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Flüchtlingsdebatte
"Es gibt keine Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen"

Der slowakische Europa-Abgeordnete Richard Sulik hat der EU ein Versagen bei der Sicherung ihrer Grenzen vorgeworfen. Im Deutschlandfunk forderte er ein zentrales Auffanglager für Flüchtlinge in Nordafrika, in dem vor Ort über Asylanträge entschieden werden solle. Jedes Land entscheide aber souverän, wem es Asyl gewähre, betonte Sulik. Die Entscheidung der slowakischen Regierung, keine Muslime aufzunehmen, sei deren gutes Recht.

Richard Sulik im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der Europa-Abgeordnete Richard Sulik sitzt in einer Talkshow
    Richard Sulik, Mitglied des Europa-Parlaments und Vorsitzender der slowakischen Partei Sloboda a Solidarita (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Sulik hält es für eine "reine Alibiaussage", zu sagen, dass einem die Flüchtlinge leid täten. Damit werde das Problem nicht gelöst, sagte er im Deutschlandfunk. Er forderte generell eine Rückführung von Flüchtlingen - nicht alle seien in ihrem Leben bedroht. Sulik schlug vor, ein zentrales europäisches Auffanglager für alle Flüchtlinge in Nordafrika zu errichten, in dem Richter aus den EU-Ländern über die jeweilige Aufnahme in ihrem Land entscheiden sollten. Gleichzeitig sollten die Mittel für die EU-Grenzsicherung aufgestockt werden.
    Sulik ist Vorsitzende der oppositionellen Partei Freiheit und Solidarität in der Slowakei und als Europa-Abgeordneter Mitglied der EU-kritischen Fraktion im Europaparlament. Er betonte, es gebe keine generelle Pflicht für die Slowakei, Flüchtlinge aufzunehmen. Jedes Land entscheide darüber souverän. Daher habe die Slowakei auch das Recht, die Aufnahme von Muslimen abzulehnen.
    Die Slowakei hat sich bereit erklärt, 200 Flüchtlingen Asyl zu gewähren. Das ist Teil des EU-weiten Plans zur Verteilung der Menschen, die in Italien und Griechenland sowie anderen Außengrenzen der Europäischen Union ankommen. Die slowakische Regierung will allerdings keine Muslime aufnehmen, sondern nur Christen. Ein weiter gehender Plan, die Flüchtlinge mittels eines Quotensystems zu verteilen, konnte nicht durchgesetzt werden. Neben anderen Staaten war auch die Slowakei dagegen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Frankreich und England verbindet - richtig: der Eurotunnel durch den Ärmelkanal. Das wissen auch Tausende Flüchtlinge, die genau durch diesen Tunnel versuchen, vom Festland auf die Insel zu gelangen. Nun wollen die Regierungen in Paris und London ihre Zusammenarbeit im Kampf gegen Schleuserbanden nachhaltig verstärken.
    Wir bleiben beim Thema der Flüchtlingspolitik, wenn auch aus einer anderen Perspektive. Es geht jetzt um die gerechte Verteilung von Flüchtlingen auf die Staaten der Europäischen Union. Italien und Griechenland kommen dabei bekanntermaßen schlecht weg, denn an ihren Küsten landen ja die meisten Bootsflüchtlinge. Die Europäische Kommission wollte deshalb verbindliche Flüchtlingsquoten vereinbaren, aber viele Staaten, unter ihnen besonders viele osteuropäische, haben das abgelehnt, unter anderem die Slowakei.
    Für sie sitzt der liberale Politiker Richard Sulik im Europaparlament. Er ist Vorsitzender der Partei Freiheit und Solidarität. Und wenn Sie sich gleich über sein ausgezeichnetes Deutsch wundern sollten: Richard Sulik hat selbst elf Jahre in Deutschland gelebt. Guten Morgen, Herr Sulik.
    Richard Sulik: Schönen guten Morgen.
    Heuer: Wenn sie Bilder sehen vom Gedränge von Flüchtlingen auf mazedonischen Bahnsteigen, von Schlauchbooten und Leichen im Mittelmeer, Herr Sulik, welche Gefühlen lösen solche Bilder bei Ihnen aus?
    Sulik: Das erste, was mir durch den Kopf geht, ist ein Versagen der europäischen Sicherheitspolitik, ein Versagen der Grenzsicherung.
    Heuer: Das ist das Erste, was Sie da empfinden, wenn Sie diese Menschen sehen?
    Sulik: Ja sicherlich. - Sicherlich! - Die Grenzen sind doch dazu da, dass sie beschützt werden. Wenn jetzt alle Leute hin und her können, dann können wir die Grenzen gleich abschaffen.
    Flüchtlinge müssen zurückgebracht werden
    Heuer: Ich hatte jetzt ganz ehrlich erwartet, Herr Sulik, dass Sie sagen, die tun mir auch leid.
    Sulik: Ja, aber das ist doch keine Lösung. Das sind reine Alibiaussagen. Wir wollen jetzt eine Lösung finden. Die Lösung ist, die Grenzen richtig zu sichern, und die Flüchtlinge, die durch diese Schlepperbanden nach Europa gebracht werden, die müssen wir einfach zurückbringen.
    Heuer: Zurückbringen nach Syrien, nach Eritrea, in Staaten, die in Auflösung begriffen sind, in Staaten, wo islamistischer Terror herrscht und diese Menschen ihres Lebens nicht sicher sind?
    Auffanglager in Nordafrika errichten
    Sulik: Nein, nein, nein. Das habe ich nicht gesagt. In dem Beitrag selbst wurde ja von Flüchtlingen aus Ostafrika gesprochen und auch aus Nordafrika kommen ja viele. Viele sind ja Wirtschaftsflüchtlinge. Nicht alle Flüchtlinge haben das Leben bedroht. Nicht das Leben von allen Flüchtlingen ist bedroht. Was die Europäische Union machen muss, ist einfach ein Auffanglager für alle Asylbewerber, und das sollte möglichst in Nordafrika errichtet werden.
    Heuer: Und Sie glauben, die gehen da hin? Sie glauben, die Flüchtlinge gehen da freiwillig hin?
    Sulik: Ja wenn jemand Asyl beantragen will und in Europa leben will, dann muss er da hin. Das ist einfach eine Bedingung, über die man nicht diskutieren sollte.
    Heuer: Ja. Aber die Menschen suchen sich ja ihre Wege. Man sieht das ja. Sie können ja nicht durch die Schaffung eines Auffanglagers verhindern, dass Tausende, zig Tausende ihr Heil bei Schleusern suchen werden.
    Sulik: Ja wir sind jetzt wieder am Anfang des Themas. Alle, die ausgewiesen werden, oder alle, die an der Küste ankommen, werden einfach dort hingebracht.
    Heuer: Sagen Sie das eigentlich auch Syrern, also Flüchtlingen, deren Leben ja nun tatsächlich bedroht ist? Sie haben ja die Unterscheidung gemacht zwischen denen, die eine wirtschaftlich bessere Lage suchen, und denjenigen, die tatsächlich vom Tode bedroht sind. Sagen Sie das auch Syrern, bleibt weg, oder wenn ihr kommt, wir bringen euch wieder nach Hause?
    Sulik: Nein, nicht nach Hause! In dieses Auffanglager. Wenn die Europäische Union außerhalb der EU ein Auffanglager errichtet - da wird natürlich die Sicherheit gewährt, das wird durch die EU finanziert -, da sind die Syrer nicht mehr am Leben bedroht und die können da durchaus auch die Zeit verbringen, bis über deren Asylantrag entschieden wird.
    Flüchtling soll Antrag beim Land seiner Wahl beantragen können
    Heuer: Und dann dürfen die aber vielleicht kommen?
    Sulik: Ja sicherlich. Wenn jemand Asyl gewährt bekommt, dann darf er kommen.
    Heuer: Auch zu Ihnen in die Slowakei, Herr Sulik?
    Sulik: Nein, nein, nein. In diesem Auffanglager muss natürlich ein europäischer Richter sitzen, also ein Richter aus jedem europäischen Land. Und wenn jetzt ein Flüchtling aus Syrien kommt, der wird bei dem Richter beziehungsweise bei dem Land seiner Wahl Asyl beantragen. Und wenn der zum Beispiel bei einem Richter aus der Slowakei ist und wenn der ein slowakisches Asyl bekommt, dann darf der natürlich in die Slowakei.
    Heuer: Das wundert mich, weil heute Morgen erreicht uns die Nachricht, dass Ihr Land gesagt hat, Muslime unter den Flüchtlingen nehmen wir nicht, wir nehmen nur Christen.
    Sulik: Ja das ist einfach ein gutes Recht jedes Landes, so zu entscheiden. Es kann sein, dass es der Bevölkerung nicht gefällt. Dann wird sie wohl eine andere Regierung wählen. Und jetzt egal, ob das richtig oder falsch ist, das ist einfach eine auf demokratischem Wege entstandene Entscheidung.
    Heuer: Also Sie bestätigen diese Meldung? Sie nehmen nur christliche Flüchtlinge auf? Muslime müssen nach Westeuropa?
    Sulik: Bitte vermischen Sie jetzt nicht alles zusammen.
    Heuer: Ihr Land, nicht Sie persönlich?
    Sulik: Nein, das war die slowakische Regierung, die sich so geäußert hat, nehme ich an. Ich bin ein Oppositionspolitiker. Ich hätte das vielleicht nicht gesagt. Aber diese Regierung wurde ja demokratisch gewählt und jetzt hat sie gesagt, sie nehmen nur christliche Flüchtlinge auf. Darüber kann man diskutieren, aber nicht darüber, dass die Regierung das Recht hat, das zu sagen.
    Slowakei ist nicht zur Flüchtlingsaufnahme verpflichtet
    Heuer: Wie viele Flüchtlinge hat die Slowakei letztes Jahr aufgenommen, Herr Sulik?
    Sulik: Keine Ahnung. Es besteht ja auch keine Pflicht, irgendwelche Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist ja kein Menschenrecht, kein Grundrecht. Wenn jemand irgendwo auf der Welt sagt, ich will ab morgen in Europa leben, die Slowakei ist nicht verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen.
    Heuer: Es ist ein Menschenrecht, dass Menschen in Not geholfen wird. Jedenfalls ist das der Command in der Europäischen Union, der Ihr Land ja angehört.
    Sulik: Sie sehen ja, wo das hinführt. Schauen Sie nach Calais, schauen Sie nach Mazedonien, da sehen Sie genau, wo dieser alibistische Humanismus hinführt. So kann es nicht weitergehen!
    Heuer: Herr Sulik, ich weiß, wie viele Flüchtlinge die Slowakei letztes Jahr aufgenommen hat. Es waren genau 14. Und wir hatten gestern Morgen ein Interview mit dem österreichischen Sozialdemokraten Hannes Swoboda in diesem Programm, und da hat er folgendes gesagt:
    O-Ton Hannes Swoboda: "Wer bereit ist, Flüchtlinge aufzunehmen, bekommt einen gewissen Betrag. Wer nicht bereit ist, bekommt eben diesen Betrag dann nicht, bekommt nicht diese Unterstützung. Dann müsste es eigentlich im europäischen Budget eine gewisse Umverteilung geben in Richtung jener Länder, die bereit sind, für Flüchtlinge auch wirklich zu sorgen."
    Solidarische EU-Grenzsicherung
    Heuer: Wären Sie bereit, auf EU-Mittel zu verzichten, um keine Flüchtlinge aufnehmen zu müssen?
    Sulik: EU-Mittel - meinen Sie Strukturfonds oder so etwas?
    Heuer: Ja, zum Beispiel. Das wäre dann eine technische Frage, wie so ein Plan umgesetzt würde. Bislang ist das ja nur ein Vorschlag.
    Sulik: Ich sehe da keinen Zusammenhang - erstens. Zweitens: Diese Strukturfonds, das deformiert nur die Wirtschaft und bringt die Korruption in unser Land. Ich würde die gesamten Strukturfonds einfach mal abschaffen. Aber mal abgesehen davon: Ich bin dafür, dass die europäischen Länder solidarisch und gemeinsam eine Grenzsicherung finanzieren, dass zum Beispiel das Budget von Frontex, der europäischen Agentur, die dazu da ist, die Grenzen zu sichern, dass dieses Budget aufgestockt wird, und natürlich, dass sich die Slowakei mit beteiligt. Damit will ich sagen: Ich bin nicht dafür, dass Italien und Griechenland allein die Kosten tragen. Das ist schon eine Aufgabe der Europäischen Union.
    Heuer: Herr Sulik, kurz zum Schluss. Sie sind mit Ihrer Familie 1980 selbst nach Deutschland emigriert. Ich muss das so fragen. Hätten wir damals sagen sollen, bleiben Sie mal lieber zuhause, wir können nicht allen leidenden Menschen der Welt helfen? Das ist ein Zitat von Ihnen.
    Sulik: Ja, dann wären wir nicht emigriert.
    Heuer: Und das wäre für Sie kein Problem gewesen?
    Sulik: Wenn ich weiß, dass ich in dem Land nicht aufgenommen werde, dann werde ich doch nicht mit aller Gewalt versuchen, da hinzukommen. Und übrigens: Es hat auch in Deutschland ein Aufnahmelager gegeben in Zirndorf. Da mussten auch alle Immigranten hin. Man soll jetzt nicht so tun. Und wenn es in Nordafrika, von der Europäischen Union beschützt, ein Lager gäbe, wo über die Asylanträge entschieden wird, ...
    Heuer: Herr Sulik, es tut mir leid. Sie haben Ihren Punkt gemacht. Wir müssen leider zum Ende kommen. - Richard Sulik, slowakischer Europaabgeordneter. Danke Ihnen sehr für das Gespräch.
    Sulik: Schönen Tag noch!
    Heuer: Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.