Noch immer ist die Zahl der Flüchtlinge, die täglich an den Küsten Griechenlands ankommen, zu hoch. Durchschnittlich 2.000 sind es, trotz der monatelangen Bemühungen der Europäer, die eigenen Außengrenzen besser zu schützen. Der Handlungsdruck ist also weiterhin groß, dennoch werden die 28 EU-Staats- und Regierungschefs auf dem heute beginnenden Gipfel in Brüssel in der Flüchtlingskrise nicht mehr als eine Zwischenbilanz ziehen. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel stapelte in ihrer gestrigen Regierungserklärung im Bundestag vorsorglich tief:
"Auf dem Rat geht es nicht um die Vereinbarung von Kontingenten. Wir machen uns in Europa auch lächerlich, nachdem 160.000, die wir vereinbart haben, noch nicht einmal ansatzweise verteilt sind, am Freitag oben drauf Kontingente zu beschließen. Das wäre der zweite Schritt vor dem ersten".
Prinzip Leistung und Gegenleistung bislang nicht erfüllt
Kontingente – dahinter verbirgt sich der Ansatz, der Türkei eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen abzunehmen und diese dann auf die übrigen EU-Staaten umzuverteilen. Als Entlastung und Gegenleistung dafür, dass Ankara die türkischen Außengrenzen konsequenter schützt und Schlepperbanden wirksamer bekämpft, um die illegale Migration nach Europa zu unterbinden. Doch noch sei man nicht soweit, erklärt auch der Fraktionsvorsitzende der EVP im Europäischen Parlament, Manfred Weber:
"Ja, die Türkei bemüht sich, es sind Maßnahmen greifbar, die wirklich in die richtige Richtung gehen. Aber die Wahrheit liegt in den Zahlen. Und da muss die Türkei noch einmal eine Schippe drauf legen".
Gruppe der Willigen bereits im Vorfeld gespalten
Doch das Problem reicht tiefer: Die sogenannten Visegradstaaten, also Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei wollen überhaupt keine Flüchtlinge aufnehmen. Sie bilden die Koalition der Unwilligen. Doch auch die Gruppe der Willigen, die sich kurz vor dem Gipfel treffen will, ist gespalten. Frankreich lehnt die Aufnahme von Flüchtlingen über die bereits zugesagten 30.000 ab. Österreich setzt wiederum verstärkt auf Zäune und Obergrenzen. Dazu das wegen des Anschlags geplatzte Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu. Der Gipfel steht unter einem schlechten Stern. Trotzdem wird die Kanzlerin an ihrer Strategie festhalten.
"Das versteht sich von selbst, dass ich meine Kraft darauf setze, dass der europäisch-türkische Ansatz sich als der Weg herausstellen kann, den es sich lohnt weiter zu gehen". Doch durchgreifende Erfolge wird die Bundeskanzlerin wohl nicht vorweisen können. Vorsorglich heißt es auch im Entwurf der Schlusserklärung, Wiedervorlage beim nächsten Gipfel im März.
Britische Reformwünsche plötzlich im Fokus
Deutlich optimistischer dagegen die Erwartungen für die anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien, um einen drohenden Brexit zu verhindern. Auch wenn der Teufel bekanntlich im Detail liegt, warnt auch der Chef der Europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer: "Die Woche ist verteufelt knifflig".
Bis zuletzt wurde um ein Kompromisspaket gerungen, wichtige Streitfragen aber müssen letztlich die Chefs klären: etwa das künftige Verhältnis zwischen Euro- und Nicht-Eurostaaten sowie das Einspruchsrecht der nationalen Parlamente, um sich gegen EU-Gesetze wehren zu können. Oder auch die Ausgestaltung einer sogenannten Notbremse, mit deren Hilfe Großbritannien den Anspruch von Einwanderern aus anderen EU-Staaten auf Sozialleistungen zeitlich beschränken kann. Am Ende muss ein Spagat gelingen, sagt EU- Parlamentspräsident Martin Schulz:
"Missbrauch von Sozialsystemen ist unzulässig. Und deshalb muss man eine Regelung finden, die 100 Prozent vereinbar ist mit der garantierten Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern innerhalb des Binnenmarktes innerhalb der Europäischen Union und dem Nichtdiskriminierungsgebot".
Notwendige Feinarbeit für erhofften Beschluss
Am frühen Abend sollen die Chefs über all diese Fragen beraten, danach müssen Juristen und Diplomaten die notwendige Feinarbeit leisten – schließlich geht es auch um rechtlich bindende Texte. Läuft alles glatt, soll der Gipfel am Freitag das Paket absegnen. Mit dem dann anschließend Premierminister David Cameron auf Werbetour bei den britischen Wählern für einen Verbleib der Insel in der EU antreten muss.