In der Lessinghöhe, einem Kinder- und Jugendzentrum des Bezirksamtes Berlin-Neukölln, läuft gerade Bayern München gegen Juventus Turin. Die Playstation mit dem Fußballvideospiel ist hier der absolute Renner. Es steht 3 zu 1 für die Bayern. Täglich kommen circa 80 Kinder und 100 Jugendliche hierher, um zu kickern, Fußball oder Tischtennis zu spielen, im Fitnessraum zu trainieren oder einfach nur ein paar Freunde zu treffen. Etwa 80 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund:
"Wir haben natürlich viele Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund, mit arabischem Migrationshintergrund, meistens Jugendliche aus dem Libanon und Palästina. Und dann kommt noch aus den ex-jugoslawischen Ländern, Albanien eine große Gruppe dazu, ein paar polnische Jugendliche. Das ist so der Mix."
Jürgen Schmeichler, der Leiter der Einrichtung, arbeitet hier seit 21 Jahren. Er kennt die sozialen Verhältnisse in Nord-Neukölln nur zu gut, in denen seine jugendlichen Besucher aufwachsen. In der unmittelbaren Nachbarschaft lebt jede zweite Familie von Hartz -IV.
"Die Altbaugebiete sind sozial noch hoch belastet, einfach durch einen hohen Grad an Arbeitslosigkeit und Transferleistungsempfängern. Demzufolge haben die Jugendlichen natürlich auch relativ wenig Geld in der Tasche. Bei uns kostet eine kleine Cola 30 Cent, eine große Cola 50 Cent."
In Berlin-Neukölln stammen etwa 40 Prozent der über 325.000 Einwohner aus Einwandererfamilien. In Nord-Neukölln wachsen sogar 80 Prozent der Jugendlichen unter 18 Jahren in Familien mit Migrationshintergrund auf. In den 60er- und 70er-Jahren waren ihre Eltern oder Großeltern als Gastarbeiter, wie es damals hieß, hierher gekommen - vor allem aus ländlichen Regionen der Türkei. Der Wohnraum in den Altbauquartieren war zu dieser Zeit äußerst günstig, da die deutschen Familien gerade vom Norden des Viertels in den Süden abwanderten - viele von ihnen in die gerade errichtete Gropiusstadt, eine Hochhaussiedlung.
"Und die großen Quartiere in Nord-Neukölln wurden natürlich mit Kusshand genommen von Gastarbeiterfamilien, die wenig Geld ausgeben wollten, weil sie immer noch die Idee hatten: Wir ziehen später in die Türkei, machen da unsere Hühnerfarm, unser Hotel, unser Geschäft auf. Da hat man wenig Geld ausgeben wollen und dann diese Quartiere bezogen. Und als dann die Kriegsflüchtlinge kamen, hat der Senat gesagt: Nun wohnt mal schön auch da, da sind Wohnungen billig, dann sparen wir. Das war auch ein Strukturfehler des Senats. So kam es zu dieser Konzentration von Migrantenfamilien, die sehr niedrig anfangen, also wo der Bildungsgrad dann noch nicht so hoch ist. Und davon haben wir uns bis heute nicht erholt."
Folgen von einstigen Fehlern
Mit den Folgen dieser Fehler ist Arnold Mengelkoch als Migrationsbeauftragter des Bezirks täglich konfrontiert: Bildungsmangel, religiöse Radikalisierung, Gruppenbildung, Exklusion und organisierte Kriminalität. Mit Blick auf solche Fehlentwicklungen soll das Thema Integration von Flüchtlingen auch am Dienstag bei der Sitzung des Lenkungsausschusses der Deutschen Islamkonferenz zur Sprache gebracht werden.
Unter anderem will man darüber reden, wie die hier lebenden Muslime einen Beitrag dazu leisten könnten, andere Muslime zu integrieren. Für Arnold Mengelkoch aus Berlin-Neukölln ist Arbeit das beste Mittel zur Eingliederung in die Mehrheitsgesellschaft. Doch an Arbeit mangelt es in Neukölln, nachdem Anfang der 90er-Jahre ein Großteil der Industriearbeitsplätze weggefallen ist. Zudem gibt es Einwanderergruppen wie die Palästinenser, die teilweise schon seit 25 Jahren mit einem Duldungsstatus hier leben und vom Arbeitsmarkt weitgehend ausgeschlossen sind:
"Ohne Arbeit in einer Gesellschaft, die sich über Arbeit definiert - da beginnt der soziale Tod. Die Leute haben aber keine Lust, sozial zu sterben. Also tun sie sich zusammen in ihren eigenen Communities, in ihren eigenen Gruppen. Sie finden dann immer mehr Moscheen und Migrantenvereine, die sich dann aber auch zum Teil abschotten, sich nicht mehr nach der Mehrheitsgesellschaft orientieren, sondern unter sich schauen, wie sie zurande kommen, wie sie überleben. Also haben wir hier dann den Effekt, dass wir arabische Moscheevereine haben, deren Einstellung und Alltagslebensweise teilweise konservativer ist als in den Herkunftsländern."
"In meiner Jugend war das noch völlig normal, dass man einen sehr bunt kulturell gemischten Freundeskreis hatte. Und Religion zum Beispiel spielte überhaupt keine Rolle unter uns Jugendlichen. Und das hat sich dann zunehmend verändert, je mehr das ein muslimisches Milieu wurde."
Güner Yasemin Balci ist 1975 in Neukölln geboren und von ihren Eltern, die in den 60er-Jahren als Arbeitsmigranten aus der Türkei nach Deutschland kamen, liberal erzogen worden. Heute lebt kaum noch jemand, den sie aus ihrer Jugend kennt, im Viertel.
Konservative sind in Neukölln in der Mehrheit
Die konservative muslimische Minderheit sei zur Mehrheit geworden und setze ihre Regeln durch, sagt sie. Nach den vielen deutschen hätten inzwischen auch türkische Mittelschichtfamilien die Konsequenzen gezogen und seien abgewandert.
"Die, die geblieben sind, haben das dort etabliert. Und wenn man dann als deutscher Junge eine Schwester hat, die mit 15, 16 schon bekanntermaßen keine Jungfrau mehr ist, dann ist man entehrt, weil man das nicht verhindert hat oder weil man sie auch nicht sanktioniert hat. Deswegen haben wir ja auch diese vielen Konvertiten in diesen Milieus. Ich höre das jetzt ständig, auch von meiner Nichte aus ihrer Schule. Und das sind Gymnasiasten. Da gibt es Deutsche, Griechen und andere, die zum Islam konvertiert sind, weil sie sich nur noch so behaupten können als gestandene junge Männer, die auch Stolz und Ehre haben und auch die richtigen moralischen Werte vertreten. Das ist irgendwie so ein Trend geworden mittlerweile."
Wie stark dieser Trend tatsächlich ist, lässt sich nicht genau sagen. Immer wieder aber berichten Zeitungen über einzelne Fälle. Güner Yasemin Balci selbst ist nicht in Neukölln geblieben, als freie Journalistin und Schriftstellerin lebt sie heute im eher teuren In-Bezirk Berlin-Mitte. In ihren Fernsehbeiträgen und Büchern setzt sie sich immer wieder mit der Lebenssituation von Zuwanderern in Deutschland auseinander.
- "Ich habe sie gesehen, Mariam, in meinem Laden. Sie hat so eine obszöne Zeitschrift gekauft, wo Frauen so halb nackt vorne drauf sind."
- "Er hat seine Kinder nicht im Griff. Er ist ihnen ein schlechtes Vorbild. Wann war er das letzte Mal in der Moschee? Als Mann musst du den Weg weisen, den rechten."
- "Ja, du musst Vorbild sein, wir leben unter Ungläubigen. Überall Ungläubige, überall Versuchung. Die jungen Mädchen, die leben besonders gefährlich. Man muss aufpassen, einfach aufpassen."
- "Er hat seine Kinder nicht im Griff. Er ist ihnen ein schlechtes Vorbild. Wann war er das letzte Mal in der Moschee? Als Mann musst du den Weg weisen, den rechten."
- "Ja, du musst Vorbild sein, wir leben unter Ungläubigen. Überall Ungläubige, überall Versuchung. Die jungen Mädchen, die leben besonders gefährlich. Man muss aufpassen, einfach aufpassen."
Hinterfragung der patriarchalischen Strukturen
"Arabqueen" heißt ein Stück nach Güner Yasemin Balcis gleichnamigem Roman, das im Heimathafen Neukölln läuft. Das überwiegend jugendliche Publikum in dem Off-Theater verfolgt gebannt die Geschichte des deutsch-arabischen Mädchens Mariam, das unter den patriarchalischen Strukturen ihrer muslimischen Familie leidet. Das Stück kommt gut an.
"Das ist für junge Menschen auch ganz wichtig, um sich als Teil dieser Gesellschaft zu empfinden, dass sie wahrgenommen werden, dass man weiß, wie sie leben und dass man die Geschichten kennt. Und dann fanden sie es auch gut, zu sehen, dass es auch andere gibt, die ähnliche Erfahrungen machen."
Güner Yasemin Balci, die früher im Neuköllner Mädchentreff MaDonna gearbeitet hat, will vor allem aufklären. Sie erlebte hautnah, welchen Restriktionen Mädchen aus streng muslimischen Milieus ausgesetzt sind.
"Je mehr wir muslimisches Publikum in der Einrichtung hatten, desto mehr wurde darauf geachtet, ob die Mädchen sich korrekt, moralisch, sittsam verhalten. Und die Familien spielten eine Rolle, weil sie ihre Töchter immer unter Beobachtung haben wollten, die Brüder, Onkel, Väter immer mal wieder vorbei spazierten an der Einrichtung, um zu gucken, ob da sich nicht doch noch ein Junge rumtreibt oder so."
Jugendklub Lessinghöhe mit wenigen Mädchen
Im Jugendklub Lessinghöhe ist an diesem Nachmittag kaum ein Mädchen zu sehen. Das sei normal, meint der Leiter der Einrichtung, Jürgen Schmeichler. Mit Beginn der Pubertät dürften viele Mädchen nicht mehr hierher kommen.
"Das wird von den Eltern nicht gern gesehen. Hier gibt's, ganz klar, mehr Jungs. Auf die relativ wenigen Mädchen, die hierher kommen, sind wir total stolz, weil das wirklich ganz tolle Mädchen, werdende junge Frauen sind, die sind aktiv, die spielen Fußball, die wollen was im Leben, die versuchen, einen guten Schulabschluss zu machen. Und ich hoffe natürlich, dass es in Zukunft auch noch mehr Mädchen werden, dass wir eines Tages einen natürlichen Anteil von 50 Prozent haben."
Der Neuköllner Migrationsbeauftragte Arnold Mengelkoch findet, dass sowohl Mädchen als auch Jungen in streng muslimischen Familien starken Zwängen ausgesetzt sind:
"Bei konservativen Familien, die Wert auf ganz viele Kinder legen, da haben die Mädels die schlechtere Karte, weil sie mit 12, 13, 14 möglichst aus der Schule raus sollen, weil dann die Verheiratung beginnt - die arrangierte Ehe. Sie dürfen sich zwischen ein paar Cousins einen aussuchen. Oder die erzwungene Ehe, weil es immer schon festgelegt war. Die Jungs wiederum haben in so einem Kontext natürlich diese Verwöhngeschichte, toll, für mich ist gesorgt, ich kriege schon meine Frau, meine Cousine. Aber der Druck ist ja da, die Familie zu verteidigen. Das heißt, das Messer in der Tasche geht nicht nur auf im eigenen Konflikt, sondern wenn man gerufen wird, hat man da zu sein."
"Wir haben 2005 den bekannten Ehrenmord an Hatun Sürücü in Berlin-Tempelhof gehabt. Wir haben danach leider viele Ehrenmorde erleben müssen, wo Menschen ihre Schwestern, ihre Kinder umgebracht haben, weil sie selbstbestimmt leben wollten oder weil sie Sex gehabt haben. Das sind Zustände, die wir nicht akzeptieren wollen. Wir wollen auch nicht akzeptieren, dass deutsche Mädchen mit Migrationshintergrund oder ohne vom Schwimmunterricht befreit werden, weil das die Ehre der Familie irgendwie beschmutzen kann. Das sind Zustände, die nicht zu Deutschland gehören, diese Jugendlichen gehören aber dazu. Und wir müssen sie gewinnen, ihnen Alternativen anbieten."
Gewaltpräventionsprojekt gegen religiöse Radikalisierung
Ahmad Mansour ist 2004 als Student nach Berlin gekommen. Der Israeli mit arabischen Wurzeln hatte es zunächst schwer, sich hier zurechtzufinden. Er verstand die Sprache nicht und fühlte sich verloren in einer Gesellschaft, in der andere Regeln und Gesetze galten. Anschluss fand er anfangs nur in Moscheen. Heute engagiert sich der Psychologe und Buchautor im Neuköllner Gewaltpräventionsprojekt "Heros" gegen religiöse Radikalisierung.
"Wenn keine Zugänge zu dieser neuen Gesellschaft entstehen, und bei mir sind sie nicht entstanden, fühlt man sich viel sicherer in einer Parallelgesellschaft, wo man alles kennt. Das war für mich die Moschee. Für andere ist das wahrscheinlich der Neuköllner Humusladen oder das Teehaus, wo sie andere Männer aus ihrem Kulturkreis treffen. Diese Ängste müssen abgebaut werden. Und die können nur abgebaut werden, wenn ein Dialog zwischen der Mehrheitsgesellschaft und Menschen, die dazu kommen, entsteht. Wenn diese Dialoge nicht da sind, dann bleiben diese Menschen allein mit ihren Ängsten."
Parallelgesellschaften, wie man sie in Berlin-Neukölln beobachten kann, mit eigenen kulturellen Codes, Moralvorstellungen und Traditionen, bereiten vielen Politikern Kopfschmerzen. Fehler, die in der Vergangenheit bei der Integration von Einwanderern gemacht wurden, heißt es, dürfen angesichts der gegenwärtigen Zuwanderung von Flüchtlingen nicht wiederholt werden. Zu viele Migranten seien damals unter sich geblieben. Sie hätten gar keine Notwendigkeit darin gesehen, die Sprache des Landes, in dem sie nun lebten, zu erlernen, warnt beispielsweise Neuköllns Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey von der SPD. Eine Konzentration von Flüchtlingen in bestimmten Wohnblöcken und Stadtvierteln müsse deshalb unbedingt vermieden werden.
Parallelgesellschaften Bestandteil eines Einwanderungslandes
Parallelgesellschaften gehörten zu einem Einwanderungsland dazu, meint hingegen die Karlsruher Soziologieprofessorin Annette Treibel:
"Ich komme an, ich gucke, wo sind Leute, die eine halbe Generation früher gekommen sind? Die können mir helfen bei der Integration. Insofern ist das, was von außen als Parallelgesellschaft angesehen wird, erst mal eine normale Anpassungsschleuse. Für viele ist das wirklich so ein Durchlauferhitzer hin zur Aufnahmegesellschaft, andere verharren dort. Gerade was die türkische Gruppe angeht, da gibt es auch sehr viele Optionen, sein Leben irgendwie zu meistern in dieser Gruppe. Viele Leute, die wir möglicherweise von außen als nichtintegriert wahrnehmen, die machen ihr Ding in Deutschland. Dieses Ding sieht vielleicht anders aus, als wir uns das vorstellen."
Deutschland müsse ein "selbstbewusstes Einwanderungsland" werden, meint Annette Treibel. Dabei geht es ihr um ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl, um die Haltung, Zugewanderte nicht als das Andere zu betrachten, das Fremde, das sich den geltenden Regeln, Sitten und Normen nur anzupassen habe. Deutschwerden sei etwas, das man durchaus erlernen könne. Dazu gehört ihrer Meinung nach allerdings auch der entsprechende Wille.
"Wenn ich mir vorstelle, ich wäre Schulleiterin in Neukölln, dann kann ich nichts anderes tun, als versuchen, mit Eltern, gleichgültig welcher Herkunft, bestimmte Regularien zu vereinbaren, auch durchaus in die konfliktreiche Auseinandersetzung zu gehen. Wenn das nicht funktioniert, ja, irgendwann ist man dann mit seinem Latein am Ende als Bezirksregierung, als Schule, als Sozialarbeiterin. Am Ende müssen das die Leute tatsächlich für sich selber klarkriegen, was sie mit ihrem Leben machen wollen. Vieles wird uns nicht gefallen. Aber die Anstrengungen, die bisher da gemacht worden sind, das wäre mein Plädoyer, die sollten weiter unternommen werden."
Investitionen ins Quatiersmanagement
60 Millionen Euro hat der Bezirk Neukölln in den letzten 15 Jahren allein für Projekte im Bereich Quartiersmanagement ausgegeben. Ziemlich viel Geld, meint der Neuköllner Migrationsbeauftrage Arnold Mengelkoch. Geld, das investiert wurde, um den sozialen Frieden im Viertel zu erhalten. Bildung ist für Mengelkoch, der zum Team des ehemaligen Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky gehörte, der Schüssel zur Integration. Manchmal müssten auch mit einem gewissen Druck Bildungsleistungen eingefordert werden: Wer den Besuch von Integrationskursen verweigert, dem drohen Abzüge beim Arbeitslosengeld.
"Und da ist es so, dass dann auch Frauen in die Kurse dürfen, deren Ehemänner zu Hause das eigentlich gar nicht gut finden, dass die die Wohnung verlassen. Aber sie wollen ja das Geld haben. Also müssen sie ihren Ehefrauen erlauben, diese Kurse zu besuchen. Dass dann auch Frauen mit Kopftuch sich weinend zu Hause verabschieden, so wurde mir berichtet. Im Kurs, unter Frauen, die Kopftücher werden abgelegt, man freut sich, man ist ganz fidel miteinander, lernt gut. Und wenn man zurückgeht, wird's Kopftuch wieder aufgesetzt und man kommt wieder nach Hause und tut so, als wenn das wirklich leidvoll gewesen wäre, daran teilgenommen zu haben. Weil die Freude, dass man da gerne dran teilgenommen hat, die ist zu Hause dann nicht gerne gesehen."
Wenn es um zurückgezogene Lebensweisen und abgeschottete Strukturen geht, verweist die Soziologin Annette Treibel gerne auf bekannte Viertel im größten Einwanderungsland der Welt, den USA:
"Die finden wir auch in Chinatown in Manhattan und in kalifornischen Städten. Soziologisch betrachtet sind das auch Machtauseinandersetzungen, wenn dann in Neukölln Inschriften stehen "Deutsche raus!" und so weiter. Sobald es um Gewalt geht, um Kriminalität, ist die Polizei zuständig, sind die Gerichte zuständig. Die haben viel Arbeit, aber die Instrumente, sich dann auch zu schützen, die gibt es. Und in den Schulen und in den Behörden, wo Einwanderung schon sehr lange besteht, wäre meine klare Ansage, nicht zu verständnisvoll zu sein. 'Ich komme aus einer anderen Kultur hat sich irgendwann erledigt."
Null-Toleranz-Konzept
Eine klare Linie sei wichtig, erklärt auch der Migrationsbeauftragte und frühere Sozialarbeiter Arnold Mengelkoch, vor allem im Umgang mit Gewalt. Deshalb verfolgt man im Rollberg-Viertel, einem sozialen Brennpunkt Neuköllns, schon seit Jahren eine Null-Toleranz-Strategie.
"Null Akzeptanz von Gewalt. Selbst verbale Gewalt wird angezeigt. Das war vorher nicht so, da waren Sozialarbeiterinnen butterweich und haben so viel Verständnis gehabt für die sozialen Belastungen und die daraus resultierenden Verhaltensweisen. Aber als dann einer Sozialarbeiterin ins Bein gestochen wurde, als einer Honorarkraft das Geld, das sie beim Sommerfest verdient hatte, weggenommen werden sollte mit vorgehaltener Waffe, da war irgendwann Schluss mit lustig. Da haben sie sich zusammengetan im Rollberg und haben ein ganz kurzes Konzept geschrieben. Null-Toleranz-Konzept. Haben sie alle unterschrieben: Kneipenleute, Freizeiteinrichtungen, Polizeiabschnitt, Migrantenvereine. Wunderbar! Und haben diese einfache Haltung nach außen gegeben. Und das hat gewirkt. Das war der Durchbruch für uns, dieses Null-Toleranz-Konzept, das gilt auch bis heute."
"Wenn ihr euch nicht benehmt, dann war es das."
Zwei Jungen sind in der Lessinghöhe an der Playstation aus Langeweile aneinandergeraten. Kleine Rüpeleien, nichts Schlimmes, doch Jürgen Schmeichler geht sofort dazwischen.
"Wir gehen eben früh in Konflikte rein, das ist für uns wichtig. Bevor das ernst wird, bevor die anfangen, sich zu schubsen, bevor die anfangen, sich zu beleidigen, versuchen wir ihnen eine Handlungsalternative zu geben."
Respekt fordert Jürgen Schmeichler von seinen jugendlichen Besuchern - Respekt, den er auch ihnen entgegenbringt. Mittlerweile kommen bereits 20 Kinder von syrischen Flüchtlingen in die Einrichtung. Auch sie werden mit Handschlag begrüßt und mit dem Regelwerk vertraut gemacht. Jürgen Schmeichler versteht seine Arbeit auch als praktische Anleitung zur Demokratie.
"Viele kommen aus großen Familien mit ganz hierarchischen Familienstrukturen. Es ist nicht cool, wenn man was anders macht. Ein Andersmachen ist erst einmal ein Zeichen von Schwäche. Und wenn man das verstanden hat, dann kann man darüber reden, wie kann man es anders machen, ohne schwach zu sein. Wie kann man Demokratie entwickeln, sodass der Kleine auch mal sagen kann, aber jetzt bin ich dran am Computer, jetzt darf ich mal an der Playstation spielen. Ganz klar, bei uns gibt es ne Liste, da wird eingetragen. Und es wird so gespielt, wie das da draufsteht. Und nicht die Großen spielen und dann spielen die Kleinen irgendwann mal, wenn die Großen keine Lust haben. Klare Regeln sind das erste Durchsetzen von Demokratie."