Archiv

Flüchtlingsdebatte
"Politiker sollten dem Volk aufs Maul schauen"

Die AfD-Chefin Frauke Petry hat erneut Kritik an der deutschen Asylpolitik geäußert. Viele Flüchtlinge suchten in Deutschland ein besseres Leben, hätten aber kein Recht auf Asyl, sagte Petry im Deutschlandfunk. Man könne verstehen, warum Bürger wütend seien. Rassistische Äußerungen seien aber nicht hinnehmbar.

Frauke Petry im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Die neu gewählte AfD-Vorsitzende Frauke Petry
    AfD-Vorsitzende Frauke Petry (picture alliance/dpa/Maja Hitij)
    Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry hat zu einer offenen Diskussion über die deutsche Flüchtlingspolitik aufgerufen. "Politiker sollten dem Volk auf's Maul schauen", sagte Petry im DLF. Sie sollten erklären, wo es Probleme gebe. Konflikte dürfe man nicht totschweigen. Als Beispiele nannte sie ethnische Konflikte und Gesundheitsprobleme in Flüchtlingsunterkünften. Petry betonte, es sollte nicht generell von Flüchtlingen gesprochen werden. Stattdessen müsse man zwischen verfolgten Asylbewerbern und Menschen, die in Deutschland ein besseres Leben suchten und keinen Anspruch auf Asyl hätten, unterscheiden.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Für die Bundesregierung ist die Migration das wichtigste Thema der Gegenwart. Die Regierung rechnet inzwischen damit, dass rund 800.000 Menschen in diesem Jahr von dem Asylrecht Gebrauch machen werden, das die Mütter und Väter aus guten Gründen im Grundgesetz festgeschrieben haben. Man kann vor Überfremdung, Islamisierung oder anderen vorgeblichen oder tatsächlichen Übelständen warnen; man kann in multikultureller Vorfreude die Arme ausbreiten; man kann aber auch den Verstand einschalten und alles dafür tun, dass diese Menschen zu ihrem und zum Nutzen des Landes aufgenommen werden. Das heißt, Verhindern, dass wir bald über weitere Gettos, Parallelgesellschaften und verlorene Generationen reden müssen. Keine Frage, dass der Staat jetzt auch auf die Bürgerinnen und Bürger angewiesen ist. Auf viele Menschen ist Verlass. Über zahlreiche Initiativen, Organisationen, spontane Hilfe einzelner Personen, von Verbänden der Kirchen haben wir in diesem Programm berichtet. Ein Blick ins Internet offenbart aber auch einen anderen Zeitgeist.
    Am Telefon ist Frauke Petry, die Vorsitzende der Alternative für Deutschland, der AfD, Abgeordnete des Landtags von Sachsen. Guten Morgen.
    Frauke Petry: Guten Morgen.
    Heinemann: Schaut man sich Kommentarspalten unter Artikeln zur derzeitigen Flüchtlingssituation an, wird einem regelmäßig schlecht. Das hat der Grünen-Politiker Konstantin von Notz uns, dem Deutschlandfunk gesagt. Wie geht es Ihnen dabei?
    Petry: Ja, sicherlich. Wenn man radikale extreme Äußerungen zu diesem sehr brisanten Thema liest, dann sieht man, dass viele Menschen nicht in der Lage sind, die Probleme zu differenzieren, und das macht ganz klar, wo die Aufgabe der Politik liegt, nämlich den Bürgern mitzuteilen, wie die Situation tatsächlich aussieht, was sie zu tun gedenkt, egal auf welcher politischen oder auf welcher Verwaltungsebene, und wie sie die Bürger bei diesen Problemen mitnimmt. Und da zeigt sich leider nicht erst seit einigen Wochen, sondern schon seit längerer Zeit einfach, dass die Bundesregierung, aber auch die Landesregierungen, die Staatsregierungen und die Kommunen massiv mit diesem Problem überfordert sind und auf diesen Flüchtlingsstrom, auf den Anstrom von Asylbewerbern mitnichten vorbereitet war und immer noch nicht ist.
    Heinemann: Wie sollte die Politik umgehen mit rassistischen Äußerungen, wie wir sie gerade gehört haben?
    Petry: Rassistische Äußerungen sind nicht hinnehmbar. Das ist vollkommen richtig. Aber die Frage zu stellen, wie sie damit umgeht, greift eben nicht weit genug, sondern die Frage muss lauten, wie geht die Regierung, wie geht die Politik überhaupt mit der Aufgabe der Asyl- und Flüchtlingspolitik um.
    Heinemann: Frau Petry, Entschuldigung! Ich hatte eine andere Frage gestellt. Die Frage lautete: Wie sollte die Politik mit den rassistischen Äußerungen umgehen?
    Petry: Das habe ich Ihnen ja beantwortet.
    Heinemann: Nein!
    Petry: Ich habe Ihnen gesagt, dass mit rassistischen Äußerungen immer so umzugehen ist, dass radikale Äußerungen, in denen Menschen verunglimpft werden, zu verurteilen sind, und jeder Demokrat wird das auch weiterhin tun. Das alleine reicht aber nicht, weil herausgefunden werden muss, woher diese rassistischen Äußerungen kommen und woher die Bürger das Unwissen einfach haben, warum sie nach wie vor nicht wissen, wie mit diesem Problem umzugehen ist. Das müssen sie nicht alleine beantworten; dabei muss die Politik ihnen helfen, und das tut sie eben nur unzureichend.
    "Man sollte nicht generell von Flüchtlingen sprechen"
    Heinemann: Mit Sprache beginnt es. Sollte man über die Menschen, die hier herkommen, mit Begriffen wie Flüchtlingsströme - das hatten Sie, glaube ich, gerade verwendet, das Wort - oder Flut oder Welle oder Ansturm sprechen?
    Petry: Nein, man sollte vor allen Dingen nicht generell von Flüchtlingen sprechen. Denn wir reden von einer Situation, in der wir eine Asyl-Anerkennungsquote im unteren einstelligen Bereich haben, noch nicht einmal zwei Prozent. Wir reden über Bürgerkriegsflüchtlinge mit einer Anerkennungsquote von vielleicht 25 bis 30 Prozent. Und alle anderen, die bei uns Aufnahme begehren, sind Menschen, die hier nach einem besseren Leben suchen, was verständlich ist, was aber keinen Asylgrund darstellt und auch kein Flüchtlingsgrund ist.
    Heinemann: Und auch ein Fluchtgrund. Insofern sind es schon Flüchtlinge.
    Petry: Nein, das ist keiner. - Na ja, dann ist jeder, der aus der Ehe flüchtet, ein Eheflüchtling. - Das ist kein Fluchtgrund, wenn Sie die Genfer Konvention genau lesen.
    Heinemann: Für Eheflüchtlinge gibt es kein Asylrecht.
    Petry: Nein, gibt es nicht. Genauso gibt es sie nicht, wie es Wirtschaftsflüchtlinge nicht gibt. Es sind Migranten, es sind Einwanderungswillige oder in ihrem jeweiligen Land Auswanderungswillige. Das ist sehr verständlich, aber eben gerade kein Asylgrund und auch kein Flüchtlingsgrund.
    Heinemann: Frau Petry, fördern Netzeinträge, wie wir sie eben gehört haben, einen populistischen Politikansatz?
    Petry: Jede Partei, die Politik macht, sollte sich das Volk doch, bitte schön, zum Vorbild beziehungsweise zum Adressat ihrer Politik machen. Insofern ist die Frage nach Populismus an der Stelle überhaupt nicht angebracht.
    Heinemann: Fühlen sich Populisten von solchen Einträgen beflügelt? Versuche ich es mal so herum.
    Petry: Nun ja, die Politiker sollten dem Volk aufs Maul schauen und wenn sie merken, dass die Bürger nicht verstehen, wo das Problem liegt, sollten sie es ihnen erklären. Wenn Sie das mit Populismus meinen, dann sollten eigentlich alle Politiker, bitte schön, den Populismus sehr ernst nehmen und sollten natürlich auch ein Stück davon selbst betreiben.
    Heinemann: Sie selbst haben im vergangenen Jahr gesagt, wir wissen alle, dass Europa nicht halb Afrika aufnehmen kann. Tragen solche Äußerungen zur Entspannung bei?
    Petry: Es geht hier nicht um Entspannung. Es geht darum, das Problem zu lösen. Wenn Sie das mit Entspannung meinen, dann sagen wir mal, dass eine offene Diskussion dazu beiträgt, auch die Sprache, die Ihnen ja auch gerade wichtig war, ernst zu nehmen. Und genau das tun all diejenigen Politiker nicht, die den Menschen weiterhin vorgaukeln, wir redeten hier nur über Flüchtlinge. Und Tatsache ist, dass jeder Mensch nach einem besseren Leben begehren darf, aber wir dürfen die Definition eben nicht verwechseln, und dann kann man auch verstehen, warum Bürger wütend werden. Man muss ihnen erklären, dass wir sehr wohl all denjenigen, die verfolgt sind, Schutz gewähren müssen und sollen, weiterhin, aber dass alle anderen nach einem anderen Verfahren, nämlich mit einem geregelten Einwanderungsverfahren in unserem Land Aufnahme beantragen können.
    Petry: Wir holen uns ethnische Konflikte nach Deutschland
    Heinemann: Wir müssen die Sprache ernst nehmen, sagten Sie. "Wir holen uns nicht nur die Religionskriege, sondern auch alle Krankheiten der Welt ins Land." Dieser Satz stammt von Petra Federau vom Vorstand der AfD in Mecklenburg-Vorpommern. Und sie hat auch noch geäußert, demnächst müsse man wohl für die bessere Willkommenskultur auch noch - und jetzt kommt's - Afrikanisch lernen, wo immer diese Sprache gesprochen wird. Können Sie so was noch ernst nehmen?
    Petry: Nun ja, Sie wissen in der Tat, dass bei der Aufnahme von Asylbewerbern - ich habe das selbst in einem Erstaufnahmeheim in Chemnitz beobachten können - auch unsere Gesundheitspolitik an ihre Grenzen kommt, dass sie zum Teil überfordert ist. Insofern zeigt das, dass natürlich die Aufnahme von Asylbewerbern von vielen, vielen Menschen in sehr, sehr kurzer Zeit auf sehr begrenztem Raum die Gesellschaft auf allen Ebenen, auch im Bereich der Gesundheitspolitik fordert. Das wissen wir auch aus Berlin von dem Masern-Ausbruch. Insofern ist diese Äußerung nicht differenziert. Insofern müssen wir auch hier bei dieser Äußerung sehr wohl zwischen, wie ich gerade schon sagte, verfolgten Asylbewerbern und anderen Menschen unterscheiden. Aber wir müssen uns in dem Fall um sie kümmern und da nützt es nichts, den Bürgern zu sagen, dass das alles problemlos funktioniert, wenn man vor Ort sehen kann, dass es genau das nicht tut, vor allen Dingen, wenn die Zahlen in der Form anwachsen, in der sie anwachsen. Und vielleicht ein Beispiel aus Dresden: Wenn man den Menschen sagt, es gibt eine Zeltstadt, die für wenige Wochen aufrecht erhalten wird, in Wirklichkeit aber daran baut, die Containerstadt für Monate, wenn nicht gar Jahre stabil zu machen, dann führt man die Bürger hinters Licht und dann muss man sich nicht wundern, wenn Bürger Politikern dann auch in dieser heiklen Frage nicht mehr Glauben schenken. Und das dürfen wir nicht riskieren!
    Heinemann: Im Prinzip würden Sie sagen, wir holen uns die Religionskriege und auch alle Krankheiten der Welt ins Land. Oder erschwert solche Hetze aus der AfD eine vernünftige Flüchtlingspolitik?
    Petry: Ich habe Ihnen gerade gesagt, dass diese Äußerungen nicht differenziert sind. Aber dass wir uns ethnische Konflikte nach Deutschland holen, wenn Asylbewerber auf engstem Raum zusammenleben müssen, zum Teil auch unter hygienisch und damit auch gesundheitlich sehr bedenklichen Bedingungen, das muss keine Äußerung von der AfD sein. Dafür können Sie in jede Erstaufnahmeeinrichtung gehen, um die Realität zu sehen, in der solche Konflikte tagtäglich stattfinden. Und diese totzuschweigen, ist doch wahrscheinlich kein besserer Ansatz, um sie zu lösen.
    Petry: Medien nennen Hintergründe der Konflikte zu wenig
    Heinemann: Wer schweigt die tot?
    Petry: Sie können sehr wohl erleben, dass bei der Berichterstattung vor Ort häufig die tatsächlichen Hintergründe solcher Konflikte nicht benannt werden. Da haben die Medien eine sehr große Aufgabe, die weder aufzubauschen, aber sie eben auch nicht kleinzureden. Deswegen ist das sehr wohl eine Aufgabe auch der Öffentlichkeit, mit diesen Problemen differenziert umzugehen. Sonst können wir sie nämlich nicht lösen.
    Heinemann: Frau Petry, sollte, wer Angst vor Fremden hat, einfach mal Fremde kennenlernen? Könnte es auf diese Weise einen Wandel durch Annäherung geben?
    Petry: Oh ja! Sich kennenzulernen und gegenseitig von den Problemen zu erfahren, ist in jedem Fall immer eine gute Lösung.
    Heinemann: Haben Sie das schon gemacht?
    Petry: Ja natürlich. Ich habe Erstaufnahmeeinrichtungen besucht. Es gibt Aufnahmeeinrichtungen in meiner direkten Umgebung. Natürlich haben wir diese Gespräche geführt und haben erfahren, dass es das ganze Spektrum von Gründen gibt, nach Deutschland zu kommen, die den Behörden auch sehr wohl bewusst sind, die aber in der Öffentlichkeit auch gerade dadurch, dass generell fast nur von Flüchtlingen und nicht von Asylbewerbern, Bürgerkriegsflüchtlingen und Migranten gesprochen wird, sehr erschwert wird.
    Heinemann: Frauke Petry, die Vorsitzende der Alternative für Deutschland. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Petry: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.