Die Initiative des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) für den Flüchtlingsgipfel sei eine gute Sache gewesen, sagte die Caritas-Mitarbeiterin. Es sei nun wichtig, die Aufnahmekapazitäten zu steigern - sowohl in den Erstaufnahmestellen als auch in der anschließenden Unterbringung. Trotz der teilweise sehr dramatischen Situation könnten die Strukturen, um die hohe Zahl der Flüchtlinge zu bewältigen, nur nach und nach geschaffen werden.
Die vorgeschriebene Mindestfläche bei der Unterbringung von Flüchtlingen vorübergehend von 7,5 auf 4,5 Quadratmeter pro Person zu senken, sei in der derzeitigen Situation zwar nicht die gewünschte, aber eine "pragmatische Lösung". Wichtig ist laut Schneider ebenfalls, die Willkommenskultur zu stärken. Die Arbeit ehrenamtlicher Helfer trage dazu bei, in der Bevölkerung ein Bewusstsein und Verständnis für die Lage der Flüchtlinge zu bilden.
Das Interview in voller Länge:
Doris Simon: Mehr Tempo, die Verfahren beschleunigen und Aufnahmekapazitäten ausbauen – diese Ziele hat sich die baden-württembergische Landesregierung nach dem Flüchtlingsgipfel heute in Stuttgart gesetzt. Mathea Schneider, Mitglied im Vorstand des Diözesan-Caritasverbandes Freiburg, war heute in Stuttgart dabei. Frau Schneider, wie zufrieden sind denn Sie mit den Ergebnissen?
Mathea Schneider: Ich muss sagen, ich bin eigentlich sehr zufrieden. Ich finde, die Initiative des Ministerpräsidenten, einen Flüchtlingsgipfel einzuberufen und die wichtigen Akteure aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden zu beteiligen an einem so wichtigen Thema, doch eine gute Sache.
"Aufnahmekapazitäten steigern"
Simon: Was die Ergebnisse angeht, was muss aus Ihrer Sicht von Baden-Württemberg und anderen Ländern als Erstes angepackt werden?
Schneider: Also was sich heute auch wieder herausgestellt hat, ist, dass natürlich aufgrund der steigenden Flüchtlingszahlen, also steigenden Flüchtlinge, die nach Baden-Württemberg kommen, es wichtig ist, die Aufnahmekapazitäten zu steigern. Das betrifft sowohl die Landeserstaufnahmestellen und auch die Bedarfserstaufnahmestellen als auch natürlich, was die Anschlussunterbringung anbelangt. Das ist sicher eine zum Teil sehr dramatische Situation, die dort vor Ort einfach auch anzutreffen ist.
Simon: Das klingt so einfach, Unterbringungskapazitäten steigern, aber das heißt, es muss irgendwoher Raum gefunden, genommen werden – Zeltstädte, Container haben wir jetzt schon, Turnhallen –, lässt sich das überhaupt so schnell schaffen, wie es gebraucht wird?
Schneider: Es werden sicher alle Anstrengungen unternommen, um das zu gewährleisten, aber Tatsache ist auch, dass das nicht so einfach sich gestaltet und dass die Strukturen, um diese Flüchtlingsströme, kann man ja sagen, zu bewältigen, eben auch nach und nach erst geschaffen und auch routiniert arbeiten können. Also es sind wirklich alle Stellen dran, auch entsprechend sich zuzurüsten und aufzustellen.
"Pragmatische Lösungen angesichts der dramatischen Situation"
Simon: Erfüllen Aufnahme und Unterbringung denn derzeit aus Ihrer Erfahrung noch die gesetzlichen Vorgaben?
Schneider: Es wird sich bemüht, die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen, aber wir wissen auch, dass in den Aufnahmestellen, wie ich vorhin sagte, Landeserstaufnahmestellen und auch auf den Bedarfserstaufnahmestellen, natürlich die Situation so ist, dass mehr Flüchtlinge, als ursprünglich eigentlich dort vorgesehen sind, untergebracht werden müssen, und man versucht eben, diese Situation so gut als möglich zu handeln.
Simon: Was halten Sie in dieser Situation davon, angesichts der aktuellen Überforderung von Städten und Kommunen, die gesetzlichen Mindeststandards für die Unterbringung zeitweise auszusetzen?
Schneider: Das ist heute angesprochen worden, dass also für zwei Jahre diese Mindeststandards von 7,5 auf 4,5 Quadratmeter pro Person gesenkt werden sollen. Das halte ich in der derzeitigen Situation zwar nicht für die von uns und auch von allen Beteiligten gewünschte Lösung, aber eine pragmatische Lösung angesichts der Dramatik der Situation.
Simon: Frau Schneider, auch in Baden-Württemberg ist es ja rund um einige Unterkünfte von Asylbewerbern zu Unruhe bei den Anwohnern gekommen, es gab ja auch einen Brandanschlag – werden die heute vereinbarten Maßnahmen dazu beitragen, dass sich die Stimmung wenigstens nicht verschlechtert?
Schneider: Ich denke, daran haben alle Interesse und daran arbeiten auch alle. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir die Willkommenskultur, die wir ja in der Bevölkerung auch vorfinden – es gibt sehr viele Menschen, die sich ehrenamtlich in die Flüchtlingsarbeit einbringen und engagieren und zusammen mit hauptberuflichen Mitarbeitenden sich um Flüchtlinge kümmern –, dass diese Willkommenskultur das Eigentliche ist, was wir erhalten sollten, und dass wir alles daransetzen müssen, um in der Bevölkerung eben diese Willkommenskultur zu verstärken und eben dazu beizutragen, dass eben der, sagen wir mal, der soziale Frieden erhalten wird.
"Verständnis für die Menschen, die kommen"
Simon: Alles dransetzen, haben Sie da einen konkreten Vorschlag, was man noch besser machen könnte, um eben die Bereitschaft zu erhalten?
Schneider: Ich denke, dass die Arbeit auch gerade der Ehrenamtlichen vor Ort, wo also auch die Kirchen sich ja sehr stark engagieren, dass die mit dazu beiträgt, auch in der Bevölkerung ein Bewusstsein zu bilden für die Situation und für die Schwierigkeiten und vor allen Dingen Verständnis auch zu erlangen für die Menschen, die zu uns kommen auf der Suche nach einer neuen Lebensperspektive.
Simon: Gerade die Kirchen haben sich ja in den vergangenen Jahren auch beim Kirchenasyl sehr stark engagiert, auch bei abgelehnten Asylbewerbern. Heute hieß es nach dem Flüchtlingsgipfel von Ministerpräsident Kretschmann, es soll schnellere Verfahren geben und auch schnellere Rückführungen. Werden Sie da auch mitziehen?
Schneider: Also wir haben unsere Dinge zu dem Thema der Rückführung gesagt. Es scheint uns wichtig, dass Perspektiven für die Menschen, die rückgeführt werden, eröffnet werden. Da hat die Landesregierung entsprechende Programme auch aufgelegt, dass die Beratung stattfindet und dass die Menschen, wenn sie rückgeführt werden, auch unterstützt werden, dass die Rechte von Familien und von Kindern auch ganz besonders geschützt sind und dass vor allen Dingen auch über legale Zuwanderungsmöglichkeiten hier Möglichkeiten geschaffen werden für solche Menschen, die nach der Möglichkeit nach Arbeit suchen und hier dann bei uns auch Beschäftigung finden können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.