Markus Dichmann: Auch wenn die Aufregung über die Themen Flucht und Migration immer noch groß ist, brauchen wir uns auch nichts vormachen: Die Geflüchteten sind längst hier - und ihre Integration hat schon lange begonnen. Und zwar unter anderem auch am Campus. Wir werfen dabei einen speziellen Blick auf 450 studentische Initiativen - die durch ein Programm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) finanziert werden. Das Programm heißt "Welcome" und hat gerade erst den Zuschlag des Bundesbildungsministeriums bekommen, bis 2018 weiter mit Geld versorgt zu werden. In Berlin treffen sich heute viele der engagierten Helfer, um sich mal auszutauschen, wie’s bisher so läuft - und zwar an der HWT - der Hochschule für Technik und Wissenschaft - wo Birgitta Kinscher für "Welcome" zuständig ist. Wir haben sie auf der Konferenz erreicht und gefragt: Was an der HTW in Berlin so für Flüchtlinge gemacht wird?
Birgitta Kinscher: Im Rahmen des DAAD-Welcome-Projekts haben wir studentische Hilfskräfte, die sich engagieren für die Integration ins Studium, und das betrifft sowohl den Bereich Information, also was heißt Studieren in Deutschland, was heißt Studieren an der HTW, welche Voraussetzungen muss ich erfüllen und so weiter. Dazu bieten wir Informationsveranstaltungen in Arabisch, Farsi und Englisch an. Und das alles wird eben von Studierenden selber durchgeführt. Entsprechend machen die auch dazu Informationsmaterialien und geben diese Information auch an die Notunterkünfte, wo eben die Geflüchteten sind, die als potenzielle Studierende von uns angesprochen werden.
Spontane Welle der Unterstützung
Dichmann: Und das machen Sie seit wann?
Kinscher: Über das DAAD-Programm machen wir das seit März diesen Jahres. Und wir haben aber auch schon vorher angefangen, weil im November letzten Jahres in unsere Turnhalle eine Notunterkunft eingezogen ist mit knapp 200 Geflüchteten, die hier eingezogen sind, und das hat sehr spontan eine Welle der Unterstützung und des Engagements sowohl bei den Studierenden als auch bei den Mitarbeitern und Professoren ausgelöst. Und dann waren wir sehr froh, dass wir das Ganze dann ab März eben über das DAAD-Programm weiterführen konnten.
Dichmann: Wie ist denn dieser Kontakt zustande gekommen, dass Sie dann unter das Dach von "Welcome" geschlüpft sind?
Kinscher: Wir sind ja über das International Office sowieso in enger Zusammenarbeit mit dem DAAD und sind eben insofern informiert worden, dass es da jetzt Möglichkeiten gibt, auch für diese Aktivitäten mit Geflüchteten Gelder zu bekommen.
Dichmann: "Welcome", haben wir ja schon erwähnt, ist ein Projekt des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Und mitverantwortlich für "Welcome" und jetzt mit uns verbunden ist Christian Müller vom DAAD. Ich grüße Sie, Herr Müller!
Christian Müller: Guten Tag!
DAAD: "Kein Projekt von uns - sondern von Hochschulangehörigen selbst"
Dichmann: Studierende engagieren sich für Flüchtlinge und Integration, das ist ja im Grunde die Idee von "Welcome". Im Grunde, wenn man das so nennen will, Integrationslaien - ist das eine richtige Idee?
Müller: Das halte ich für eine sehr richtige Idee. Man muss dazu sagen, dass es ja im eigentlichen Sinne nicht ein Projekt von uns ist, sondern von den Studierenden und anderen Hochschulangehörigen selber. Also, dass die Studenten selbst sich gesagt haben, da müssen wir was machen, da müssen wir aktiv werden, diese Idee ist ja schon wesentlich älter als unser Programm. Wir haben ja im Grunde darauf aufgesetzt, dass es solche Initiativen schon gab, dass an sehr vielen Hochschulorten, man kann eigentlich sagen, an allen Hochschulen, sich die akademische Community sozusagen selbst engagiert hat, und haben gesagt, damit dieses Engagement nicht abflaut, muss man da ein wenig finanziell mithelfen und beispringen. Also wir setzen praktisch da an, wo es Initiativen gibt, und sagen denen, das ist gut, das finden wir gut, macht damit weiter und lasst nicht nach in eurem Engagement. Dafür bekommt ihr ein Geld, mit dem man im kleinen Rahmen wissenschaftliche Hilfskräfte bezahlen kann.
Sprach-Cafés und Buddy-Programme
Dichmann: 450 Initiativen sind es in ganz Deutschland. Von einer haben wir eben schon gehört. Was gibt es denn noch so für Initiativen unter dem Dach von "Welcome"? Was passiert da so an den Campussen?
Müller: Der Kern ist natürlich das Beraten, das sogenannte Buddy-Programm, also dass sich Studenten zusammentun mit interessierten Flüchtlingen, also geflüchteten Menschen, und sagen, ich begleite dich dabei, bei den ersten Schritten, bei der Klärung der Frage, was ist für diese Person geeignet als Studiengang, welche Dinge muss man wissen, wenn man an eine deutsche Hochschule kommt. Das sind zum Teil bürokratische Dinge, zum Teil auch natürlich Sprachvorbereitung, dass man ihnen hilft beim Erlernen der deutschen Sprache. Da gibt es so Sprach-Cafés oder auch Sprach-Tandems, wo sich dann ein deutscher Student mit einem syrischen Studenten beispielsweise zusammentut und sagt, ich möchte gern Arabisch lernen, du willst und musst Deutsch lernen - da tun wir uns doch mal zusammen mit unseren beiden Interessen und arbeiten zusammen an diesen beiden für uns fremden Sprachen. Was ich auch interessant finde, ist diese Idee einer Rechtsberatung unter dem englischen Begriff "Refugee Law Clinic", also dass man Rechtsberatungen anbietet zu ausländerrechtlichen Fragen, auch zu hochschulrechtlichen Fragen. Dass also den Menschen da, wo wir selber ja, wenn man mal ernst ist und sich selbst befragt, wo wir selbst ja auch Fragen hätten, dass man ihnen da weiterhilft auch in der schwierigen bürokratischen juristischen Sprache, die wir dabei verwenden.
Dichmann: Aber bei derart vielen Gruppen - noch mal: 450 Initiativen - wie wählen Sie da eigentlich aus, und wie kontrollieren Sie auch danach, dass kein Schindluder mit der Finanzierung getrieben wird?
Müller: Die Kontrolle, um das mal gleich zu sagen, die unternehmen natürlich die Hochschulen. Die Hochschulen sehen ja die Initiativen, sind ja im Kontakt mit diesen Initiativen und achten da immer sehr genau darauf, dass die das Geld, das ja öffentliches Geld ist, es ist Steuergeld, kommt vom Bund, dass das auch sachgerecht verwendet wird. Ich glaube, da muss man sich keine Sorgen machen. Die Hochschulen machen das routinemäßig richtig und wissen auch, worauf da zu achten ist. Welchen Erfolg das hat? Ich glaube, natürlich ist es jetzt noch jung. Den Erfolg erkennen wir jetzt daran, dass der Zuspruch enorm ist, also sowohl von den Hochschulen selbst, von den Studierendeninitiativen selbst, wie aber natürlich auch von den Begünstigten, wenn man so will, also von ausländischen Studieninteressierten, die geflüchtet sind, ihre Länder haben verlassen müssen und dann natürlich jede Art Assistenz und Beratung brauchen. Also die Nachfrage, der Zuspruch ist außerordentlich groß. Dies würde ich als erstes Ergebnis festhalten.
"Wir bereiten die Studierenden der nächsten Generation vor"
Dichmann: Danke, Herr Müller. Christian Müller vom DAAD. Das Programm "Welcome" war auf ein Jahr ursprünglich mal befristet, wird bis 2018 verlängert, haben wir ja auch schon gehört, das heißt jetzt auch für Sie, Frau Kinscher, Birgitta Kinscher aus Berlin, geht es mit Ihrem Projekt an der HTW auch bis 2018 weiter.
Kinscher: Also wir freuen uns, dass es die Verlängerung gibt bis 2018. Da gab es zwischenzeitlich mal Unklarheiten, ob das Programm tatsächlich weitergeführt wird. Und für uns ist es natürlich super, weil wir starten jetzt zum Beispiel ganz aktuell im Oktober noch mit einem Arabisch-Kurs, den ein arabischsprachiger Studierender der Hochschule hier anbietet für Mitarbeiter, Studierende und Hochschullehrende. Und es war so, dass wir den Kurs hier beworben haben, und innerhalb von - also quasi am Freitag beworben haben, und übers Wochenende waren die Plätze alle belegt. Da freuen wir uns natürlich, solche Initiativen dann auch weiterführen zu können.
Dichmann: Verraten Sie uns doch aber zum Schluss noch, wie man das eigentlich unter einen Hut bekommt, also sich derart zu engagieren für die Integration von Flüchtlingen und gleichzeitig noch ein Studium auf die Beine zu stellen?
Kinscher: Das Studium ist natürlich unser Kerngeschäft, insofern ist es natürlich super, dass wir für solche Aktivitäten dann eben auch Drittmittel und damit auch zusätzliche Kräfte bekommen. Und für uns sind natürlich die Geflüchteten auch die Studierenden der nächsten Generation. Insofern bereiten wir eigentlich damit auch die nächsten Studierenden für uns vor.
Dichmann: Aber die Regelstudienzeit von einigen wird da sicherlich gebrochen werden.
Kinscher: Für die ist es in gewisser Weise eine Doppelbelastung. Wir haben allerdings auch eine ganze Reihe der Aktivitäten auch in das reguläre Studienprogramm integriert. Also dass wir zum Beispiel auch Veranstaltungen haben im Bereich interkulturelle Kompetenz oder ähnliche Themen, wo dann auch Geflüchtete mit regulären Studierenden in einer Lehrveranstaltung sitzen.
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