Maja Ellmenreich: Jetzt soll es bei uns um Willkommenskultur gehen, allerdings mal nicht im üblichen Sinne, sondern anders herum gedacht. Kultur, um willkommen zu heißen. Oder anders gesagt: Kulturelle Projekte, die den Flüchtlingen die Ankunft in Deutschland erleichtern sollen. An Beispielen mangelt es da nicht. Flüchtlingskinder basteln und malen in Kunstkursen in Hannover, im schleswig-holsteinischen Neumünster spielen Gymnasiasten und Flüchtlinge gemeinsam Theater, und Berliner Museen bilden Flüchtlinge zu Museums-Guides aus. Drei Vorzeigeprojekte von vielen, vielen im ganzen Land, die es gut meinen mit den Ankommenden. Aber bekanntlich ist gut meinen nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit gut.
Wie steht es um die Kulturarbeit mit Flüchtlingen? Darüber habe ich mit Kirsten Witt von der Bundesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung gesprochen und sie zunächst gefragt, ob nicht auch eine Gefahr darin liegt, dass es in gewisser Weise schick geworden ist für Kulturschaffende, sich mit Flüchtlingsprojekten zu schmücken.
Kirsten Witt: Ich denke, es ist ganz wichtig, dass Künstlerinnen und Künstler, die Projekte mit Geflüchteten durchführen, zunächst ihre eigenen Absichten, ihre eigenen Haltungen und Ziele reflektieren: Warum möchte ich das jetzt machen? Bin ich verliebt in meine künstlerische Idee? Oder verträgt sich meine künstlerische Idee möglicherweise einfach gut mit den Interessen und Bedürfnissen, die Menschen jetzt in diesem Moment haben, die vielleicht gerade in einer Notunterkunft leben, die ihre Heimat verlassen haben oder die Traumatisches erlebt haben? Und wenn das beides gut zusammenpasst, dann kann daraus auch ein gutes künstlerisches Projekt entstehen.
Ellmenreich: Was sind diese Absichten beziehungsweise was sind die Bedürfnisse, so herum vielleicht besser gefragt? Ist das Ablenkung? Ist das Trauma-Verarbeitung? Ist das ein Ankommen in der Kultur des Landes, nämlich in diesem Fall Deutschland?
Witt: Zum einen ist es einfach ein Stück Normalität. Das muss man sich vergegenwärtigen. Ich glaube, das Leben in einer Notunterkunft ist ein absoluter Ausnahmezustand nach der Flucht, und in einem Theaterstück mitzuspielen oder einfach auch nur zu spielen, mit Kindern zu basteln oder etwas zu schreiben, da kann man sich wieder so ein Stück normalen Alltag zurückholen. Das kann durchaus auch ein Schonraum sein.
Ganz wichtig ist auch: Man wird wieder zum Mensch. Man wird vom Flüchtling wieder zum Mensch und man gewinnt seine Individualität zurück. Man wird wieder zum Menschen mit einer Vergangenheit, einer Gegenwart, mit einer Zukunft, mit verschiedenen Zukunftsentwürfen, und in dieser Form als Mensch wieder sichtbar und hörbar zu werden, das kann so wertvoll sein, wie man sich das, glaube ich, wenn man diese Fluchterfahrung nicht hätte, überhaupt nicht vorstellen kann.
Ellmenreich: Aber die Normalität derjenigen, die geflüchtet sind und bei uns in Deutschland angekommen sind, das ist ja doch eine andere auch kulturelle Normalität als in den Herkunftsländern. Ist es nicht manchmal vielleicht auch ein bisschen vermessen, unsere Art Theater zu spielen, unsere Bücher, die wir lesen, ihnen sozusagen überzustülpen?
Witt: Das glaube ich auf jeden Fall. Das sollte man nicht tun. Ich glaube, die Bereicherung eines gemeinsamen künstlerischen Prozesses mit heterogenen Menschen, egal ob sie heterogen sind, weil sie aus verschiedenen Ländern kommen, oder weil sie aus ganz unterschiedlichen Lebensmilieus kommen, besteht darin, dass man gemeinsam etwas Neues schafft, neue hybride Kunstformen. Wir stehen ja als Gesellschaft vor der Herausforderung, unser Zusammenleben neu zu gestalten als von Vielfalt geprägte Gesellschaft, und da können solche gemeinsamen Kunstprojekte natürlich so etwas sein wie Labore mit Ernstfallcharakter, wo man das auch mal erproben kann, durchaus auch mal Risiken eingehen kann: Funktioniert das zusammen? Widersprechen sich Werte? Ab wann ist meine Schmerzgrenze erreicht? Über welche Grenze möchte ich nicht hinweggehen? So kann man diese Werte auch miteinander aushandeln, aber doch mit einem gewissen spielerischen Charakter.
Ellmenreich: Also Kultur als Spielplatz?
Witt: Ja. Ich würde sagen, als Labor mit Ernstfallcharakter.
Ellmenreich: Für den Ernstfall, den aber viele durchlebt haben, ich möchte sagen, die mit vielen Traumatisierungen zu uns kommen, sind da nicht auch unbedingt psychologische Profis vonnöten, die dabei sind? Oder kann jeder Kunstverein, jeder Malverein, jeder, weiß ich nicht, Theaterklub einfach mal sich an Flüchtlingen ausprobieren? Das birgt doch auch Gefahren.
Witt: Auf jeden Fall ist es ganz wichtig, dass die Fachkräfte, seien es jetzt Kulturpädagogen oder Künstler, geschult sind für den Umgang mit Geflüchteten. Man muss natürlich unterscheiden zwischen kurzfristigen Maßnahmen, die sehr spontan entstehen, die ja auch auf rein ehrenamtlicher Basis im Moment entstehen, und zwischen langfristigen Angeboten. Aber jeder Mensch, der mit Geflüchteten arbeitet und dann erlebt, dass ein Trauma getriggert wird und jemand dann anfängt zu schreien und zu weinen, ist mit Sicherheit völlig überfordert. Insofern raten wir allen Künstlerinnen und Künstlern, die so etwas machen, tatsächlich sich zu qualifizieren in die Richtung, was tue ich dann, wie gehe ich damit um, wie ist die Notfallmaßnahme. Die Zusammenarbeit mit pädagogisch oder psychologisch geschulten Menschen ist natürlich der Idealfall, der aber in der Praxis oft nicht möglich ist.
Ellmenreich: Wir sprechen ja immer viel von der Flüchtlingskrise. Sehen wir die Krise auch mal, was man so gerne macht, als Chance: Wie verändert sich, wenn man das mal ganz generell formulieren darf, vielleicht auch unsere Kulturlandschaft durch diese Zusammenarbeit mit Flüchtlingen und durch diese Vielzahl an Projekten?
Witt: Es gibt ja schon seit langer Zeit Projekte mit Geflüchteten. Insbesondere der Bereich der kulturellen Bildung hat da viele Erfahrungen. Was jetzt neu ist, ist die schiere Masse der Projekte, die dadurch entstehen, dass ganz viele ehrenamtliche Helfer rund um die Flüchtlingsunterkünfte natürlich auch Freizeitangebote machen wollen und dann nach Partnerinnen und Partnern suchen. Für den Kunstbereich und für den Kulturbereich ist die jetzige Situation natürlich eine große Bereicherung, weil so wie wir Kultur verstehen, will sie sich immer mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinandersetzen. Und die Frage, wie wollen wir zusammenleben als Gesellschaft, welche Menschen wollen wir sein, welche Werte zählen, wie stehen wir zur Humanität und was ist das, das sind alles Fragen, die sich gemeinsam mit allen Betroffenen, die Geflüchteten und die, die hier Willkommenskultur leben, einfach stellen und die sie miteinander aushandeln müssen.
Ellmenreich: Herzlichen Dank! - Das war Kirsten Witt von der Bundesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung über Kulturprojekte von und mit Flüchtlingen.
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