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Flüchtlingsfrage
EKD-Ratsvorsitzender warnt vor parteipolitischer Profilierung

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat die Parteien in Deutschland davor gewarnt, sich beim Thema Flüchtlinge politisch profilieren zu wollen. Vielmehr müssten Lösungen und Solidarität im Zentrum stehen, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm im Deutschlandfunk.

Heinrich Bedford-Strohm im Gespräch mit Doris Simon |
    EKD-Ratsvorsitzender Bedford-Strohm spricht während der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Bremen
    Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm fordert in der Flüchtlingsfrage mehr Wohnraum, Kita-Plätze und Lehrer-Stellen. (dpa / picture alliance / Markus Hibbeler)
    Es sei wichtig, dass die Politik "nach allem notwendigen Streit" klare Richtungen vorgebe, so Bedford-Strohm. So sollten mehr Wohnraum, Kita-Plätze und Lehrer-Stellen geschaffen werden. Es dürfe nicht darum gehen, "die Schwachen gegen die Schwachen auszuspielen".
    Dafür, dass sich Deutsche künftig nicht mehr zu Hause fühlen können in ihrem Land, sieht Bedford-Strohm keine Hinweise. Es gebe 50 Millionen Christen, bei "vier, fünf oder sechs Muslimen muss sich niemand Sorgen machen". Entscheidend sei, "dass wir uns begegnen" und "die Religionen eine Kraft der Versöhnung werden".
    Bedford-Strom war gestern im Amt des EKD-Vorsitzenden bestätigt worden. Damit ist er für sechs weitere Jahre oberster Repräsentant von mehr als 22 Millionen deutschen Protestanten.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Doris Simon: Das alles bestimmende Thema ist - wir haben es ja gerade auch im Gespräch mit unserer Korrespondentin Annette Riedel gehört - die Flüchtlingspolitik. Das gilt auch für die Kirchen in Deutschland im Augenblick. Und darüber möchte ich mit Heinrich Bedford-Strohm sprechen. Er ist gestern von der Synode mit 124 von 125 Stimmen bestätigt worden als EKD-Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche. Herzlichen Glückwunsch!
    Heinrich Bedford-Strohm: Vielen Dank, Frau Simon.
    Simon: Herr Bedford-Strohm, selbst innerhalb der Bundesregierung gibt es jeden Tag, fast jeden Tag neue unabgestimmte Entscheidungen. Innerhalb von Europa gibt es noch weniger Gemeinsamkeiten in den letzten Monaten in Sachen Flüchtlingspolitik. Bei dem ganzen Hickhack haben viele Bürger das Gefühl, sie werden mit ihren Sorgen nicht wahrgenommen. Teilen Sie diese Wahrnehmung?
    Bedford-Strohm: Es ist jedenfalls richtig, dass die Dinge nicht klar abgestimmt sind und etwas unübersichtlich ist, was eigentlich die Strategien sind. Insofern ist es, glaube ich, jetzt wirklich sehr wichtig, dass man sich auf deutscher Ebene und vor allem auch auf europäischer Ebene schnell einigt und wirklich Strategien findet und vereinbart, bei denen alle mit die Solidarität zeigen, die wir brauchen, und die auch wirklich funktionsfähig sind, die auch wirklich umsetzbar sind.
    Simon: Noch mal zurück zu den Bürgern und dem Gefühl, es werde mehr für Flüchtlinge getan als für sie. Das sind ja viele Beispiele: Sozial Schwache, die auf dem Wohnungsmarkt oder dem Arbeitsmarkt konkurrieren. Das können aber auch Mitglieder von Sportvereinen sein, deren Turnhallen benutzt werden für Flüchtlingsunterkünfte. Wir haben es erlebt. Auch Kirchgänger, die plötzlich sehen, dass ihre Kirche zu einem Flüchtlingsquartier wird. Haben Sie einen Vorschlag, wie die Politik in dieser Debatte, die ja manchmal auch gefährlich wird, besser auftreten könnte?
    Bedford-Strohm: Solche Stimmen muss man sehr genau hören, denn es kann nicht sein, dass in die eine Richtung gearbeitet wird und dafür was getan wird und in die andere nicht. Das Thema soziale Gerechtigkeit wird jetzt noch mal sehr deutlich. Das muss auch ins Zentrum rücken. Nur was man nicht darf ist, die Schwachen gegen die Schwachen ausspielen. Entscheidend ist, dass Wohnungen gebaut werden, schnell und da auch viel Geld investiert wird, Kindertagesstättenplätze, Lehrer eingestellt werden, sodass diejenigen, die Hilfe brauchen, diejenigen, die auch in schwierigen sozialen Situationen sind, Unterstützung bekommen. Das gilt natürlich für alle.
    Simon: Viele Menschen befürchten ja, dass sich unsere ursprünglich christlich geprägte Gesellschaft - ist ja heute in der Praxis nicht immer so - so verändert, dass sie, die Menschen sich in Deutschland nicht mehr zuhause fühlen. Teilen Sie diese Befürchtung?
    Bedford-Strohm: Wir haben 50 Millionen Christen, Mitglieder der großen christlichen Kirchen in Deutschland. Wenn jetzt Flüchtlinge hier herkommen, mehr Muslime hier herkommen, dann wird es vielleicht vier, fünf, sechs Millionen Muslime geben. Da muss sich niemand Sorgen machen. Entscheidend ist, dass wir zwischen den Religionen reden, dass wir uns begegnen, dass die Religionen eine Kraft der Versöhnung in unserer Gesellschaft werden. Dazu braucht es Begegnung und genau das versuchen wir voranzutreiben, gerade wir auch als christliche Kirchen.
    Simon: Herr Bedford-Strohm, Sie haben gesagt, da muss sich niemand Sorgen machen, es braucht Begegnung. Wenn aber jetzt die Menschen, die sich Sorgen machen, nicht von selber zu diesen Begegnungen kommen, was lässt sich da von Seiten der Politik, vielleicht auch von Ihrer Seite noch mehr tun?
    Bedford-Strohm: Ich glaube, da müssen alle zusammen helfen. Wir haben als Kirchen natürlich Orte der Begegnung und das geschieht auch vor Ort. Wenn ich im Land unterwegs bin, freue ich mich immer sehr, zu sehen, wie vor Ort eigentlich die Begegnungen gut funktionieren, wie Muslime und Christen ganz unaufgeregt miteinander zusammen sind, wirklich einander kennen lernen. Und dann auch die Kräfte gestärkt werden, die eben nicht scharf machen, die eben nicht wo möglich zur Gewalt aufrufen. Da müssen sich alle ganz klar abgrenzen und da müssen alle ganz klare Alternativen zeigen. Und genau das erlebe ich. Wo man miteinander redet, wo der interreligiöse Dialog funktioniert, da werden die Friedenskräfte gestärkt.
    Simon: Unaufgeregt, das ist genau das Wort, was nicht passt derzeit auf die politische Debatte, auch auf die Debatte innerhalb der Regierung. Natürlich sind die Herausforderungen groß. Aber wir erleben auch, dass Politiker auch aus den beiden Unions-Parteien, CDU und CSU, sich profilieren in dieser Debatte um die Flüchtlingskrise. Als Kirchenmann, wie erleben Sie die Debatte in der Union, die ja auf ihre christlichen Werte sehr stolz ist?
    Bedford-Strohm: Es muss ganz klar sein, dass es nicht um politische Profilierung geht, oder auch um Parteipolitik. Gerade bei dieser Frage, da geht es wirklich um Menschen. Da geht es um Existenzen. Man muss es auch so drastisch sagen: Da geht es für manche um Leben oder Tod. Deswegen muss hier ganz klar sein, dass die Lösung der Probleme im Zentrum stehen muss, dass die Solidarität aller im Zentrum stehen muss, wie wir mit diesem Problem umgehen. Und bei all dem muss im Blick sein, dass das wirklich Menschen sind, deren Leben in Gefahr ist, oder bei denen das Leben der Angehörigen in Gefahr ist. Die müssen wirklich immer bei all diesen Diskussionen mit am Tisch sitzen. Und darum geht es uns als Kirchen.
    Simon: Ja, das Leben der Angehörigen. Aber wenn wir es konkret machen, ist ja jetzt beschlossen: kein Familiennachzug für Syrer, Rückführung in andere europäische Länder, wenn Flüchtlinge dort registriert worden sind auf ihrer Reise nach Deutschland. Da haben Sie, Herr Bedford-Strohm, ebenso klar wie Kardinal Marx von der Katholischen Kirche gesagt, das sei der falsche Weg. Wenn da für die Politik und gerade auch für die christlichen Parteien die Empfehlung der Kirchen so gar keine Rolle spielt, wo ist dann noch das Christliche in den Entscheidungen?
    Bedford-Strohm: Wir müssen um diese Frage ringen. Und wenn ich in entsprechenden Diskussionen drin bin, dann spreche ich schon davon, dass die beiden großen christlichen Kirchen ein bisschen so was wie die Ökumene der Barmherzigkeit im Sinn haben, dass wir es, egal ob katholisch, evangelisch oder orthodox, sehr deutlich machen, dass man in all diesen Diskussionen ernst nehmen muss, dass der Mensch zum Bilde Gottes geschaffen ist, der Mensch etwas Kostbares ist. Und jedes Menschenleben etwas unendlich Kostbares ist. Das ist der Grund dafür, dass wir auch aus der Bibel von Jesus wissen, dass Jesus gesagt hat, ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Das ist kein Nebensatz. Das ist nichts, was man irgendwie so zur Seite legen kann, sondern das gehört zu den Quellen des christlichen Glaubens. Und das bringen wir, beide großen Kirchen, aber auch die orthodoxe Kirche, wir bringen das in die Diskussionen ein.
    Simon: Ich verstehe ja, dass Sie als EKD-Ratsvorsitzender von den christlichen Kirchen sprechen. Ich hatte aber gefragt nach den christlichen Parteien. Ist da aus dem großen C innerhalb von wenigen Wochen ein kleines C geworden?
    Bedford-Strohm: Man kann das Etikett Christlich nicht beurteilen. Man kann da auch keine Punktekonten vergeben, sondern was wir machen müssen ist, gerade da, wo das Wort Christlich im Parteinamen drin ist, den Inhalt, der damit verbunden ist, den auch wieder und immer wieder mit allem Nachdruck ins Gespräch zu bringen. Und genau das tun wir.
    Simon: Was sagen Sie eigentlich Ihren Mitchristen, egal, aus welcher Kirche, die sagen, wir wollen gerne helfen, wir tun es auch, aber es kann in dieser Situation für uns bedeuten, dass wir jetzt nur noch das machen, was wir problemlos hinbekommen. Und wir bekommen es nicht problemlos hin, noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen?
    Bedford-Strohm: Dass Menschen erschöpft sind, dass Menschen, die beherzt geholfen haben, auch Pausen brauchen, Regeneration brauchen, das ist doch ganz klar. Deswegen wünsche ich mir und werbe darum, dass wir wirklich alle miteinander zusammen helfen, dass wir das als große Herausforderung sehen, aber auch als Chance. Dass wir diese große Empathie, die wir da jetzt erleben und die ganz wunderbar ist, dass wir das nachhaltig machen. Dass das auch in der Zukunft noch wirksam ist, sodass wir vielleicht in 20 Jahren zurückschauen können auf diese Zeit und sagen können: Wir haben es bewältigt und unser Land und vielleicht auch unsere Kirche, wir sind durch dieses Engagement stärker geworden.
    Simon: Sie haben in der aktuellen Diskussion gesagt, Herr Bedford-Strohm, entscheidend sei nun im Umgang mit der Krise, einen Ansatz der Zuversicht und nicht der Angst zu wählen. Bei allem Respekt, den die Kirchen in Deutschland genießen, sie prägen ja nicht mehr unsere Gesellschaft. Wer oder was kann darüber hinaus den Menschen Halt geben in dieser Debatte?
    Bedford-Strohm: Ich glaube, die Klarheit in den politischen Strategien, dass nach allem notwendigen Streit man sich auch einigt und dann wirklich auch klare Richtungen vorgibt, das ist sicher auf der Seite der Politik wichtig. Aber ich sage: Auch wenn die Kirchen nicht mehr die komplette Bevölkerung abbilden, sind die Kirchen nach wie vor eine wichtige Kraft. Und diesen Gesichtspunkt der Zuversicht, dass wir alle in Gottes guter Hand sind, dass wir nicht aus der Angst leben dürfen und leben müssen. Sondern dass wir aus der Zuversicht leben können, weil diese Welt in Gottes Hand ist, das in die öffentliche Debatte hineinzubringen, das ist, glaube ich, auch dann eine Aufgabe und eine Chance der Kirche, wenn nicht alle Menschen mehr Christen sind.
    Simon: Heinrich Bedford-Strohm war das, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Vielen Dank für das Gespräch.
    Bedford-Strohm: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.