"Diese Gräber zeigen Richtung Mekka. Es sind alles Menschen, die ertrunken sind. Hier liegt ein zweijähriges Kind, es kam am 9. November ums Leben. Und hier noch eins. Wir haben sie am selben Tag begraben."
Der Friedhof in Mytilini, der Hauptstadt der Insel. Friedhofswächter Christos Mavrahilis zeigt auf eine Fläche am Rande des christlichen Teils- die Grabfelder für Muslime. Kleine Marmortafeln liegen auf den Gräbern: Darauf meistens das Wort "Unbekannt", außerdem der Todestag und eine Zahl:
"Diese Zahl enthält Angaben zur DNA des Toten. Der Gerichtsmediziner hat die Daten. Einige Tote wurden dadurch schon identifiziert."
Der 53-jährige Friedhofswächter stockt. Auch nach sechs Jahren in diesem Beruf sei es nicht leicht, damit umzugehen. Dann schüttelt er den Kopf und wird sachlicher:
"Aber wir haben keinen Platz mehr. Die Stadt will den Friedhof erweitern. Diese Mauer hier soll abgerissen werden und der Olivenhain, der dahinter liegt soll aufgekauft werden. Bis es aber soweit ist, kann ich einfach niemanden mehr bestatten."
Kein Platz im Leichenhaus
Und deshalb gibt es auch im Leichenhaus von Mytilini keinen Platz mehr. Allein am 28. Oktober, als ein Boot mit 300 Insassen vor der Küste von Lesbos kenterte, wurden über 60 Leichen geborgen. Sie alle befinden sich nun in einer speziellen Kühlanlage im Hof des Krankenhauses von Mytilini bis die Kommune eine Lösung findet. Marios Andriotis, der Pressesprecher der Stadt erklärt die Situation:
"Wir sind einfach nicht auf so viele Tote vorbereitet. Die Menschenschmuggler sind unberechenbar, jeden Tag gibt es neue Opfer. Wir sind deshalb der Meinung, dass es zwischen der Türkei und unserer Insel eine Fähre für Flüchtlinge geben sollte. Mit einer Änderung der Europäischen Verträge wäre das möglich. So würden die Menschen sicher zu uns kommen, ohne in die Hände der Schlepper zu geraten."
Tote gehören zum Alltag der Bewohner
Diesen Vorschlag habe die Stadt der EU schon längst unterbreitet, sagt Andriotis. Doch die Menschen auf Lesbos haben wenig Hoffnung, dass den Schleppern wirklich das Handwerk gelegt werden kann. Das sieht auch Stratoula Tragieli so. Sie sitzt zusammen mit ihrer Freundin Emi und deren kleinen Enkelin auf einer Bank am malerischen Hafen von Skala Sykamias. Das 150-Seelen-Dorf liegt im Norden der Insel, gegenüber der türkischen Küste. Während sie plaudern, sehen sie in der Ferne ein Schlauchboot mit Flüchtlingen. Auch wenn es mittlerweile zum Alltag der Dorfbewohner geworden ist: Der Anblick ist jedes Mal ein Schock, erzählt die 66-Jährige:
"Viele Menschen, die ankommen, fallen in Ohnmacht, andere sind krank, wir sehen das jeden Tag. Man kann es nicht so schnell vergessen. Es sind so viele Menschen, darunter viele Babys, einige sind gerade noch bei Bewusstsein. Es tut uns so weh, das zu sehen!"
Früher waren die Einheimischen mit dieser Situation auf sich alleine gestellt, erzählt Stratoula Tragieli. Jetzt gebe es zumindest die Unterstützung der Hilfsorganisationen, die die Menschen versorgen und ins Flüchtlingscamp schicken. Die 66-jährige macht sich nun Sorgen darüber, was die Terroranschläge in Paris für die Insel bedeuten könnten. Denn sollte die EU ihre Flüchtlingspolitik verschärfen, so glaubt sie, sei bestimmt mit noch mehr Toten vor der Küste von Lesbos zu rechnen.