Die "Sea Watch" sei zeitweise das einzige Schiff in einer großen Region vor der libyschen Küste gewesen, das nach den Flüchtlingsbooten Ausschau gehalten habe, sagte der Arzt Frank Dörner von der zivilen Seenotrettungsorganisation Sea Watch im DLF. Gestern sei wieder ein völlig überladenes Schlauchboot mit 121 Menschen Bord entdeckt worden. Die Leute hätten dort stehen müssen, weil kein Platz zum Sitzen war, die meisten von ihnen könnten auch nicht schwimmen. Die "Sea Watch" selbst sei zu klein, um die Menschen aufzunehmen. Die Besatzung könne dann nur Rettungsinseln ins Wasser lassen oder Schwimmwesten verteilen, bis die Flüchtlinge von einem größeren Boot aufgenommen werden. "Die 'Sea Watch' ist nur die Notrettung, nicht die Lösung", sagte Dörner.
Das Interview in voller Länge:
Friedbert Meurer: In Brandenburg hatte sich letztes Jahr eine private Initiative gegründet, die den Flüchtlingen helfen will. Sie hat Geld gesammelt, ein Schiff gekauft und aufgemöbelt, und jetzt ist die ""Sea Watch"" seit zwei Wochen vor der libyschen Küste unterwegs. Im Moment liegt sie vor Lampedusa. Eines der Crewmitglieder ist der Berliner Arzt Frank Dörner, den ich an Bord der ""Sea Watch"" erreiche. Morgen, Herr Dörner!
Frank Dörner: Guten Morgen!
Meurer: Was machen Sie jetzt auf Lampedusa heute?
Dörner: Auf Lampedusa sind wir gestern Abend eingelaufen. Wir werden heute so ein bisschen klar Schiff machen, haben das natürlich schon versucht, auf dem Rückweg zum Teil zu tun, aber das Schiff muss rundüberholt werden noch mal, es müssen neue Lebensmittel gekauft und gebunkert werden. Die neue Crew, die jetzt angereist ist, muss gebrieft werden, wir müssen auch selber so eine bisschen Nachlese betreiben. Die Lektionen, die man aus den letzten Tagen ziehen kann, also die wirklich gelernten Dinge auch weitergeben. Und ja, es ist reichlich zu tun, denke ich, noch die nächsten 24 Stunden, bevor dann die ersten unserer Crew auch abfliegen werden.
Meurer: Also die Crew wird jetzt ausgetauscht. Ihre Mission ist fürs Erste beendet. Herr Dörner, Sie haben ja Flüchtlinge im Meer aufgefischt die letzten Tage, wie man in Ihrem Blog und dem Ihrer Kollegen lesen konnte. Sie haben sie aber nicht an Bord gehört, weil die ""Sea Watch"" zu klein ist. Was genau haben Sie getan?
Die Gefahr, dass Menschen ertrinken, ist enorm hoch
Dörner: Nun, das Konzept der "Sea Watch" war nie, dass wir wirklich die ganzen Flüchtlinge an Bord nehmen können, weil dieser 21 Meter lange Kutter, der ja hundert Jahre alt ist, gar nicht über die Möglichkeiten verfügt. Die Idee ist grundsätzlich, dort zu sein, wo vielleicht keine großen Rettungsschiffe sein können, dort wirklich auch mit dem Fernglas zu schauen, wo Schiffe sind, die zum Beispiel keine telefonische Möglichkeit haben, einen Notruf abzusetzen, und dann direkt mit unserem kleinen Dinghi dort hin zu fahren, den Leuten direkt zu assistieren. Sie müssen sich vorstellen, auf diesen Booten, häufig Schlauchbooten, die wir gesehen haben, sind 100, sogar – gestern haben wir eins aufgefischt mit 121 Leuten an Bord. Dafür sind natürlich diese Boote überhaupt nicht gemacht. Die Gefahr, dass Menschen über Bord gehen und direkt ertrinken, ist enorm hoch, und das muss man als Erstes verhindern natürlich.
Meurer: Also Sie leisten, Herr Dörner, sozusagen Erste Hilfe, Sie stellen Wasser zur Verfügung, lassen je nachdem, Schlauchboote ab, auf die die Flüchtlinge sich retten können, und Sie rufen dann die Seenotrettung?
Dörner: Nun, erst mal, Sie können sich das so vorstellen, wir sind hier, dümpeln sozusagen vor der libyschen Küste, und morgens, sobald die Sonne aufgeht, haben wir einen Ausguck und schauen sozusagen die Seemeilen ab, die wir irgendwo von oben sehen können. Dann entdecken wir ein Boot, bringen unser Schnellboot zu Wasser, fahren dort direkt hin, teilen Rettungswesten aus, weil die meisten dieser Menschen einfach nicht schwimmen können. Das heißt, sobald jemand über Bord fällt, ist die Gefahr des Ertrinkens massiv groß. Dann ist die erste Situation sozusagen im Griff. Im zweiten versuchen wir dann zu schauen, wie der Zustand des Bootes insgesamt ist. Ist es dabei, zu sinken, müssen wir jetzt sofort handeln und unsere Rettungsinseln, die wir hier an Bord haben, zu Wasser bringen und die Leute sozusagen umsteigen lassen, bis dann die große, sagen wir mal, Rettung kommt? Denn, wie gesagt, wir brauchen Boote, die dann in der Lage sind, 100, 120 Leute sofort an Bord nehmen zu können. Und die "Sea Watch" ist, wie Sie sagten, sozusagen die Notrettung in diesem Moment, aber nicht die Lösung, um sie dann zurück nach Italien, in italienische Häfen zu bringen.
Meurer: Sie haben eben gesagt, Herr Dörner, Sie können dahin, wo die Rettungsschiffe nicht hin können vor der libyschen Küste. Warum können die Rettungsschiffe nicht dahin, und Sie können es?
Sehr bedrückende Situationen
Dörner: Zum einen gibt es sehr wenige, sagen wir, zivile Schiffe. Wir haben die Kollegen von Ärzte ohne Grenzen jetzt häufig getroffen. Aber es ist so, dass diese großen Schiffe auch häufig benutzt werden, einfach, um den Transport von verschiedenen Rettungseinsätzen sozusagen zu koordinieren. Und die müssen dann wieder zurück nach Italien und brauchen dann Tage, um wieder vor Ort zu sein, während unser kleines Schiff, was einfach als ziviles, ja sagen wir mal, Schiff hier deklariert ist und nicht in dieses Rettungskonzept zentral mit eingebunden werden kann, dort sein kann, wo es sein will und wo wir halt annehmen, das jetzt in der Zukunft am meisten Fluchtfahrzeuge sozusagen zu sichten sind. Und das ist natürlich ein großer Vorteil.
Meurer: Was hat Sie, wenn Sie die letzten Tage Revue passieren lassen, als Sie vor der lybischen Küste unterwegs waren mit der "Sea Watch", was hat Sie da am meisten aufgewühlt?
Dörner: Man kann ganz klar sagen, es ist, wir waren zeitweise das einzige Schiff in einer großen Region, ungefähr auf Höhe Tripoli, kurz vor den libyschen Hoheitsgewässern. Und wir konnten davon ausgehen, dass wir jeden Tag mindestens ein Flüchtlingsschiff dort sehen, das per se schon in Seenot ist, weil es einfach komplett überladen ist. Wir haben gestern 121 Leute auf einem Boot gehabt. Die Leute konnten nur noch stehen. Es gab gar keine Möglichkeit mehr zu sitzen. Es waren Frauen dabei, es war auch ein Kind dabei. Das sind sehr, sehr bedrückende Situationen, wohl wissend, dass diese Menschen wirklich ganz, ganz überwiegend nicht schwimmen können. Also, dieser Irrsinn, der hier stattfindet aufgrund der Tatsache, dass wir keine legalen Möglichkeiten schaffen, dass die Leute nach Europa, dass die Leute nach Deutschland kommen können und sie sozusagen zu zwingen, sich in Lebensgefahr zu begeben, das finde ich persönlich als Teil der hiesigen Bevölkerung völlig inakzeptabel, und es muss wirklich eine politische Lösung jetzt gefunden werden.
Meurer: Die 120, wo kommen die hin?
Dörner: Unseres Wissens nach, die 120 sind gestern von den Médecins Sans Frontières, der Bourbon Argos aufgenommen worden. Wo sie jetzt anlanden werden, das war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, hing davon ab, wo der nächste Rettungseinsatz von diesem Großschiff sozusagen stattfinden würde. Und dann wird es vermutlich nach Sizilien, aber vielleicht auch hier nach Lampedusa dirigiert werden. Und wann es einläuft, wissen wir auch nicht.
Meurer: Frank Dörner von "Sea Watch". Einige unserer Hörer werden davon gelesen haben, dass Sie einen Konflikt hatten mit den Medien. Der RBB Rundfunk Brandenburg war an Bord, ein Kollege von uns sollte live berichten. Und dann wollten Sie den Reporter nicht mehr dabei haben. Was ist da schief gelaufen?
Man fühlt sich beobachtet die ganze Zeit
Dörner: Da kann ich natürlich schlecht für die Kollegen, die vorher hier waren, sprechen, aber ich kenne Herrn Hölzen, habe auch vorher mit ihm gesprochen. Und man kann sagen, die Idee sozusagen 24 Stunden als Journalist von Bord hier berichten zu können, war zwar anfangs eine sehr sinnige und gute vielleicht, aber man hat halt gesehen in der praktischen und täglichen Arbeit hier vor Ort, dass man auch bestimmte Freiräume schaffen muss. Sie müssen sich vorstellen, wir sind hier mit acht Personen auf einem winzig kleinen Kutter, wir erleben Extremsituationen, und es muss einfach die Möglichkeit geben des Rückzugs und der persönlichen, sagen wir mal, des persönlichen Bereiches. Und es ist unmöglich, dass ein Journalist dann an Bord ist, der von vornherein sagt, es kann so was nicht geben, wenn er dabei ist, dann muss das halt auch alles berichtbar sein. Und da hat man sich dann zum Glück, denke ich, vor dem Auslaufen des Schiffes für den ersten Einsatz entschieden, dieses nicht zu machen. Ich denke, das war für beide Seiten besser. Und wir hatten jetzt einen Kollegen hier an Bord, der einen Dokumentarfilm drehen wollte, und das hat ganz hervorragend funktioniert und gab keinerlei Probleme.
Meurer: Also Sie wollten nicht sozusagen sich fühlen oder Ihre Kollegen, Sie waren ja offenbar da nicht dabei, Sie wollten, dass nicht Ihr Leben wie Big-Brother-Container – wollten Sie was verbergen?
Dörner: Nein, ich denke, verbergen, darum geht es überhaupt nicht hier. Es ist bloß so, dass man natürlich, wenn man sich beobachtet fühlt die ganze Zeit, verhält man sich zum einen anders. Es ist so, dass man auch wirklich einen Moment des persönlichen und Team-Debriefings nach so einem Einsatz braucht, in dem man ganz offen über seine Ängste, über die Dinge, die man hätte besser machen können, sprechen kann. Und wenn das alles von vornherein halt sozusagen öffentlich ist, ist das, glaube ich, in keiner Weise hilfreich, um auch vor Ort schon direkte Lerneffekte für uns selber umsetzen zu können. Und, wie gesagt, ich fand die Entscheidung sehr richtig, und ich denke auch, für den Michael war es besser so.
Meurer: Frank Dörner ist Arzt an Bord der "Sea Watch", ein privates Schiff, das vor der lybischen Küste nach Flüchtlingen Ausschau hält, im Moment im Hafen von Lampedusa ankert. Herr Dörner, Danke schön, alles Gute und auf Wiederhören.
Dörner: Ich danke Ihnen!
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