Flucht und Migration
Die Asyldebatte von 1992/93 hallt bis heute nach

Die politische Rhetorik in der aktuellen Debatte über Flucht und Migration erinnert teils an Töne aus den frühen 1990er-Jahren. Damals wurde der Asylartikel im Grundgesetz nach langem Streit geändert. Heutige Politiker loben diesen Asylkompromiss.

    Bundeskanzler Helmut Kohl zusammen mit anderen Abgeordneten bei der Stimmabgabe. Der Bundestag hat am 26. Mai 1993 mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit die Ãnderung des Grundgesetzartikels 16 und damit die Neufassung des Asylrechts beschlossen
    Der damalige Kanzler Helmut Kohl (CDU) bei der Stimmabgabe: Im Mai 1993 stimmten die Abgeordneten des Bundestags in Bonn für eine Grundgesetzänderung zum Asylrecht. (picture-alliance / dpa / Martin Gerten)
    Wenn sich die Migrationspolitik nicht ändere, werde die Demokratie enormen Schaden nehmen, sagt FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „entgleitet das eigene Land“, sagt CDU-Chef Friedrich Merz. Alice Weidel (AfD) fordert: „Grenzsicherung geht durch Grenzzäune.“ Ihr Parteifreund Björn Höcke redet von „Bürgerkrieg“.

    Inhalt

    Das sind nur einige Zitate aus den vergangenen Tagen und Wochen. Die Tonlage der aktuellen Asyl-, Migrations- und Kriminalitätsdebatte erinnert an die hitzige Diskussion über Flucht und Asyl vor gut 30 Jahren. Damals sprach Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) von einem drohenden „Staatsnotstand“.
    Bayerns Innenminister Edmund Stoiber (CSU) sagte: „Wir müssen endlich den massenhaften Zustrom unberechtigter Asylbewerber stoppen, wenn man nicht extremistischen Demagogen den Boden für die böse Saat des Fremdhasses bereiten will.“ Münchens Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) warnte wegen der Asylfrage vor einem „Volksaufstand“.
    Vieles ist heute anders als 1992/93, aber manches ist doch vergleichbar. Damals wurde der Asylrechtsartikel 16 im Grundgesetz geändert. Ähnliches wird auch in der laufenden Debatte von einigen Politikern nicht mehr ausgeschlossen.
    Manche Argumente und Behauptungen sind auch aus der großen Asyldebatte zur Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) 2015/16 bekannt und wiederholen sich regelmäßig bis heute. Dazu gehört etwa die Frage, ob und wie Deutschland an den Grenzen Asylsuchende zurückweisen sollte.

    Die Vorgeschichte des Asylkompromisses 1992/93

    Bereits in den 1980er-Jahren wurde in der alten Bundesrepublik über Themen wie „Gastarbeiter“ und „Ausländer“ kontrovers diskutiert. Kritik am Grundrecht auf Asyl kam aus den Unionsparteien – aber auch von den rechtsradikalen „Republikanern“, die etwa bei der Europawahl 1989 Erfolge feierten.

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    Seit Ende der 1980-Jahre stieg die Zahl der Flüchtlinge und Zuwanderer stark an. Die Menschen kamen aus der zerfallenden Sowjetunion oder dem Irak; der größte Teil floh vor dem Krieg, der ab 1991 im damaligen Jugoslawien tobte. 1992 kamen fast 440.000 Flüchtende nach Deutschland.
    Anfang der 1990er-Jahre kam es zu rassistischen Gewalttaten und Morden in Deutschland, unter anderem in Mannheim, Rostock, Hünxe, Hoyerswerda, Mölln und Solingen. Die politische Stimmung war aufgeheizt – teils befeuert von Politikern und Medien. Die Gewalt von Neonazis richtete sich nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen Migranten, die teils seit Jahrzehnten in Deutschland lebten.

    Wie wird die damalige Asyldebatte heute bewertet?

    Die damalige Asyldebatte beschrieb der Historiker Ulrich Herbert im Gespräch mit Deutschlandfunk Nova als „außerordentlich kontrovers und sehr scharf“. Der Begriff „Asyl“ sei viele Jahre in der alten Bundesrepublik „fast unbekannt“ gewesen.
    Erst in den 1980er-Jahren sei unter anderem durch Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon ein „neues Phänomen“ entstanden, dass öffentlich vermehrt über Asylfragen diskutiert wurde. Verstärkt habe sich die Debatte Anfang der 1990er-Jahre durch den Zuzug von „deutschstämmigen“ Aussiedlern aus der zerfallenden Sowjetunion sowie durch die hohe Zahl der Flüchtlinge aus (Ex-)Jugoslawien.
    Der Historiker Ulrich Herbert
    Bereits in den 1980er-Jahren habe die Asyldebatte begonnen, sagt der Historiker Ulrich Herbert (picture alliance / dpa / Monika Skolimowska)
    „Es begann die Debatte, dass man solche Zahlen von Asylbewerbern nicht akzeptieren kann", beschreibt Herbert die damalige Diskussion. "Das würde die Aufnahmekapazität Deutschlands übertreffen und in der Bevölkerung für Unmut sorgen.“
    Diese Debatte muss man laut Herbert auch im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung verstehen. „Die Ostdeutschen hatten mit Asyl überhaupt keine Erfahrungen“, so der Historiker. „Es gab aber in der alten DDR eine nicht ganz unbedeutende rechtsradikale Szene, die dieses Thema nun, angestachelt von den westdeutschen Rechtsradikalen, aufnahm und zu einem ihrer Schwerpunkte machte.“
    Die damalige Koalition von CDU/CSU und FDP habe dann Anfang der 1990er-Jahre vorgeschlagen, das Asylrecht zu ändern. Das Ziel war, die Zahl der Asylbewerber drastisch zu senken.
    Da die SPD anfangs eine Änderung des Grundgesetzes verweigert hätte, habe die Union die Debatte verschärft, so Herbert. Eine „Asyl-Kampagne“ sei von CDU und CSU losgetreten worden, so der Historiker. 1992/93 stimmte die SPD dann einer Änderung zu.

    Wie sah die Asyl-Grundgesetzänderung aus?

    Der sogenannte Asylkompromiss von 1993 führte zu einer Änderung des Grundgesetzes. Es wurde ein neuer Artikel 16a in die Verfassung aufgenommen, der besagt, dass Personen, die über sichere Drittstaaten nach Deutschland einreisen, keinen Anspruch auf Asyl haben.
    Diese Drittstaatenregelung bedeutet, dass Asylsuchende, die über ein EU-Land oder ein anderes Nachbarland Deutschlands einreisen, sofort abgewiesen werden können. Ein Punkt, der auch in der aktuellen Debatte eine zentrale Rolle spielt.
    Zudem wurde das Asylbewerberleistungsgesetz eingeführt, das die Leistungen für Asylbewerber regelt. Außerdem wurde ein eigenständiger Status für Kriegsflüchtlinge geschaffen.

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    Diese Änderungen zielten darauf ab, Asylverfahren zu beschleunigen und vermeintlichen Missbrauch zu verhindern. In den Folgejahren sank die Zahl der Asylanträge in Deutschland.
    Begleitet wurde die entscheidende Abstimmung im Bundestag am 26. Mai 1993 von großen Demonstrationen, zu denen Gegner der Grundgesetzänderung am damaligen Parlamentssitz in Bonn mobilisiert hatten. Sie fürchteten die faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl. Außerdem wurden im Winter 1992 viele Städte in Deutschland durch Lichterketten des Protests gegen rassistische Gewalt erleuchtet.

    Was sagen heutige Politiker zum Kompromiss von 1992/93?

    Es ist auffällig, dass sich Politiker in der heutigen Asyldebatte positiv auf den Kompromiss von vor über 30 Jahren beziehen. In einer Bundestagsrede lobte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im September 2024 die „Leistung“ der damals oppositionellen Sozialdemokraten beim Zustandekommen des Asylkompromisses: „Sie haben in einer national wichtigen Angelegenheit mit der Regierung zusammengearbeitet.“
    Olaf Scholz schaut zum auf dem Podium im Bundestag sprechenden Friedrich Merz.
    Olaf Scholz und Friedrich Merz im Bundestag. Gibt es einen neuen Asylkompromiss zwischen Regierung und Opposition? (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    In der Rede kritisierte Scholz das Verhalten des heutigen Oppositionsführers Friedrich Merz (CDU), mit dem sich die Regierung bisher nicht auf einen gemeinsamen Kurs in der Asylpolitik verständigen konnte. Der Bundeskanzler hatte erklärt, dass er "im großen Stil abschieben" will.
    Man müsse die Parteien der Mitte „zusammenbringen, um zu einer Lösung des Migrationsproblems zu kommen“, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Christian Dürr. Er forderte eine gemeinsame Lösung von Bund, Ländern und Kommunen.
    „Die Demokraten müssen es zusammen machen“, so Dürr. Er sprach von einem „historischen Moment“. „Es könnte gelingen, wie Anfang der 90er-Jahre, als der Asylkompromiss in Deutschland für erhebliche Entlastungen gesorgt hat.“

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