Flüchtlingsgipfel
Eine Milliarde Euro vom Bund, doch viele offene Fragen

Kriege, Klimawandel, Armut - es gibt viele Gründe, warum Menschen Schutz in Deutschland suchen. Doch um sie unterzubringen und zu versorgen, fehlen den Bundesländern und Kommunen die Mittel. Nun will der Bund mit einer weiteren Milliarde Euro helfen.

Von Dirk-Oliver Heckmann und Carolin Born |
    Eine Bank steht vor einem Container auf dem Gelände der Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete auf dem Tempelhofer Feld in Berlin.
    Wie könnten Geflüchtete besser verteilt werden? (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Länder und Kommunen haben zunehmend Schwierigkeiten, die in Deutschland angekommenen Geflüchteten unterzubringen und zu versorgen. Allein in den ersten vier Monaten des Jahres wurden 101.981 Erstanträge auf Asyl in Deutschland gestellt, 78 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum im Vorjahr. Nach dem Flüchtlingsgipfel im Februar hat am 10. Mai ein weiteres Bund-Länder-Treffen stattgefunden. Das Kanzleramt wollte zunächst keine weiteren finanziellen Zusagen des Bundes geben. Das wollten Länder und Kommunen nicht hinnehmen. Nun gibt es eine Einigung.

    Worum geht es auf dem Flüchtlingsgipfel?

    Was die Länder und Kommunen wollen, ist klar: mehr Geld vom Bund für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten. Außerdem fordern sie, dass die sogenannte irreguläre Migration stärker eingedämmt wird.
    Die Bundesregierung argumentiert, dass die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten ausschließlich Ländersache ist. Zudem habe der Bund den Ländern immer mehr Anteile am Steueraufkommen abgetreten. Daraus folgten einerseits in der Summe Überschüsse in den Kassen der Bundesländer, anderseits ein immer größeres Defizit und mehr Schulden beim Bund.

    Was ist das Ergebnis des Flüchtlingsgipfels?

    Bundeskanzler Olaf Scholz sagte einmalig für 2023 eine zusätzliche Milliarde Euro vom Bund zu. Für Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist das zu wenig. Im November soll bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz darüber beraten werden, ob der Bund wieder Pro-Kopf-Pauschalen zahlt. Die Länder fordern ein dynamisches System, das sich anpasst, je nachdem wie viele Geflüchtete und Asylbewerber kommen.
    Außerdem will Scholz Asylverfahren beschleunigen, die EU-Außengrenzen besser schützen, Rückführungsabkommen aushandeln und den Ausreisegewahrsam von zehn auf 28 Tage verlängern. All das wird bereits seit Jahren diskutiert, die Umsetzung könnte noch länger dauern.

    Wie unterstützt der Bund die Länder und Kommunen?

    Die Bundesebene hatte bereits vor den nun zu Ende gegangenen Gipfel hohe Milliardenbeträge für die Unterbringung und Versorgung Geflüchteter aufgewendet. Nach einer internen Aufstellung des Kanzleramts, die dem Dlf vorliegt, handelt es sich um 15 Milliarden Euro im Jahr 2022. Für das Jahr 2023 wird noch einmal mit rund 15,6 Milliarden gerechnet. Zahlreiche Bundesliegenschaften habe Berlin den Ländern zur Unterbringung kostenfrei zur Verfügung gestellt.
    80 Prozent der Schutzsuchenden in Deutschland kommen aus der Ukraine – diese rund eine Million Menschen sind aus dem Asylbewerber-Leistungsgesetz herausgenommen worden. Sie müssen keinen Asylantrag stellen, dürfen sofort arbeiten und erhalten Bürgergeld. Für sie kommt statt der Länder der Bund auf.
    Außerdem arbeitet Berlin mit Anrainerstaaten intensiv an sogenannten Rückführungsabkommen. Dazu wurde mit dem FDP-Politiker Joachim Stamp ein Sonderbeauftragter eingesetzt. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will zudem die Asylverfahren teils direkt an den EU-Außengrenzen durchführen lassen.

    Was sind die drängendsten Probleme bei der Asylpolitik?

    Deutschland hat im Zuge des russischen Angriffs rund eine Million Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen, die meisten davon sind Frauen und Kinder. Auch die Zahl der Schutzsuchenden aus anderen Ländern stieg zuletzt. Von Januar bis März waren es fast 90.000 Menschen, durchschnittlich 30.000 pro Monat, die hierzulande Asyl beantragt haben.
    Die Unionsparteien und einige Bundesländer sagen, das seien fast so viele Menschen wie 2015. Die Belastungen für Länder und Kommunen seien nicht zu schultern. Im Jahr 2015 stellten rund 477.000 Menschen einen Asylantrag, im Jahr darauf waren es rund 745.000.
    Die Bundesregierung versucht deshalb, die sogenannte Sekundärmigration einzudämmen. Das betrifft Menschen, die in einem anderen EU-Land ankommen und sich weiter auf den Weg nach Deutschland machen, obwohl sie verpflichtet wären, sich in dem Ankunftsstaat registrieren zu lassen.
    Eine Abschiebung abgelehnter Asylbewerber scheitert indes häufig an praktischen Problemen. Entweder handelt es sich um kranke Menschen oder es kann nicht festgesellt werden, aus welchem Land die Personen tatsächlich kommen. Außerdem dürfen Menschen aus Deutschland nicht abgeschoben werden, wenn in ihrem Heimatland Krieg herrscht oder ihnen Verfolgung droht.

    Was plant Bundesinnenministerin Nancy Faeser?

    Die SPD-Politikerin Nancy Faeser ist mit dem Anspruch einer humanen Flüchtlingspolitik als Innenministerin angetreten. Dazu gehört aus ihrer Sicht, Schutzbedürftigen Asyl zu gewähren, aber auch, sogenannte irreguläre Migration einzudämmen und legale Migrationswege zu eröffnen.
    Dafür greift sie einen Vorschlag der EU-Kommission für eine „Gemeinsame Europäische Asylpolitik“ auf. Dieser sieht vor, Verfahren zur Prüfung des Schutzstatus verpflichtend bereits an der EU-Außengrenze durchführen zu lassen. Diese sind bereits heute auf freiwilliger Basis möglich, werden aber praktisch nicht angewendet.
    Ersteinreiseländer wie Italien oder Griechenland lassen die Migranten häufig weiterziehen, ohne sie zu registrieren und ihren Asylantrag zu bearbeiten. Das verärgert Binnenstaaten wie Österreich, Frankreich, die Niederlande oder Deutschland.
    Länder wie Italien, Griechenland oder Spanien drängen ihrerseits auf eine stärkere Verteilung der Geflüchteten. Gemäß der Dublin-Verordnung ist aber das EU-Land für den Asylantrag zuständig, das der Schutzsuchende zuerst betreten hat.
    Faeser hat in den vergangenen Monaten mit Spanien, Italien und Frankreich im Rahmen einer Arbeitsgruppe Gespräche geführt. Dazugestoßen sind zudem Schweden sowie Belgien. Letzteres hat in der ersten Jahreshälfte 2024 die Ratspräsidentschaft inne.

    Was sieht die "Gemeinsame Europäische Asylpolitik" vor?

    Der Plan der EU-Kommission zu einer "Gemeinsamen Europäischen Asylpolitik" sieht vor, dass Länder wie Italien und Spanien Geflüchtete nicht mehr nur durchleiten, sondern der Pflicht nachkommen, die Menschen zu registrieren und zu identifizieren.
    Menschen mit geringer Aussicht auf Schutz sollen bereits an der Grenze ein Asylverfahren durchlaufen. Dazu sollen die Geflüchteten bis zu zwölf Wochen festgehalten werden können. Im Gegenzug sagen EU-Binnenländer freiwillig, aber verbindlich zu, im Rahmen eines „Solidaritätsmechanismus“ Geflüchtete aufzunehmen.
    Bundesinnenministerin Nancy Faeser will, dass Grenzverfahren verpflichtend sind, wenn die Anerkennungsquote im Asylverfahren bei 15 Prozent liegt. Der Kommissionsvorschlag sieht das bereits für Länder mit einer Quote von 20 Prozent vor. Dafür braucht es vor allem die Bereitschaft der Ersteinreiseländer, solche Verfahren durchzuführen. Dies dürfte stark davon abhängen, ob ihnen Asylbewerber abgenommen werden.
    Der Vorschlag der Kommission hat nur für den Krisenfall einen verpflichtenden Mechanismus zur Verteilung von Geflüchteten vorgesehen. Denn in Brüssel hatte man im Zuge der Flüchtlingsbewegung 2015 schlechte Erfahrungen mit Quoten gemacht.
    Damals hatten die Mitgliedsstaaten beschlossen, bis zu 160.000 Asylbewerber innerhalb der EU zu verteilen. Damit sollten Griechenland und Italien entlastet werden. Ungarn, Tschechien und Polen weigerten sich. Sie werden absehbar bei dieser Blockade bleiben.