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Flüchtlingsgipfel
"Eine Pauschale hilft unmittelbar"

Vor dem Flüchtlingsgipfel der Ministerpräsidenten in Berlin hat Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger mehr Geld für die Länder gefordert. Die bisher zugesagte Summe sei "unzureichend", sagte der SPD-Politiker im DLF. Sinn mache aktuell nur die Zahlung einer Pauschale pro Flüchtling.

Ralf Jäger im Gespräch mit Thielko Grieß |
    NRW-Innenminister Ralf Jäger
    NRW-Innenminister Ralf Jäger (dpa / picture-alliance / Matthias Balk)
    Man brauche eine schnelle Hilfe "insbesondere für die Kommunen", so Jäger im Deutschlandfunk. Vermieden werden sollten deshalb "lange Debatten über Kostenarten". Jäger sprach sich für die Beteiligung des Bundes über eine Pauschale pro Flüchtling aus. Eine genaue Summe darüber, "was ein Flüchtling kostet", schreibe man zur Zeit auf.
    Die bislang zugesagten drei Milliarden Euro kritisierte Jäger als "unzureichend". NRW erhalte so 600 Millionen Euro, erforderlich seien aber 1,7 Milliarden. Alleine NRW habe in den ersten Monaten 155.000 Flüchtlinge aufgenommen.
    Mit Blick auf den Streit in der EU über eine Verteilung der Flüchtlinge sagte Jäger, er sorge sich, "dass Europa sich über so eine Diskussion überflüssig macht". Es sei "kläglich, was da passiert". Eine europäische Lösung sei notwendig.
    Die von Deutschland wieder eingeführten Grenzkontrollen begrüßte der SPD-Politiker. Das größte Problem sei, wenn Flüchtlinge nicht registriert kämen und dann auch noch unreguliert verteilt würden.
    Das vollständige Interview können Sie hier nachlesen.
    Thielko Grieß: Sondergipfel in Brüssel bis in die ganz frühen Morgenstunden. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben gestern erste Schritte beschlossen, die im Wesentlichen helfen sollen, Flüchtlinge aus Europa fernzuhalten.
    Rund 155.000 Flüchtlinge sind seit Jahresbeginn in Nordrhein-Westfalen angekommen. Diese Zahl stammt vom Innenministerium in Düsseldorf. Das Land lässt Flüchtlinge in Sonderzügen inzwischen jeden Tag im Wechsel in Düsseldorf und in Köln ankommen und von dort werden sie auf die Kommunen im Land verteilt. Das Land, seine Kommunen stöhnen über die Kosten, stöhnen über die Logistik und wähnen sich am Rande des Machbaren - nicht nur in Nordrhein-Westfalen, auch in anderen Bundesländern. Heute Nachmittag treffen sich die Ministerpräsidenten der Bundesländer unter anderem mit der Kanzlerin in Berlin. Es geht darum, welche Hebel Bund und Länder in Bewegung setzen, Hebel, auf denen Euro-Zeichen zu sehen sind. Heute Morgen haben wir ein Interview aufgezeichnet mit Ralf Jäger, Sozialdemokrat, Innenminister Nordrhein-Westfalens, dessen Kernaufgabe in diesen Wochen vor allem in der Flüchtlingspolitik besteht. Meine erste Frage an Ralf Jäger: Mit welchen Forderungen reist denn dessen Chefin, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, auch SPD, heute nach Berlin?
    Ralf Jäger: Ja mit der Forderung, dass zumindest ausreichend Geld bezahlt werden muss, damit Länder und Kommunen die finanziellen Folgen dieses Flüchtlingsstroms nicht faktisch alleine tragen müssen. Der Koalitionsausschuss hat am vorletzten Sonntag irgendetwas innerhalb von drei Milliarden beraten. Das wären für Nordrhein-Westfalen 600 Millionen. Allein das Land Nordrhein-Westfalen wird nächstes Jahr 1,7 Milliarden dafür aufwenden. Daran kann man schon erkennen, dass das eine Größenordnung ist, die völlig unzureichend ist.
    Kommunen dürfen nicht allein Lasten tragen
    Grieß: Also etwa das Dreifache von dem, was da jetzt bisher sich abzeichnend. Ausreichend heißt deutlich mehr? Können Sie das beziffern?
    Jäger: Nein, ich will jetzt keine Obergrenze setzen. Das ist Gegenstand der Verhandlungen heute Abend. Da geht es ja nicht nur um Geld, da geht es um ein ganz, ganz großes Paket, wie wir die Asylpolitik und Flüchtlingspolitik in Deutschland ausrichten, damit wir gewappnet sind für diese Vielzahl von Menschen, die zu uns kommen. Aber Geld spielt dabei eine wichtige Rolle, weil es nicht sein darf, dass die Lasten alleine die Länder und die Kommunen tragen.
    Grieß: Das findet auch der brandenburgische Ministerpräsident Woidke. Der hat gestern von sechs Milliarden für die Länder insgesamt gesprochen. Ist das eine Größenordnung, die eine Rolle spielt?
    Jäger: Ich glaube, der Herr Woidke hat ein gutes Gefühl dafür, welche Ziele man in den Verhandlungen, deren Ergebnis eigentlich noch offen ist, setzen sollte.
    Grieß: Brauchen die Länder eine Kopfpauschale, die Zahlung von Geld pro Flüchtling mit einem festen Betrag?
    Jäger: Das ist das Vernünftigste. Wir brauchen jetzt eine schnelle Hilfe insbesondere für unsere Kommunen. Ein Betrag je Flüchtling ist das, was am unbürokratischsten ist, am schnellsten wirkt und am nachhaltigsten wirkt. Deshalb sollten wir jetzt heute Abend keine langen Debatten über irgendwelche Kostenarten führen, die man irgendwie übertragen könnte. Eine solche Pauschale hilft unmittelbar und sofort.
    Kommunen müssen Unterbringungskosten größtenteils erstattet bekommen
    Grieß: Sie geben die Wünsche und die Nöte der Kommunen wieder, Herr Jäger. Gerade die Kommunen in Nordrhein-Westfalen würden sich doch aber wünschen, dass das Land die Hilfe vom Bund komplett an sie weiterleitet. Das geschieht ja bislang nicht.
    Jäger: Doch, das haben wir getan, bis auf den Teil, den das Land gegenfinanzieren muss. Entscheidend ist, dass am Ende ein Betrag rauskommen muss, den der Bund zahlt, das Land zahlt an unsere Kommunen, der so hoch ist, dass die Kommunen tatsächlich den größten Teil der finanziellen Lasten und der Flüchtlingsunterbringung tatsächlich erstattet bekommen. Es kann nicht sein, dass die Kommunen am Ende der Nahrungskette sind und hier allein gelassen werden.
    Grieß: Sie sichern uns und den Kommunen in Nordrhein-Westfalen zu, dass das Geld, was künftig vom Bund kommt, weitergeleitet und weitergereicht wird?
    Jäger: Nein, nein. Ich habe gesagt, wir sind in einem Prozess mit den nordrhein-westfälischen Kommunen. Wir sind dabei aufzuschreiben, was kostet die Unterbringung eines Flüchtlings. Das sind beispielsweise in Bayern etwa 12.000 Euro, der Landkreistag setzt es auf 10.000 Euro pro Jahr. Das Land zahlt bereits 7558 Euro. Jetzt müssen wir sehen, was vom Bund kommt, was in der Summe dabei übrig bleibt, was die Kommunen zu tragen haben und was insgesamt als auskömmlich betrachtet werden kann, und dann einigen wir uns mit den Kommunen. So ist das immer in Nordrhein-Westfalen, dass wir versuchen, so etwas im Konsens zu regeln.
    Grieß: Aber manchen Kommunen dauert das dann doch zu lang. - Herr Jäger, Sie sind als Innenminister auch zuständig für Sicherheit in Nordrhein-Westfalen. Der Bundesinnenminister hat, als die Grenzkontrollen an den Südgrenzen Deutschlands wieder eingeführt worden sind, gesagt, dies geschehe, weil Flüchtlinge unregistriert nach Deutschland kämen, und das stelle auch ein Sicherheitsrisiko dar. Wie groß ist dieses Risiko in Nordrhein-Westfalen?
    Jäger: Er hat gesagt, dass dies auch ein Sicherheitsrisiko darstellt. Das größte Problem, wenn Flüchtlinge nicht registriert nach Deutschland kommen, ist, dass das ungeregelt stattfindet, dass sie in den regulären Zügen sitzen, dass sie irgendwo aussteigen in irgendeinem Bundesland und dort dann Asyl beantragen. Deshalb sind diese Grenzkontrollen wichtig, dass die Menschen mit Sonderzügen geplant, koordiniert in die einzelnen Bundesländer gebracht werden. Das ist erst mal das Wichtigste an diesen Grenzkontrollen.
    Grieß: Ist das denn eine Befürchtung, oder gibt es konkrete Hinweise?
    Jäger: Das ist keine Befürchtung, das ist eine Erfahrung, dass die Menschen sich in reguläre Züge gesetzt haben. Sie müssen einfach sich vorstellen, wenn in Mettmann plötzlich 100 aus einem Zug steigen, aber in Köln die Unterbringung für sie ist, dass das ein Problem darstellt. Aber es ist natürlich auch sicherheitspolitisch bedenklich, wenn viele Tausende einfach unregistriert und unkontrolliert nach Deutschland kommen. Deshalb ist es gut, dass diese Grenzkontrollen wieder eingeführt worden sind.
    Salafisten versuchen an Flüchtlinge heranzukommen
    Grieß: Burkhard Freier, der Leiter des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, hat dem ZDF gesagt, es habe schon 30 konkrete Hinweise darauf gegeben, dass Salafisten Kontakt suchten zu Flüchtlingen. Was tut das Land, um diese Szene im Auge zu behalten?
    Jäger: Ja es ist in der Tat so, dass Salafisten versuchen, an die Muslime in unseren Flüchtlingsunterbringungen heranzukommen. Wir haben die Betreuungsorganisationen, die solche Einrichtungen betreiben, sensibilisiert. Sie sind auch sensibilisiert, weil diese 30 Fälle wären sonst nicht bekannt geworden, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort ein offenes Auge dafür haben, was die Salafisten möglicherweise mit den Menschen in den Einrichtungen planen. Das ist das Wichtigste, Information, Aufklärung, Sensibilisierung und unsere Einrichtungen davor schützen, dass die Salafisten glauben, neues Rekrutierungspotenzial dort zu gewinnen.
    Grieß: Herr Jäger, abschließend ein Blick auf das, was auf größerer Ebene passiert in der Europäischen Union. Da werden jetzt 120.000 Flüchtlinge europaweit verteilt, nach Schlüsseln, nach Quoten. Einige Länder wehren sich, aber es kommt wohl doch so. In Nordrhein-Westfalen sind bislang schon deutlich mehr in diesem Jahr angekommen, mehr als 150.000. Bewegt Sie und berührt Sie diese Debatte in der Europäischen Union eigentlich noch irgendwie? Hat das noch irgendeine Relevanz?
    Jäger: Ich sorge mich wirklich darum, dass Europa sich über solche Diskussionen faktisch überflüssig macht. 120.000 Menschen aufzunehmen innerhalb von zwei Jahren - Nordrhein-Westfalen mit 18 Millionen Einwohnern, die Europäische Union hat 500 Millionen, nur Nordrhein-Westfalen hat 155.000 Menschen in den ersten neun Monaten dieses Jahres aufgenommen -, das ist eigentlich kläglich, was da passiert. Wir brauchen eine gesamteuropäische Lösung, weil die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge, die rennen um ihr Leben, die lassen sich nicht aufhalten. Es kann nicht sein, dass nur einige wenige Staaten in Europa diese Menschen aufnehmen.
    Grieß: ... sagt der Innenminister Nordrhein-Westfalens, Ralf Jäger, in diesem Interview, vor wenigen Minuten aufgezeichnet. Für die Telefonleitung, die nicht ganz so gut war, bitten wir um Verständnis.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.