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Flüchtlingsabkommen mit der Türkei
Gedämpfte EU-Euphorie am Bosporus

Der stockende EU-Beitrittsprozess der Türkei könnte mit einem Abkommen neuen Wind bekommen: Die Türkei verpflichtet sich zur Rücknahme von illegalen Einwanderern und die EU stellt dafür Visa-Erleichterungen in Aussicht. Von EU-Euphorie bei den Menschen ist wenig zu erkennen.

Von Luise Sammann |
    Wasserhähne aus rostfreiem Stahl, Gasleitungen für Küche und Bad. Beim türkischen Mittelständler KAS brummt das Geschäft. Nicht nur in der aufstrebenden Heimat, auch in Dubai, Libanon und im Nordirak wächst die Zahl der Kunden. Türkische Ware ist dort beliebt. Hakan Karataş lächelt zufrieden, als er durch die Fabrikhalle im asiatischen Teil Istanbuls führt.
    Nur mit Europa könnten die Geschäfte besser laufen, gesteht der Vertriebsleiter:
    "Aber, oh, das ist die EU! Kommen wir da rein? Geben die uns ein Visum? Ich kenne einen Käsehersteller, der wollte eine große Zahl Maschinen in Deutschland kaufen. Alles war klar, das Geld lag bereit. Aber dann gab Deutschland ihm kein Visum, der Firmenchef konnte nicht reisen und musste alles stornieren."
    Hakan Karataş kennt Dutzende solcher Geschichten. Früher träumte er von einem EU-Beitritt. Doch die Arroganz von Deutschen und Franzosen hat ihn abgeschreckt. Heute würde ihm ein Visa-Abkommen reichen.
    "Wir wollen uns nur nicht mehr mit solchen Problemen herumschlagen müssen. Dann würden die Leute dort endlich merken, welches Potenzial wir hier haben. Wir könnten zahlreiche Kooperationen starten!"
    Hoffnungen auf Visa-Erleichterungen und Wirtschaftskooperationen – viel mehr ist nicht geblieben von der einstigen EU-Euphorie am Bosporus. Jeder Muschelverkäufer in Istanbul konnte einem einst von dem großen Ziel vorschwärmen, endlich dazuzugehören, konnte auseinandersetzen, wie europäisch die Türkei im Grunde sei. Das ganze Land schöpfte Energie und Fortschrittswillen daraus. Heute hat sich die Stimmung umgekehrt:
    "Die Türkei sollte der EU nicht beitreten! Ich glaube nicht, dass uns das irgendwas bringen würde. Im Gegenteil, es würde uns nur schwächen und uns unsere Werte nehmen. Letztendlich ist die EU eine Christen-Union."
    Nur 19 Prozent der Türken denken laut Umfragen noch optimistisch über einen EU-Beitritt. 2005 waren es noch ganze 75 Prozent! Es sind vor allem einige wenige Intellektuelle, die den Traum von damals nicht aufgeben wollen. Einer von ihnen ist der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar.
    "Nehmen Sie die Kurden. Es gibt hier 10 bis 15 Millionen davon und sie haben große Probleme. Bis heute wurde ihre Existenz nie wirklich akzeptiert, ihre Identität wurde nie richtig anerkannt. Für diese Menschen ist die EU viel mehr als einfach nur ein Wirtschaftsraum."
    Der EU-Beitritt als letzte Hoffnung für Kurden und Christen, für Homosexuelle und zuletzt auch für Gezi-Demonstranten. Die Zielgruppen von Ministerpräsident Erdogans mächtiger AK-Partei sind das alles nicht. Und so ist es vor allem die türkische Regierung, die die EU-Verdrossenheit ihrer Wähler nutzt, um innenpolitisch Stärke zu demonstrieren. Ministerpräsident Erdogan vor zwei Wochen in Moskau:
    "Als der Premierminister von 75 Millionen Menschen muss man sich nach verschiedenen Seiten umsehen. Das habe ich meinem lieben Putin gesagt: Nehmen Sie uns bei den Shanghai-Five auf und wir verabschieden uns von der EU."
    Doch trotz aller Drohungen: Türkische Medien sehen das heutige Abkommen als mögliches Anzeichen für einen Richtungswechsel. Denn Wirtschaftsaufschwung hin oder her: Es ist einsam geworden um die Türkei. Ägypten, Syrien, Irak, Israel. Viele der einstigen Verbündeten sind in wenigen Jahren zu Feinden geworden. Europa scheint da wieder näher als gedacht. Fragt sich nur, ob die Menschen am Bosporus ebenso schnell wieder umschwenken können, wie ihre Regierung in Ankara.
    "Warum sollten wir einer Vereinigung beitreten, die vor dem Kollaps steht? Ich verstehe das nicht, nicht mal die Mitglieder sind glücklich und die, die ihre Währung aufgegeben haben sind erst recht unzufrieden. Einer Union, die längst einen Riss hat, sollten wir nicht beitreten!"