Für die meisten Flüchtlinge kam wohl jede Rettung zu spät. Als die italienische Küstenwache am Unglücksort 80 Seemeilen vor der Küste Libyens eintraf, da war das Flüchtlingsboot bereits umgekippt. Der Sprecher der Küstenwache, Filippo Marini, konnte die tatsächlichen Ausmaße dieses Unglücks nur erahnen:
"Wir haben dieses umgestürzte Boot entdeckt und konnten 144 Menschen retten und neun Leichen bergen. Aber man muss davon ausgehen, dass diese Boote deutlich mehr Passagiere transportieren. Deshalb haben wir sofort die Suche aufgenommen, mit Flugzeugen und Booten. Aber es ist angesichts der Menge an Personen wahrscheinlich, dass einige nicht überlebt haben."
Nachdem Hilfsorganisationen die Überlebenden dieses Unglücks in Reggio Calabria befragen konnten, wurde aus der Befürchtung traurige Gewissheit. Laut einem Sprecher der Internationalen Organisation für Migration sollen 550 Menschen an Bord des gekenterten Bootes gewesen sein. Demnach sind wohl bei dieser neuen Tragödie im Mittelmeer 400 Menschen ertrunken. Die Kinderschutzorganisation "Save the Children" berichtet, dass unter den Opfern auch zahlreiche Minderjährige waren.
Kritik an Ende von "Mare Nostrum"
Es wäre eine der schlimmsten Flüchtlingskatastrophen auf dem Mittelmeer, seit im Oktober 2013 mehr als 360 Menschen vor der italienischen Insel Lampedusa ertranken. Heute sagt die Bürgermeisterin der Insel, Giusy Nicolini, es sei ein Fehler gewesen, "Mare Nostrum" zu beenden. Jene humanitäre Aktion, in der die italienische Marine die Flüchtlinge auf hoher See rettete und in sichere Häfen brachte:
"Ich habe mich gegen die Behauptung gewehrt, mit der Abschaffung von 'Mare Nostrum' reduziert man die Ankünfte. Tatsächlich lagen bereits im März 2015 die Zahlen über denen vom März 2014, sowohl bei den überlebenden Flüchtlingen als auch bei den Todesopfern."
Vor allem in den letzten Tagen haben die lebensgefährlichen Überfahrten über das Mittelmeer wieder stark zugenommen. Etwa 8.500 Menschen konnten seit Freitag gerettet werden. Die Lage in den italienischen Aufnahmezentren ist angespannt. Gestern kamen allein in Palermo 1.200 Flüchtlinge an, für die Caritas-Direktor Sergio Mattaliano sofort eine Unterkunft und Betreuer finden muss:
"Ich habe bereits appelliert: Wir suchen Personen, die uns helfen und unterstützen, vor allem junge Leute, die auf diese Weise auch eine großartige Erfahrung machen können, indem sie sich für die Schwächsten, für die Flüchtlinge, einsetzen."
Gleichzeitig gehen die Menschenhändler in Libyen immer skrupelloser vor und nutzen die guten Witterungsbedingungen, um Tausende Flüchtlinge auf überladenen Booten ins Mittelmeer zu schicken. Um ein leeres Flüchtlingsboot wieder in ihre Gewalt zu bekommen, haben Schlepper die Besatzung eines italienischen Frachters und eines Bootes der EU-Agentur Frontex sogar mit Waffen bedroht. Frontex wertet diesen Zwischenfall als Zeichen, dass in Libyen die Boote langsam knapp werden.