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Flüchtlingsbeauftragte in Singen
Vom Flüchtlingskind zum Türöffner

Bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise arbeiten die Kommunen am Limit, ist landauf, landab zu hören. Einige Städte haben eigene Flüchtlingsbeauftragte. Die Stadt Singen ganz im Süden Baden-Württembergs setzt da auf die Erfahrung und die Vermittlungskraft einer Einwohnerin, die vor Jahren aus dem Iran hierherkam.

Von Thomas Wagner |
    Shirin Burkart (r.), die Flüchtlingsbeauftragte und Herr Schlagowsky-Molkenthin, Integrationsbeauftragter der Stadtverwaltung Singen.
    Shirin Burkart (r.), die Flüchtlingsbeauftragte und Herr Schlagowsky-Molkenthin, Integrationsbeauftragter der Stadtverwaltung Singen. (Stefan Mohr)
    Eile. Nur ein paar Minuten zum nächsten Termin. Schritt halten in der Fußgängerzone der Stadt Singen mit Shirin Burkart, der kommunalen Flüchtlingsbeauftragten. Erinnerungen werden wach – an damals, vor 13 Jahren. Shirin Burkart, die Flüchtlingsbeauftragte von heute, kommt selbst als Flüchtling nach Deutschland.
    "Wir haben im Iran mit Menschen aus vielen anderen Ländern und Religionen zu tun gehabt. Deshalb waren wir natürlich offen für alles. Ja, es war schön, das Gefühl der Freiheit - das war toll!"
    Das ist gerade mal 13 Jahre her. Nun arbeitet die Iranerin Shirin Burkart in ihrem neuen Job als städtische Flüchtlingsbeauftragte in Singen.
    "Musi, gehst du Einkaufen? Hallo, ich möchte ein Kilo Banane bitte und ein Pfund Orange. Keine Orange."
    Die ersten Brocken Deutsch
    Besuch in einem Schulungsraum: Deutschunterricht für Flüchtlinge.
    "Guten Morgen beim Deutschkurs. Wie geht es Ihnen? Danke, und Ihnen? Wie läuft es im Deutschkurs? Ich habe gut Lust im Deutschkurse."
    In diesem Moment erinnert sich Shirin Burkart an jene Zeit vor 13 Jahren, als sie selbst die ersten Brocken Deutsch gelernt hatte:
    "Ich bin Iranerin, bin mit 16 Jahren nach Deutschland gekommen. Wir konnten alle kein Deutsch. Ich habe viel zuhause gelernt, bin sehr, sehr schnell auf die Schule gegangen, aufs Gymnasium, auch Deutsch zu lernen dort. Es war nicht einfach. Es gab viele ehrenamtliche Helfer, die uns da auch geholfen haben, bei der Sprache."
    Abitur, Studium in Nürnberg, Rückkehr nach Singen, Heirat – mehr Integration geht nicht. Dann die Flüchtlingskrise: Shirin Burkart erinnert sich, wie ihr geholfen wurde, und beschließt, selbst zu helfen - zunächst ehrenamtlich, in Helfergruppen.
    "Dann war eben die Frage: Was können wir für Singen machen? Da habe ich mich angeboten und gesagt: Gerne würde ich in dem Bereich arbeiten und meine Erfahrungen mitteilen."
    Viel Papierkram, viel Organisation
    Das war für die Stadt Singen Grund genug, Shirin Burkart einzustellen, als erste städtische Flüchtlingsbeauftragte. Sitzungen, immer wieder Sitzungen, viel Papierkram, viel Organisation: Wo ist zusätzlicher Wohnraum? Was können Ehrenamtliche tun, die helfen wollen? Wie eine Kleiderausgabe organisieren? Neben all diesen Routineaufgaben kommt es Shirin Burkart vor allem auf eines an: Einheimische und Flüchtlinge zusammenzubringen, so häufig es nur irgendwie geht.
    "Zum Beispiel sind wir gerade dabei, Nähkurse zu organisieren für Flüchtlingsfrauen mit deutschen Frauen, damit sie sich zusammensetzen. Für die Kinder haben wir Tanzkurse neu organisiert. Eine Fußballmannschaft für die Flüchtlinge planen wir gerade. Gemeinsames Kochen, Gartengestaltung und so weiter."
    "Die Angst ist weg"
    Wichtig erscheint Shrin Burkart das Wörtchen gemeinsam: "Es ist ja bekannt: Man hat Angst vor dem Fremden, vor dem, was man nicht kennt. Und in dem Moment, wo wir die Menschen zueinander bringen, wo die Fremdheit weg ist, wo man diesen Zahlen Gesichter gibt, wo man sagt: Das sind normale Menschen, das sind kleine Mädchen, das sind junge Männer, das sind Familien – die Angst ist weg."
    "Also ich kann berichten, was im Deutschkurs-Sektor neu ergeben hat. Wir können uns gerne nächste Woche mit den Ehrenamtlichen nochmals zusammensetzen und das besprechen."
    Dienstbesprechung: Shirin Burkart stimmt sich mit Stefan Schlagowsky-Molkenthin ab; er arbeitet in Singen als kommunaler Integrationsbeauftragter – und findet: Ein junge Frau, einst selbst auf der Flucht, nun im Job der Flüchtlingsbeauftragten – besser könnte eine Stelle kaum besetzt werden.
    "Eine Art Türöffner"
    "Die Tatsache, dass Frau Burkart selbst als Flüchtling zu uns gekommen ist, wirkt im Umgang mit den Flüchtlingen als eine Art Türöffner. Die Flüchtlinge merken, dass ein Erfahrungshintergrund da ist, der es ihnen auch leichter macht, über die Dinge zu reden. Und sie merken auch, dass Frau Burkart ähnliche Erfahrungen gemacht hat, die sie selbst jetzt machen."
    Als Türöffner wirken, als Vermittlerin zwischen Einheimischen und Flüchtlingen – genau in dieser Rolle sind ihre eigenen Erfahrungen als Flüchtling von einst Gold wert, glaubt auch Shirin Burkart selbst:
    "Also ich habe selbst das Asylverfahren durchlebt. Ich weiß, wie das funktioniert - und da kann ich den Flüchtlingen aus erster Hand, aus eigenen Erfahrungen erklären, wie das läuft. Ich habe gelernt, zwei verschiedene Welten, Kulturweisen zu verstehen. Das hilft mir sehr viel."