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Flüchtlingsdrama im Mittelmeer
"Wir in Europa können nicht die ganze Welt umarmen"

Der CSU-Außenpolitiker Hans-Peter Uhl verteidigte im DLF das Ende des Seenot-Rettungsprogramms Mare Nostrum. Wenn man Hunderttausende vor dem Ertrinken rette, müssten diese Flüchtlinge anschließend verteilt werden - doch die EU sei sich nicht einig, wohin. Das ändere sich auch nicht bei einem neuen Rettungsprogramm.

Hans-Peter Uhl im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dr. Hans-Peter Uhl, CSU-Innenexperte, aufgenommen am 19.02.2014 während der ARD-Talksendung "Anne Will" zum Thema: "Ziemlich beste Koalitions-Feinde - Wie groß ist der Schaden durch den Fall Edathy?" in den Studios Berlin-Adlershof.
    Es konnte keiner wissen, dass die Zahlen der Bootsflüchtlinge so dramatisch ansteigen, sagte Hans-Peter Uhl, CSU, im Deutschlandfunk. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Dirk-Oliver Heckmann: Es handelt sich um das wohl schlimmste Unglück bisher. 700 Menschen waren in der Nacht zu Montag in einem völlig überfüllten Boot zusammengepfercht, und als ein portugiesischer Tanker in die Nähe kam, kenterte das Schiff. Gerade einmal 28 Menschen konnten gerettet werden. Und die Zahl der Opfer, die könnte sogar noch höher ausfallen. Ein Überlebender berichtet nämlich, nicht 700 Menschen seien auf dem Boot gewesen, sondern 950.
    Die Außenminister der Europäischen Union waren ohnehin dazu verabredet, sich heute in Luxemburg zu treffen. Schnell war aber klar: Die Flüchtlingskatastrophe auf dem Mittelmeer rückt ganz nach oben auf die Tagesordnung. Auch die Innenminister der Europäischen Union kommen heute zu einem Sondertreffen zusammen. So wie jetzt kann es nicht weitergehen, schallt es von allen Seiten. Doch was genau geändert werden muss, da gehen die Ansichten auseinander.
    Am Telefon ist jetzt Hans-Peter Uhl von der CSU. Er ist Mitglied im außenpolitischen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Tag, Herr Uhl.
    Hans-Peter Uhl: Grüß Sie Gott, Herr Heckmann!
    Heckmann: Heribert Prantl überschrieb seinen Kommentar in der Süddeutschen Zeitung mit dem Titel „Diese Union tötet". Hat er recht?
    "Zuerst einmal Menschenleben retten"
    Uhl: Natürlich nicht. Aber wir kennen ja Heribert Prantl für seine zuspitzenden Formulierungen. Es sind manchmal schwer erträgliche. Er hat nicht recht.
    Heckmann: Aber Fakt ist ja, dass im Herbst letzten Jahres die italienische Regierung das Seenot-Rettungsprogramm Mare Nostrum beendet hat, denn die anderen EU-Mitgliedsländer, die haben eine maßgebliche Unterstützung verweigert. Es kam dann dieses kleinere EU-Programm Triton, das aber vor allem dazu dient, die eigenen EU-Grenzen zu überwachen, Flüchtlinge abzuhalten. War das nicht eine unverantwortliche Politik, die da gefahren wurde?
    Uhl: Das möchte ich so nicht sagen. Aber richtig ist, dass wir jetzt bei dieser Lage, die sich jetzt so zugespitzt hat, natürlich zunächst einmal Menschenleben retten müssen im Mittelmeer, und zwar sofort. Dass Italien die Last dieser Aktion nicht alleine tragen muss, ist auch richtig. Das heißt, die Europäische Union muss helfen, muss finanzieren, damit die italienische Marine Menschenleben retten können.
    Heckmann: Sie sagen, Herr Uhl, die Lage hat sich jetzt so zugespitzt. Aber Faktum ist doch auch, dass dieser Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer schon seit Jahren eigentlich zu beobachten ist und Tausende, Abertausende dabei ums Leben kommen. Das hätte man doch absehen können, dass, wenn Mare Nostrum eingestellt wird, dann Tausende weitere Menschen zu Tode kommen.
    Uhl: Das stimmt nicht. Es sind Grundstrukturen da, da gebe ich Ihnen recht. Aber wie Migrationsströme aus allen Ländern der Welt nach Europa verlaufen, in welcher Intensität und auf welchen Routen, ändert sich fortlaufend ja monatlich. Die Zahlen gingen runter, dann gehen sie jetzt wieder rauf. Dass sie so dramatisch ansteigen, konnte keiner wissen.
    Heckmann: Lampedusa war im Jahr 2013.
    Uhl: Das ist richtig, ja. Aber Sie werden sehen, die Migrationsströme können sich auch wieder ändern und der Schwerpunkt kann wieder bei Griechenland liegen, oder bei Spanien liegen, oder vielleicht über die Türkei und dann die Balkan-Route. Das sind Kriminelle, die das Ganze organisieren. Die suchen sich immer die Stelle oder die Kette mit dem schwächsten Glied und da machen sie ihre Geschäfte.
    Heckmann: Aber bekannt ist auch, dass 150.000 Menschen offenbar gerettet werden konnten durch dieses italienische Programm Mare Nostrum. Dass viele Menschen zu Tode kommen würden, wenn man diese Operation nicht fortsetzt, das ist doch absehbar gewesen.
    Schlepper haben "Lizenz zum Gelddrucken"
    Uhl: Ja. Ich teile Ihre Meinung, dass wir jetzt Menschenleben retten müssen und die Finanzierung dieser Rettungsaktion durch die italienische Marine beschließen müssen. Ich bin mir sicher, das wird dann auch geschehen, wahrscheinlich nicht bei den Innen- und Außenministern, aber vielleicht nächste Woche, wenn die Staats- und Regierungschefs zusammenkommen. Aber noch einmal: Wenn das gemacht wird, geht das Problem ja weiter.
    Dann haben Sie Hunderttausende von Menschen gerettet vorm Ertrinkungstod, aber dann in Italien, und dann sehen wir, warum die Europäische Union sich bisher nicht einigen konnte: Was machen wir mit diesen Hunderttausenden von Menschen? Die müssen ja verteilt werden. Und da war bisher keinerlei Einigkeit zu erkennen innerhalb der Europäischen Union. Man war ganz zufrieden, dass der Großteil dieser Menschen nach Deutschland geht. Also musste man ja keine Übereinkunft vorantreiben, solange die Dinge so laufen.
    Heckmann: Kommen wir noch mal zurück zu dem Programm Mare Nostrum. Der Innenminister, Thomas de Maizière, der hat damals sich auch für die Einstellung dieses Programms ausgesprochen, mit dem Argument, damit würden noch mehr Menschen zur Flucht motiviert. War das nicht auch ein fataler Fehler?
    Uhl: Auch hier ist es gut, wenn man ganz nüchtern sieht, was sich auf dem Mittelmeer abspielt. Derzeit liegt ein Schwerpunkt der Migration über Boote, völlig überfüllt, verantwortungslos überfüllt, in Libyen. In Libyen, ein failed state, geteilt, ist der internationale Terrorismus IS unterwegs, auch um damit Geld zu verdienen. Das heißt, das ist eine Lizenz zum Gelddrucken, und damit wird die IS in die Lage versetzt, mit diesem Geld den Terror zu finanzieren. Das sind die Zusammenhänge, die man sehen muss, wenn man das Geschäft der Menschenhändler problemlos macht.
    Deswegen haben wir gesagt, hat Mare Nostrum auch keinen Sinn, wenn man diesen Terroristen und Kriminellen sozusagen, nachdem sie Vorkasse gemacht haben, das Geld kassiert haben, die Menschen auf den Booten übernimmt und sie dann mit leerem Boot zurückfahren können, um wieder mit dem nächsten zu kommen. Das sind die Zusammenhänge, die man einfach sehen muss.
    Heckmann: Viele Flüchtlinge sind den Schleppern dankbar, weil kein anderer Weg offensteht.
    "Europa kann nicht die ganze Welt aufnehmen"
    Uhl: Wenn wir Flüchtlinge wären, würden wir auch so denken. Ich nehme keinem Flüchtling es übel, dass er ein besseres Leben führen will oder schlimmer noch vor dem Krieg zum Beispiel in Syrien sich retten will. Das ist alles verständlich.
    Heckmann: Kritiker sagen, die Europäische Union spiele ein zynisches Spiel, sie benutze die vielen Tausend Toten, um weitere Menschen von der Flucht abzuhalten. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
    Uhl: Es ist eine Zuspitzung. Wir müssen eines immer wieder uns vor Augen führen: Wir in Europa können nicht die ganze Welt umarmen und bei uns aufnehmen. Das ist auch der Punkt, wo ein Herr Prantl von der Süddeutschen Zeitung mit seinem Latein am Ende ist. Auch er weiß nicht, wie man Hunderttausende pro Jahr zusätzlich aufnehmen kann. Ich rede nicht von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien. Ich rede von Armutsmigration aus Schwarzafrika.
    Ich rede aber auch - das müssen wir auch uns vor Augen führen - von den 17.000 Menschen, die allein in diesem letzten Monat März gekommen sind aus dem Balkan. Die Balkan-Länder, die in die EU aufgenommen werden wollen, entsenden uns 17.000 Menschen, die behaupten, sie seien in ihren Ländern politisch verfolgt worden.
    Heckmann: Die kurzfristigen Maßnahmen sind das eine. Eine neue Auflage der Rettungsaktionen auch. Müsste man nicht aber, was die globale Handelspolitik beispielsweise angeht, auch einen völlig anderen Kurs einschlagen, damit diese Flüchtlingsströme erst gar nicht entstehen?
    "Das Problem sind die korrupten Staaten und ihre Diktatoren"
    Uhl: Auch dies ist ein wohlfeiles Argument, das seit vielen Jahren vorgetragen wird: Schuld sind immer wir, keiner denkt darüber nach, warum diese failed states dazu geworden sind. Da ist sicher ein Teil der Verantwortung auch bei uns, bei den westlichen reichen Industriestaaten.
    Heckmann: Wo genau?
    Uhl: Da gibt es die bekannten Fischfangrechte, dass die westlichen Staaten mit großen Flotten die Meere leerfischen und die Fischer der afrikanischen Staaten ihren Lebensunterhalt nicht mehr verdienen können. Das ist aber nicht der Kern des Themas. Der Kern des Themas ist ein ganz anderer. Sie haben es zum Teil mit völlig desolaten, korrupten Staaten zu tun, mit Diktatoren, die sich die Taschen vollstopfen und denen ihr eigenes Volk völlig gleichgültig ist. Das ist doch das Problem.
    Heckmann: Aber Sie würden konzedieren, ganz kurz noch, Herr Uhl, dass die Europäische Union die Armut in den Entwicklungsländern teilweise verstärkt?
    Uhl: Es gibt Handelsstrukturen, bei denen die Verstärkung dadurch eintritt, aber das ist nicht der Kern des Themas.
    Heckmann: Hans-Peter Uhl, CSU-Mitglied und Mitglied im außenpolitischen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Herr Uhl, ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Uhl: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.