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Flüchtlingshilfe
Ein Weg der Integration: Unternehmen gründen

Die Pariser Organisation Singa setzt sich für ein schnelleres Asylverfahren in Frankreich ein - bei unseren Nachbarn dauern Verfahren in der Regel zwei Jahre. Einen schnelleren Weg in die Gesellschaft will Singa den Neuankömmlingen über die berufliche Ebene ermöglichen - mit nur einer Handvoll Mitarbeitern.

Von Ursula Welter |
    Hinter der Fassade eines ehemaligen Klosters im 18. Stadtteil von Paris. Unter dem Dach des einstigen Kirchenschiffes toben Kinder, der Ort heißt heute "Archipel", Vereine nutzen die Räume, in den oberen Etagen sind Flüchtlingsfamilien untergebracht.
    In einer Nische bietet ein sudanesischer Künstler einen Malkurs an, ein Schriftsteller aus dem Kongo breitet seinen Erfahrungsschatz aus, überall Zuhörer, Menschen aller Herkunft, ein Buffet steht bereit. Ein junger Mann schüttelt Hände, begrüßt alte Bekannte und neue Gesichter. Volles, dunkles Haar, helle Haut, schwarze Augen, der Chef von Singa hockt sich rittlings auf eine Holzbank, er trägt ein afrikanisches Hemd, ein Gastgeschenk.
    "Ich heiße Nathanael Molle, wir haben Singa vor drei Jahren gegründet."
    Wie sein Partner und Studienfreund, Guillaume Capelle, ist Nathanael Molle Jurist, Fachmann für Internationales und Europarecht, für Menschenrechtsfragen.
    "Ich habe mein ganzes Leben lang im Ausland gelebt - habe mein Leben lang Flüchtlinge getroffen."
    In Afrika und in Asien vor allem. Der Beruf der Eltern brachte es mit sich. Das Wort Singa hat er aus Mali mitgebracht, es bedeutet so viel wie "helfen".
    "Was ich damals, als ich sehr jung war, nie verstanden habe ist, warum ich da im Ausland, als Europäer, wie ein König behandelt wurde, und andere Ausländer, die sich das nicht ausgesucht hatten, ganz und gar nicht so gut behandelt wurden."
    Nathanael Molle beobachtet und zieht seine Schlüsse.
    "Die meisten Hilfsorganisationen konzentrieren sich auf Asylanträge, weil da die größte Not herrscht - wir haben in Frankreich zum Beispiel 25.000 Unterkünfte für Asylbewerber, aber 65.000 Antragsteller. Also da ist Druck. Andererseits wird wenig für die Integration der Flüchtlinge getan."
    Kaum 30 Jahre jung, gerade Vater geworden. Seine Worte unterstreicht der junge Mann mit deutlichen Gesten, ein Idealist mit dem Habitus eines motivierten Managers.
    "Singa war die erste Organisation in Frankreich, die gesagt hat: Flüchtlinge können Unternehmen gründen!"
    Wir sind "überparteilich, religiös neutral", unterstreicht Molle.
    "Wir haben uns gesagt, was sind die drei größten Kritikpunkte, die man Flüchtlingen entgegenhält: 1. Sie nehmen uns Arbeitsplätze weg. 2. Sie liegen der Gesellschaft auf der Tasche. 3. Sie wollen sich nicht integrieren. Wir haben dagegen gehalten: Mit einem eigenen Unternehmen schaffen sie Arbeitsplätze, verkaufen Waren an Franzosen und zahlen viel Steuern."
    Hilfe auf beruflicher Ebene
    Singa hilft Flüchtlingen in die berufliche Selbständigkeit, bringt Unternehmer mit Flüchtlingen in Kontakt, hilft bei der Bürokratie, fördert die Sprachkenntnisse.
    "Wir begleiten zum Beispiel eine syrische Rappergruppe, einen zeitgenössischen Künstler, ein Lebensmittelgeschäft, einen Klempner - wir sind nicht in allem Spezialisten, aber wir können die finden, die es sind!"
    Die Talente sind überall, sagt der junge Mann auf der Holzbank im Hinterzimmer des ehemaligen Klosters:
    "Wir sind die einzige Organisation, die in Frankreich so etwas anbietet, die anderen Flüchtlingsorganisationen schicken uns die Leute, und auch die Mund-zu-Mund-Propaganda unter den Flüchtlingen funktioniert sehr gut."
    Das UN-Flüchtlingshilfswerk ist längst auf Singa aufmerksam geworden, Unternehmen und Tausende von Freiwilligen haben sich angeschlossen, in Marokko hat Singa die erste Niederlassung außerhalb Frankreichs gegründet, die nächste ist in Kanada geplant, deutsche Stiftungen schicken ihre Migrationsforscher in die Räume der ideenreichen Truppe in Paris.
    Gerade haben sie mit Singa die Internet-Plattform "Calm" für Flüchtlinge und französische Familien kreiert. "Comme à la maison - wie zuhause". Die einen suchen ein Dach über dem Kopf, die anderen haben ein Zimmer frei.
    "Wenn sie in einem Flüchtlingsheim leben, sind sie von der Gesellschaft ein wenig abgeschnitten. Sie sind mit Leuten zusammen, die nicht unbedingt Französisch sprechen. Aber mit Calm sind sie in einer Familie, sie werden französisch sprechen, ein soziales und berufliches Netzwerk vorfinden, das heißt sehr viel bessere Integration!""
    Wir waren selbst erstaunt, sagt Nathanel Molle, hunderte Familien in ganz Frankreich machen mit:
    "Da haben wir uns gesagt, von diesen Leuten spricht man nie, man redet vor allem von den Problemen, aber nicht von dem Elan der Hilfsbereiten, die den Flüchtlingen helfen , sich zu integrieren, ihnen familiären Komfort bieten, den sie oft verloren haben, wir wollten von diesen Leuten reden und andere Familien damit ermuntern, das gleiche zu tun."
    Um Reichtum geht es nicht
    Reich werden die jungen Leute mit ihrer Unternehmung nicht, es hat mehr als zwei Jahre gedauert, bis er selbst einen Lohn aus seiner Unternehmung ziehen konnte, aber um Reichtum geht es hier auch nicht:
    "Man kann viel erreichen mit wenig Mitteln. Es braucht heutzutage vor allem guten Willen, und nicht so sehr Geld."
    Persönliche Fragen pariert Molle sachlich. Nur kurz flackert in seinen dunklen Augen etwas wie Rührung auf, bei der Frage, ob diese Arbeit in glücklich mache:
    "Ja, sicher - das ist die Leidenschaft unseres Lebens."
    Nathanael Molle will mit seinen Freunden und Helfern die Mentalität in den Gesellschaften ändern, den negativen Unterton aus dem Wort "Flüchtling" nehmen. Es geht, sagt er, um die Person hinter den Debatten.
    Zurück in der Halle des ehemaligen Klosters, das heute Flüchtlingsheim ist, wartet in der Schar der Freiwilligen, der ehemaligen und neuen Flüchtlinge bereits ein älterer Herr, der wissen will, wie er als pensionierter EDV-Spezialist mit anpacken kann.