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Flüchtlinge
Syrische Erfolgsgeschichten in der Türkei

Rund 11 Milliarden Euro hat die türkische Regierung nach eigenen Angaben bislang für Flüchtlinge ausgegeben. Fachleute bezweifeln diese Zahlen, denn viele Flüchtlinge sind mittlerweile erfolgreiche Geschäftsleute. Besonders die 2,5 Millionen Syrer in der Türkei haben kräftig in das Land investiert - und es damit vielleicht sogar vor einer Wirtschaftskrise bewahrt.

Von Gunnar Köhne |
    Syrische Flüchtlinge in der Türkei (2.12.2015).
    Nicht alle der geschätzten 2,5 Millionen Syrer kamen mittellos: Viele von ihnen zahlen in der Türkei Steuern, Mieten und schaffen Arbeitsplätze. (dpa / picture-alliance / Emin Menguarslan)
    Humus, der Kichererbsenbrei, darf im Istanbuler Schnellrestaurant von Nizar Bitar genauso wenig fehlen wie frisch frittierte Falafel. Bitar kam vor vier Jahren mit zwei Koffern aus Damaskus in die Türkei. Assads Geheimdienst war hinter ihm her gewesen. Inzwischen besitzt Bitar in der Istanbuler Innenstadt sieben Falafel-Filialen mit über 300 Angestellten:

    "Vorher war in diesem Bezirk nichts los. Aber dank der vielen Gäste, die wegen uns hierher kommen, hat sich das Gott sei Dank geändert. Das sehen auch meine türkischen Nachbarn inzwischen so. Darum gibt es zwischen uns keine Probleme und wir helfen uns gegenseitig."
    Nizar Bitar ist kein Einzelfall. Ob Restaurants, Bäckereien, Reisebüros oder ganze Fabriken - syrische Flüchtlinge haben in den vergangenen fünf Jahren in der Türkei kräftig investiert. Nicht alle der geschätzt 2,5 Millionen kamen mittellos, wer konnte, rettete sein Vermögen ins Nachbarland: Geschätzt 10 Milliarden US-Dollar sollen seit Ausbruch des Bürgerkrieges in die Türkei geflossen sein.
    Knapp 4.000 Geschäftsneugründungen von Syrern in der Türkei
    Grenznahe Städte wie Gaziantep konnten ihren Export nach Syrien seit Ausbruch des Krieges sogar vervierfachen - auch Dank der syrischen Händler, die in Gaziantep inzwischen fast jedes fünfte Geschäft betreiben, überwiegend in den Bereichen Textilien und Lebensmittel. Die meisten von ihnen stammen aus Aleppo, dem einstigen Handels- und Industriezentrum Syriens. Der Vorsitzende der Handelskammer von Gaziantep, Eyüp Bartik, zeigt sich zufrieden:
    "Schon über 600 syrische Geschäftsleute sind Mitglied unserer Kammer geworden. Damit noch mehr von ihnen sich selbstständig machen können, raten wir zu Joint-Ventures mit türkischen Partnern. Dadurch ersparen sie sich viel Bürokratie. Und es stärkt die wirtschaftliche Position der Türkei in der Region, wenn in Syrien und im Irak wieder Frieden und Normalität eingekehrt sind."
    Mit knapp 4.000 Geschäftsneugründungen zählen die Syrer inzwischen zu der größten ausländischen Investorengruppe in der Türkei insgesamt - die vielen nicht angemeldeten Geschäfte nicht eingerechnet. Die Neuankömmlinge zahlen Steuern, Mieten und schaffen Arbeitsplätze. Es gibt Ökonomen, die soweit gehen zu sagen, dass diese Syrer der türkischen Wirtschaft ihr letztjähriges Wachstum von vier Prozent gesichert hätten.
    Die meisten syrischen Flüchtlinge leben weiterhin unter der Armutsgrenze
    Experten weisen aber auch darauf hin, dass der positive Effekt nicht anhalten werde, wenn es der Türkei nicht gelingt, besonders die jungen Syrer besser zu integrieren. Nur jeder zweite der 700.000 syrischen Minderjährigen im Land besucht eine Schule. Eyüp Bartik von der Handelskammer in Gaziantep mahnt mehr Engagement des Staates an:
    "Die Sozialmaßnahmen für diese Menschen sind nicht ausreichend. Die erleichterte Erteilung von Arbeitserlaubnissen etwa würde in etlichen Wirtschaftsbereichen einen positiven Effekt haben. Noch mehr qualifizierte Syrer könnten angestellt werden - und sie könnten auch selber Arbeitsplätze schaffen."
    Offiziell spricht die türkische Regierung nur von den finanziellen Belastungen durch die Flüchtlinge im Land - 11 Milliarden Euro hätten die sie bislang gekostet. Doch auch in Ankara scheint das Potenzial vieler Syrer erkannt worden zu sein. So sollen in einem neuen Erfassungssystem berufliche Qualifikation und Bildungshintergrund der Flüchtlinge vermerkt werden. Insbesondere die Anstellung von syrischen Ärzten erleichtert werden.
    Dennoch: Die Allermeisten der in der Türkei lebenden Syrer sind keine erfolgreichen Geschäftsleute, sondern leben unter der Armutsgrenze, ohne ausreichenden Zugang zu Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung. Darauf weist die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht hin. Diese Menschen sehen für sich weiterhin keine Zukunft in der Türkei - anders als der erfolgreiche syrische Falafel-Restaurant-Besitzer Nizar Bitar in Istanbul.