Bettina Klein: Der Streit um Transitzonen an deutschen Außengrenzen dominiert im Augenblick die Debatte über Flüchtlingspolitik in Deutschland. Die Union dafür, die SPD strikt dagegen, aber auch im Unions-Lager gibt es über diese und andere Fragen offenbar Gesprächsbedarf. Zumindest das hat die gestrige Fraktionssitzung gezeigt.
Am Telefon sind wir nun verbunden mit Armin Schuster (CDU), Obmann im Bundestags-Innenausschuss. Sein Name fiel gerade schon im Bericht. Ich grüße Sie, Herr Schuster.
Armin Schuster: Guten Tag, Frau Klein.
Klein: Wir hören und lesen heute unter anderem in der Zeitung "Die Welt", es gab Kritik am Regierungskurs in der Unions-Fraktion, offenbar auch von Ihnen. Nach außen hin wird aber kommuniziert, die Fraktion stehe zu 100 Prozent hinter der Kanzlerin. Was stimmt denn nun?
Schuster: Das Zweite stimmt. Es ist leider in der Diskussion heute so, dass, wenn Du neue Aspekte, neue Instrumente einführen willst, natürlich ein Für und Wider da ist. Und das ist auch in unserer Fraktion so. Ich möchte es mal so sagen: Ich bin der Meinung, wir sind die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag, die permanent über weitere Instrumente diskutiert, wie wir dem Problem Herr werden. Ich erlebe es auch im Innenausschuss: Jedes Instrument, über das wir sprechen, ob sie jetzt das Landgrenzenverfahren nehmen oder was auch immer, kann natürlich von irgendjemandem sofort skandalisiert werden. Das musst Du aushalten!
Klein: Herr Schuster, dann nennen wir es nicht Kritik, nennen wir es Diskussion.
Schuster: Ja!
Menschen gegebenenfalls direkt an der Grenze zurückweisen
Klein: Welche inhaltlichen Bedenken haben Sie denn vorgetragen gestern?
Schuster: Ich bin vielleicht ein bisschen operativ gewesen oder, sagen wir mal, stark an der Realität hängend. Aufgrund meiner 30-jährigen Vergangenheit als Bundespolizist habe ich dafür plädiert, ernsthafter die Möglichkeit zu prüfen, reguläre Grenzkontrollen zu fahren und dabei auch Menschen direkt an der Grenze zurückzuweisen. Ich habe dafür geworben, dass die Bundespolizei seit 1951 diese Aufgabe beherrscht und sehr gut ausführt, übrigens in der Krise Mitte der 1990er-Jahre sehr gut gemanagt hat. Dieses "wir machen die Grenze dicht", Zäune und Mauern ist nicht die Qualität und Fähigkeit der Bundespolizei und ist auch nicht das, was wir wollen. Ich habe einfach versucht, mal aus der Praxis zu berichten, dass diese Organisation mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Lage ist, sehr, sehr behutsam und einfühlsam richtige polizeiliche Grenzüberwachung zu machen, ohne dass wir dabei die hässlichen Bilder erzeugen, von denen viel gesprochen wird.
Grenzkontrollen senden das richtige Signal an Bürger und Flüchtlinge aus
Klein: Herr Schuster, wo ist denn jetzt der Unterschied zwischen Zäune errichten und Soldaten aufbauen, die Flüchtlinge zurückschicken, mit welchen Methoden auch immer?
Schuster: Erstens beschäftigt die Bundespolizei keine Soldaten, sondern Polizeivollzugsbeamte. Zweitens werden wir niemals Zäune aufbauen. Die Aufgabe bestünde darin, an regulären Grenzübergängen Grenzkontrollen stattfinden zu lassen, eventuell angedockt mit dem Landgrenzenverfahren, und die grüne Grenze so zu überwachen, wie das seit Jahrzehnten durch die Bundespolizei gemacht wird. Dabei garantiere ich Ihnen ja nicht eine 100-Prozent-Lösung, aber ich garantiere Ihnen eine wirkungsvolle polizeiliche Grenzüberwachung, die auch das notwendige Signal aussendet: Erstens an unsere Bürger, wir tun da etwas, zweitens an Europa, es kann so nicht weitergehen mit einem nicht mehr existenten Dublin, und drittens natürlich auch an die Menschen auf der ganzen Welt, die im Moment vielleicht das Gefühl haben, sie könnten ungehindert nach Deutschland marschieren.
Klein: Um da noch mal nachzufragen, Herr Schuster. Das heißt, in letzter Konsequenz auch, Flüchtlinge zurückschicken, möglicherweise unter Anwendung oder Androhung von Gewalt?
Schuster: Ich habe das jahrzehntelang selber gemacht. Diese Fälle kenne ich nur bei Menschen, die tatsächlich auch straffällig geworden sind oder die man im Prinzip aufgreift und wo mehr auf dem Kerbholz ist als nur die Frage eines Asyls. Ich kenne diese Praxis nicht, von der Sie sprechen, dass die Bundespolizei massenhaft unmittelbaren Zwang anwenden würde. Die Menschen verstehen, wenn sie bei uns kein Asyl bekommen. Wir sprechen hier über Menschen, die aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen. Wir sprechen über Menschen, die ihre Identität täuschen, die ihre Pässe wegwerfen.
Klein: Es ist ja auch weniger der Blick in eine Praxis, die es möglicherweise schon gegeben hat oder immer noch gibt, sondern die Frage, was uns da in der Zukunft bevorsteht. Und wenn weiterhin so viele Menschen nach Deutschland drängen, stellt sich natürlich für Beobachter, auch für den Bürger im Land die Frage, heißt das in letzter Konsequenz, wir wollen sie nicht hier bei uns haben, dass dort Flüchtlinge, Menschen mit Gewalt zurückgewiesen werden?
Schuster: Nein!
Raum für echte Kriegsflüchtlinge schaffen
Klein: Das heißt, wenn die Grenze gestürmt wird, dann dürfen sie kommen, oder wie?
Schuster: Frau Klein, das sind doch Horrorszenarien, die wir nie erlebt haben. Und wir haben eine ähnliche Krise Mitte der 1990er-Jahre gehabt. Ich weiß gar nicht, wo diese Bilder herkommen. Die hat niemand jemals erlebt und wir werden sie auch jetzt nicht erleben, weil wir eine große Menge von Menschen aufnehmen werden in diesem Land, aber auch, nehmen wir mal jetzt dieses Jahr, 100.000 Kosovaren und Albaner, die überhaupt keine Bleibeperspektive haben. Die müssen wir doch nicht aufwendig in einem monatelangen Verfahren in Deutschland durchschleusen, um ihnen am Ende das zu erklären, was ich in den 48 Stunden oder sofort an der Grenze auch schon erklären kann. Im Prinzip entlasten wir doch, um für echte Kriegsflüchtlinge Raum, Kapazität zu haben und uns denen gegenüber übrigens humanitärer verhalten zu können, als wir es im Moment noch in der Lage sind.
Klein: Mein Eindruck ist, Herr Schuster, dass es Menschen gibt, die befürchten, dass wir solche Bilder haben werden, und die einfach, wenn wir über diese Verfahren, diese Maßnahmen sprechen, das vielleicht gerne ausgeschlossen wissen wollen, dass am Ende Bundespolizisten mit Gewehren in der Hand dastehen und mit Waffengewalt Flüchtlinge zurückweisen.
Schuster: Sehen Sie, Frau Klein, jetzt schließt sich der Kreis. Deswegen bin ich in der Fraktion aufgestanden, weil natürlich auch in unserer Fraktion bestimmt Menschen sind, die diese Sorge haben, weil diese Bilder ständig an die Wand gemalt werden. Ich habe, wenn Sie so wollen, mal ein Plädoyer dafür gehalten, dass wir eine Bundessicherheitsbehörde haben, nämlich die Bundespolizei, der man durchaus mehr zutrauen kann als es im Moment getan wird. Die Frage, wir könnten unsere Grenze nicht mehr kontrollieren, halte ich für nicht zulässig, so zu argumentieren, und ich halte es auch nicht für zulässig zu argumentieren, die Bundespolizei würde da in menschenverachtender Weise mit diesen Leuten umgehen. Nichts davon wird stimmen.
Es geht nicht um Kadavergehorsam
Klein: Zurück zur Fraktionssitzung und zum Kurs der Bundesregierung. Hatten Sie denn, Herr Schuster, den Eindruck, dass Sie mit dem, was Sie vorgeschlagen haben, da auf einer Linie mit der Kanzlerin sind?
Schuster: Ich habe gespürt, dass diese Gedanken sie jetzt beschäftigen, und das war mein Ziel. Und das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Hier geht es nicht um Kadavergehorsam oder sonst was in einer Fraktion, wie es oft gerne unterstellt wird. Das ist die eigentliche Stärke von Angela Merkel, dass wir genau in dieser konstruktiven Art und Weise mit ihr diskutieren dürfen und können und unsere Meinung bringen können, weil wir wissen, dass das bei ihr ankommt, und ich weiß, dass sie das verarbeitet. Sie ist auf der internationalen Bühne permanent dabei, Fluchtursachen zu bekämpfen, und ich glaube, dass sie, wenn sie im Europäischen Rat sitzt, genau das jetzt tun wird, was wir brauchen, nämlich Österreicher, Slowenen, Kroaten von dieser Idee anstecken und nicht über künstliche Verteilquoten zu sprechen, sondern einen Rückweg zu machen zu einem funktionierenden Schengen- und Dublin-System. Wenn jeder seine grenzpolizeiliche Arbeit machen würde, dann wäre in jedem Land die Chance, Flüchtlinge aufzunehmen, und jeder hätte quasi natürlich seinen Beitrag geleistet. Das ist eigentlich das, was ich erzeugen wollte, und ich kenne sie. Ich bin ziemlich sicher, dass das bei ihr angekommen ist.
Klein: Herr Schuster, abschließend: Sie müssen dafür ja nicht nur eine Mehrheit in Ihrer Fraktion bekommen, sondern das auch mit dem Koalitionspartner, mit der SPD durchsetzen. Ihre kurze Einschätzung: Glauben Sie, dass die SPD, was Ihre konkrete Idee angeht, da mitgeht?
Schuster: Bisher hat die SPD ja vermutlich aus ihrer kommunalpolitischen Basis genügend Druck bekommen und ist unseren Ideen dann weitestgehend gefolgt, weil die Kommunen, die SPD-regiert sind, ja auch die gleichen Probleme haben. Ansonsten, sage ich mal, fallen wir auf mit Ideen und mit Instrumenten. Das finde ich auch gut so. Ich habe von der SPD jetzt eigentlich noch gar nichts gehört. Insofern wäre es mir ganz recht, wenn die sich einfach mit unseren Vorschlägen beschäftigen würden, und dann glaube ich, dass sie alsbald merken, das ist gut. Da mache ich mir jetzt eigentlich nicht die großen Sorgen.
Klein: Diese Frage bleibt noch offen. - Herr Schuster, herzlichen Dank für das Interview. Das war der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Er ist Obmann im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Danke, Herr Schuster.
Schuster: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.