrscheinlich morgen haben. Gerade vor diesem Hintergrund sagen ja Innenminister unter anderem aus Bayern und eben aus dem Bund, dass Deutschland falsche Hoffnungen weckt, dass es Anreize schafft, wie das genannt wird, unter anderem durch finanzielle Leistungen wie das sogenannte Taschengeld. Was halten Sie von dieser Debatte?
    Dröge: Ich finde es auf der einen Seite richtig, dass man keine falschen Hoffnungen weckt, dass man in den Herkunftsländern auch darüber informiert, was es für Asylgründe bei uns gibt und dass wirtschaftliche Gründe alleine keine Möglichkeit geben, Asyl zu beantragen. Aber die Debatte, die jetzt geführt wird, geht, glaube ich, an den Problemen vorbei. Wenn man jetzt darüber diskutiert, ob wieder Sachleistungen eingeführt werden, dann sprechen viele Gründe dagegen. Zum einen sind es insgesamt ja keine fünf Euro pro Tag, die die Leute bekommen, und wenn dann erzählt wird, das gäbe die Möglichkeit, im Heimatland die Familien damit zu unterstützen, dann ist das einfach nicht richtig.
    Barenberg: Na ja. Wenn ich Sie vielleicht unterbrechen darf? Verzeihen Sie! Manfred Schmidt beispielsweise, der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, argumentiert, 140 Euro Taschengeld im Monat, das entspricht einem durchschnittlichen Monatsgehalt im Süden von Serbien. Und er sagt, da lohnt es sich schon, nach Deutschland zu kommen für drei Monate. Das ist sehr viel Geld in der Region.
    "Eine Diskussion darüber, welche Symbolpolitik betrieben werden soll"
    Dröge: Na ja. Aber Sie müssen ja bedenken: Die Leute sind in dieser Zeit auch hier in Deutschland, und was sind fünf Euro am Tag, um hier einigermaßen irgendetwas zu kaufen. Insofern glaube ich, dass das ein schwieriges Argument ist. Außerdem: Wenn man wieder auf Sachspenden umschwenkt, dann ist das ein riesiger Verwaltungsaufwand, Organisationsaufwand. Und schließlich hat ja nun auch das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass dies so nicht sein sollte. Ich glaube, das soll eine abschreckende Wirkung haben, aber ich glaube nicht, dass das funktioniert. Funktionieren tut es, wenn die Menschen in ihrer Heimat informiert werden, was sie in Deutschland erwartet, und auch da muss man dann unterscheiden, wenn man sagt, wirtschaftliche Gründe sind kein Grund, Asyl zu beantragen. Dann muss man aber auch andere Möglichkeiten schaffen, um Menschen eine faire Chance hier auf unserem Arbeitsmarkt zu geben, Stichwort Einwanderungsgesetz. All diese Dinge müssten wir heute diskutieren und nicht einfach nur die Frage, soll es wieder Sachleistungen geben. Das ist ein Stück weit auch eine Diskussion darüber, welche Symbolpolitik soll betrieben werden.
    Barenberg: Zu dem Punkt, den Sie angesprochen haben, zum Einwanderungsgesetz würde ich später gerne noch eine Frage los werden, erst aber noch mal kurz bei diesen Überlegungen bleiben, Deutschland nicht unattraktiver zu machen in gewisser Weise. Joachim Herrmann, der Innenminister in Bayern von der CSU, der argumentiert ja auch, dass Deutschlands Sozialstaat sich diese Großzügigkeit nicht leisten kann. Nun sagen beispielsweise die Grünen, diese ganze Debatte sei schäbig. Finden Sie das auch mit diesem Argument?
    Dröge: Na ja. Was heißt das, wenn man sich gegenseitig solche Schlagworte an den Kopf wirft, ob die Debatte schäbig ist. Wir müssen ja nun jetzt im Moment wirklich dringend fragen, was getan werden muss, und jetzt einfach eine Abschreckung aufzubauen, löst ja die Probleme auch nicht. Insofern denke ich, wir müssen über die tieferen Probleme nachdenken, und da muss man unterscheiden zwischen dem, was kurzfristig, mittelfristig und langfristig nötig ist. Kurzfristig ist es einfach nötig, die Menschen, die hier herkommen, angemessen zu behandeln, Notunterkünfte zu schaffen, natürlich auch schnellere Verfahren einzurichten, damit hier die Menschen, die zu uns kommen, nicht ewig auf eine Entscheidung warten müssen. Den Kommunen muss geholfen werden. Mittelfristig müssen wir Unterkünfte ausbauen, Integrationshilfen geben. Aber langfristig ist es natürlich notwendig, auch dafür zu sorgen, dass die Fluchtursachen behoben werden. Das hört man nicht gerne, weil das ist eine wirklich schwierige Aufgabe, aber wir müssen darüber nachdenken, was können wir tun, damit in den Ländern, aus denen die Menschen kommen, die Situation verbessert wird. Da hat ja nun auch der Minister Müller, der Entwicklungshilfeminister Müller schon in die richtige Richtung mit seiner Sonderinitiative Fluchtursachen bekämpfen gedacht. Ich glaube, wir müssen heute über die wirklichen Probleme diskutieren, und das tut man nicht, wenn man sich gegenseitig jetzt nun solche Worte an den Kopf wirft.
    "Es kann ja nicht sein, dass man nur noch die Hoffnung hat, in Europa anständig zu leben"
    Barenberg: Was gefällt Ihnen an der Initiative, die Sie gerade erwähnt haben?
    Dröge: Wie bitte?
    Barenberg: Was gefällt Ihnen an der Initiative, von der Sie gerade gesprochen haben, des Bundesministers Müller?
    Dröge: Na ja, weil die Grundsatzfrage, dass wir in einer kleiner werdenden Welt nicht mehr einfach schauen können, wie kommt unser Land wirtschaftlich voran, wie können wir bei uns die Zukunft gut gestalten, dass diese Frage alleine nicht mehr ausreicht in einer sich globalisierenden Welt. Wenn wir hier wirtschaftliche Erfolge haben und nicht darauf achten, wie die Ressourcen weltweit verbraucht werden, dann schlägt das auf andere Weltgegenden zurück, und was wir heute erleben ist, dass die Menschen aus diesen anderen Weltgegenden dann natürlich auch wissen, was in der Welt für Möglichkeiten existieren, und dass die bei uns anklopfen. Das heißt, wir leben in einer Zeit, wo uns ganz brutal bewusst gemacht wird, wir müssen global denken. Und dann müssen wir schauen, was können wir auch tun, damit in Zukunft in anderen Weltgegenden auch ein menschenwürdiges Leben möglich ist. Es kann ja nicht sein, dass man nur noch die Hoffnung hat, in Europa in dieser Welt anständig zu leben.
    Barenberg: Lassen Sie uns über die Probleme weiter sprechen, die uns jeden Tag konfrontieren. Sie kennen sich möglicherweise in Berlin am besten aus. Dort hat es ja auch Schwierigkeiten gegeben, sage ich mal, auf dem Gelände des Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales. Die Behörden tun sich erkennbar schwer. Es gibt aber trotzdem andererseits auch viele ehrenamtliche Helfer, die großes Engagement zeigen. Wie beurteilen Sie das, was Sie beurteilen können, wie die Behörden in Berlin mit den Flüchtlingen umgehen?
    Dröge: Ich bin ja selber da gewesen. Ich habe auch gesprochen mit dieser Initiative „Moabit hilft“. Ich beobachte natürlich auch die Diskussion und bin mit dabei. Das Problem, was ich sehe, ist, dass im Moment Ehrenamtliche für die humanitäre Grundversorgung einstehen müssen. Am Anfang waren da Hunderte von Flüchtlingen und es gab in der Hitze nur einen Wasserhahn und niemand hat irgendwie daran frühzeitig gedacht, wie können wir eigentlich die Menschen versorgen. Und dann waren es Ehrenamtliche, die präsent waren und angefangen haben zu organisieren, und das kann natürlich nicht sein. Es muss Aufgabe des Staates sein zu sagen, hier ist jetzt eine wirkliche Katastrophensituation. Ich glaube, wir müssen ehrlicherweise sagen, es sind jetzt humanitäre Katastrophen, die dort passieren, und dann kann man auch die entsprechenden Hilfswerke einsetzen, das Technische Hilfswerk. So ist es in München passiert. Da hat der Oberbürgermeister Reiter gesagt, gut, es ist eine humanitäre Katastrophe, wir müssen das Technische Hilfswerk einsetzen. Dann können unsere Organisationen tätig werden und die Ehrenamtlichen, die haben die Aufgabe, dann zusätzlich Menschen zu begleiten, zu versorgen, ihnen zu helfen, die Behördengänge zu ermöglichen. Da, glaube ich, müssen wir in unserem Land noch die Rollen besser verteilen und der Staat muss sehr, sehr deutlich machen, dass er für die humanitäre Grundversorgung eintritt. Das kann nicht Aufgabe von Ehrenamtlichen sein.
    "Wir als Evangelische Kirche sind sehr dafür, dass dieses Einwanderungsgesetz geschaffen wird"
    Barenberg: Und sehen Sie dafür Anzeichen? Immerhin hat der Regierende Bürgermeister Michael Müller, der Sozialdemokrat, jetzt versprochen, dass die Abstimmung zwischen den professionellen und den ehrenamtlichen Helfern ja besser werden soll.
    Dröge: Ja. Ich sehe, jetzt geht es sozusagen los. Jetzt gibt es die runden Tische, jetzt wird überlegt, wer kann was machen. Aber es hat eine Weile gedauert. Gut, ich bin jetzt dankbar dafür, dass jetzt die Initiative ergriffen wird, aber das muss auch relativ schnell und relativ klar geschehen.
    Barenberg: Michael Müller von der SPD in Berlin sagt ja auch, dass er gern möchte, dass die Themen Asylrecht und Zuwanderung getrennt werden, dass man beides tun muss, Asyl für Verfolgte organisieren und parallel eine Debatte über Einwanderung führen. Sie haben auch das Einwanderungsgesetz angesprochen. Was ließe sich denn mit einem anderen, neuen Einwanderungsgesetz neu oder anders regeln?
    Dröge: Ja. Der Innenminister sagt ja immer, dass wir an sich die gesetzlichen Möglichkeiten schon haben. Aber ich glaube, es ist ein Unterschied, wenn man trotzdem ein eigenes Gesetz macht. Das ist das Signal, dass all die Dinge, die für Einwanderung notwendig zu klären sind, auch in einem Gesetz geklärt werden. Das ist das Signal, wir wollen auch Einwanderung und wir regeln auch Einwanderung, und deswegen sind wir als Evangelische Kirche sehr dafür, dass dieses Einwanderungsgesetz geschaffen wird. Das gibt dann auch die Möglichkeit, denjenigen, die nicht Asyl beantragen können, zu sagen, welche Bedingungen gibt es denn, was muss ich erfüllen, um in Deutschland eine Zukunft für mich und für meine Familie zu ermöglichen.
    Barenberg: Als Vorbild wird oft Kanada genannt mit einem Punktesystem und dann müssen wir eine Debatte führen über die Kriterien, über die Punkte, um die es da geht. Haben Sie nicht Sorge, dass es dann auch schnell um so etwas wie Nützlichkeit für die Wirtschaft in Deutschland gehen wird?
    Dröge: Na ja. Ich meine, das ist ja nun an sich nichts Schlimmes, wenn man danach fragt, was brauchen wir in Zukunft für unsere Wirtschaft, was brauchen wir aber auch in den Pflegeberufen, was brauchen wir für Facharbeiter. Das ist doch nur angemessen, auch danach zu fragen, wenn man gleichzeitig sagt, Menschen, die in Not sind, haben einen anderen Weg, in unserem Land Hilfe zu finden.
    Barenberg: … sagt der evangelische Berliner Landesbischof Markus Dröge. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen. Ich bedanke mich.
    Dröge: Ja, ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.