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Flüchtlingskatastrophe
Kiesewetter fordert UNO-Mandat gegen Schleuserbanden

Das Flüchtlingsproblem in Nordafrika lasse sich nicht nur mit humanitären Maßnahmen lösen, sagte der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter im DLF. Er forderte ein UNO-Mandat für einen Polizeieinsatz in Libyen, um Schlepperbanden und ihre Mittelsmänner zu bekämpfen. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex müsse Schleuserboote beschlagnahmen und zerstören.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Peter Kapern |
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter.
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter. (Imago / Christian Thiel)
    Kiesewetter betonte, die Bevölkerung müsse offen darüber informiert werden, dass in Nordafrika eine humanitäre Katastrophe großen Ausmaßes stattfinde. Der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss forderte deswegen, mit Hilfe von UNO und Rotem Kreuz Auffanglager für Flüchtlinge einzurichten. Dort könnten Asylantragsgründe festgestellt werden. Zudem brauche es ein UNO-Mandat für eine Polizeimission in Nordafrika, sagte Kiesewetter im DLF. Ziel sei, die Geldtransfers von Schleuserbanden zu stoppen und Schlüsselpersonen festzunehmen.
    Wichtig ist nach Ansicht von Kiesewetter auch, Europas Nachbarländer zu stabilisieren - insbesondere Tunesien und Marokko. Falls diese beiden Länder Ziel des internationalen Terrorismus würden, drohe eine Verschärfung des Flüchtlingsproblems. Ebenso müsse eine Spaltung Libyens verhindert werden. Der CDU-Politiker sprach von einem "breiten politischen Prozess", den Europa unterstützen müsse. Deutschland habe sich darauf einzustellen, deutlich mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Die Bundesrepublik liege bei der Aufnahme an fünfter Stelle, hinter Mazedonien und den Ländern Skandinaviens.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Peter Kapern: Heute Nachmittag wird sich der Bundestag mit der Flüchtlingstragödie vom vergangenen Wochenende beschäftigen. Dort werden natürlich auch wieder Forderungen nach einer neuen Flüchtlingspolitik laut werden. Doch die Entscheidungen, die fallen dann andernorts: in Brüssel nämlich. Schließlich ist der Umgang mit den Flüchtlingen auf dem Mittelmeer eine gesamteuropäische Herausforderung. Dort in Brüssel wird es morgen einen Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs geben. Auf dem Tisch liegen dort wie in Berlin die Vorschläge der EU-Innen- und Außenminister, die ja recht allgemein gehalten sind.
    Die EU will den Schleppern, Schleusern und Menschenhändlern das Handwerk legen, die die Flüchtlinge durch Afrika schleusen und dann auf seeuntüchtigen Booten zusammenpferchen. Am Telefon bei uns ist jetzt Roderich Kiesewetter, der außenpolitische Experte der Unions-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Kiesewetter.
    Roderich Kiesewetter: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Wie legt man den Schleusern und Menschenhändlern das Handwerk?
    Kiesewetter: Zunächst mal, glaube ich - das ist ja auch in den beiden Beiträgen deutlich geworden -, ist klar geworden, das ist ein Marathon, das ist eine Daueraufgabe. Da geht kurzfristig sehr wenig. Der aus meiner Sicht zweite Punkt, der auch genauso wichtig ist: Wir müssen unsere Bevölkerung in Deutschland ganz offen und ehrlich informieren, was los ist, und wir müssen auch klar machen, hier findet eine humanitäre Katastrophe statt ungeheuren Ausmaßes. Und wir sehen ja nur das, was in die Kameras kommt. Wir wissen ja nicht, was in den Ursprungsländern zum Teil los ist, wer sich und wie über die Sahara auf den Weg macht. Deswegen ist der eine Weg sicherlich richtig, wie von Ihnen angesprochen, Schlepperbanden einzudämmen und ihre Netzwerke, die organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Das kann man mit polizeilichen Maßnahmen machen. Aber ich glaube, es muss einen Schritt weitergehen, und das sind sicherlich mittelfristige Maßnahmen. Ich komme gerade aus der Region, ich war in Tunesien, habe auch mit libyschen Regierungsvertretern und Oppositionellen in Tunesien gesprochen. Der eine Punkt ist Libyen selbst. Hier geht es darum, dass vor Ort, möglicherweise mit Hilfe der Vereinten Nationen und des Roten Kreuzes, des Internationalen Roten Halbmonds, Flüchtlingsauffanglager geschaffen werden. Das ist eine Sache, die das Rote Kreuz aushandeln muss. Aber dann ist der Schritt weiter: Tunesien und Marokko sind derzeit sehr stabile Länder im Norden Afrikas, auch Ägypten. Wir müssen schauen, dass diese Länder nicht Anschlagsziele werden. Am verwundbarsten halte ich Tunesien, denn das ist das einzige Land, das wirklich hoffnungsfroh ist im Moment in der Entwicklung. Marokko ist vergleichbar. Und der zweite Punkt ist: Was findet südlich der Sahara statt. Hier geht es um Flüchtlingsursachenbekämpfung, hier können wir auch Migrations- und Flüchtlingszentren aufbauen und - und das kam eben auch sehr deutlich zum Tragen - den Menschen dort sagen, dass es auch andere Wege legaler Einwanderung gibt, wenn sie bestimmte Berufe mitbringen, und ansonsten ihnen deutlich machen, was für eine Katastrophe auf sie wartet. Dann ist es sicherlich günstiger, Gelder dort zu investieren und viel Personal. Es gibt ja etliche Vorschläge wie Weißhelme, um dort vor Ort zu helfen.
    Kapern: Herr Kiesewetter, ich würde gerne noch mal versuchen, dieses Gespräch auf einen konkreten Punkt aus diesem gesamten Katalog von Maßnahmen, den Sie da gerade noch mal erläutert haben, zu fokussieren. Sie haben das gerade angedeutet: polizeiliche Maßnahmen in Nordafrika. Wie soll das funktionieren? Wie legt man Schleppern und Menschenhändlern, die dort ein Milliardengeschäft in Nordafrika aufgezogen haben, das Handwerk?
    Kiesewetter: Zum einen brauchen wir sicherlich ein UN-Mandat. Ich denke, das ist leichter zu erreichen als für Irak oder Syrien.
    Kapern: In dem was dann drinsteht?
    "Boote von Schleusern beschlagnahmen und zerstören"
    Kiesewetter: In dem dann ein Polizeieinsatz ermöglicht wird. Aber was genauso wichtig ist: die Zusammenarbeit von EU-Ermittlern, die Polizeibehörde Europol, die Grenzschutzagentur Frontex, aber auch die Justizbehörde EuroJust sollen stärker bei den Ermittlungen gegen die Schleuser zusammenarbeiten. Das ist ein entscheidender Punkt. Der zweite Punkt ist, die Boote von Schleusern beschlagnahmen und zerstören.
    Kapern: Lassen Sie mich bitte, Herr Kiesewetter, noch mal bei dem ersten Punkt bleiben. Die europäischen Staaten bekommen jetzt ein Mandat der Vereinten Nationen für eine Polizeimission in Nordafrika. Das ist Ihrer Ansicht nach die Voraussetzung für ein wirksames Vorgehen. Wie genau sieht dieses polizeiliche Vorgehen dann aus?
    Kiesewetter: Hier geht es zum einen um polizeiliche Maßnahmen und humanitäre Unterstützung, Aufbau von Lagern, wo Flüchtlinge wirklich sehr gut dann vorbereitet werden, wo auch schon möglicherweise Erfassungen stattfinden, wo Asylantragsgründe festgestellt werden, so dass dies nicht erst in Europa stattfindet, sondern dort vor Ort.
    Kapern: Das heißt, die Europäische Union müsste Polizisten nach Libyen schicken?
    Kiesewetter: Der Punkt ist, dass wir mit einem Mandat und in enger Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union und mit den Ländern, die sich gerade um Libyen kümmern - wir haben ja dort zwei Regierungen, die sich gegenwärtig noch bekämpfen -, wo wir dann vor Ort mit den Staaten, die sehr stark Einfluss nehmen, Türkei und Katar auf der einen Seite in Richtung Tripolis, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate mit Blick auf die Regierung im östlichen Teil des Landes - Tobruk* ist das. Dort müssen wir - das ist aber ein mittelfristiges Projekt, das geht nicht innerhalb von wenigen Wochen - ein entsprechendes Mandat anstreben. Aber genauso wichtig ist, ich möchte das betonen, die Stabilisierung von Tunesien und Marokko, denn das ist für den internationalen Terrorismus ein Ziel. Wenn diese Länder destabilisiert werden, dann sinkt auch die Hoffnung in der Region und Nordafrika versinkt in der Katastrophe. Also es geht nicht nur mit einer polizeilichen und humanitären Maßnahme, es ist ein politischer Gesamtansatz gefordert.
    Kapern: Herr Kiesewetter, aber sehen Sie es mir nach. Ich habe das immer noch nicht wirklich verstanden. Sie haben es gerade selbst angedeutet: In Libyen, da herrscht Bürgerkrieg, da bekämpfen sich zwei unterschiedliche Gruppierungen, die beanspruchen, das Land regieren zu wollen. Und Sie sagen, dort müssen europäische Polizisten hingeschickt werden. Wie soll das funktionieren? Wie sollen die Menschen dort, die europäischen Polizisten dort in Sicherheit arbeiten können?
    Kiesewetter: Zunächst einmal: das geht ja nicht morgen, sondern es ist ein breiter politischer Prozess. Die beiden Regierungen in Tobruk* und in Tripolis sind zurzeit in Verhandlungen in Marokko und demnächst findet auch die parlamentarische Versammlung "Union fürs Mittelmeer" statt. Wir haben die Aufgabe von Europa, dass diese beiden Regierungen in ihrem Land für Stabilität sorgen und zueinander finden. Die Gefahr einer Spaltung Libyens würde das Flüchtlingsproblem noch erheblich verschärfen. Also es geht darum, den staatlichen Erhalt von Libyen hinzubekommen.
    Und der zweite Punkt, wenn das gelungen ist, ist, dass wir eine Mission, eine EU-Polizeimission dort starten. Das geht aber erst, wenn die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind. In der Zwischenzeit aber können Flüchtlingsboote beschlagnahmt werden.
    Kapern: Von wem denn, Herr Kiesewetter? Lassen Sie uns noch mal kurz bei diesem Punkt bleiben, weil der so interessant ist.
    "Wir müssen Frontex stärken"
    Kiesewetter: Von Frontex! Natürlich! Ich denke, das ist doch eindeutig. Wir haben verschiedene EU-Missionen. Wir müssen Frontex stärken. Das Projekt Mare Nostrum, das Italien auf den Weg gelegt hat, da müsste man Italien wiederum unterstützen. Aber die EU hat es sich ja jetzt zum Thema gemacht, um auch Italien zu entlasten. Hier ist ganz eindeutig der Punkt, dass die Kommission hier mit entsprechend den Nachbarländern um Libyen herum Zusammenarbeit vorschlägt, und dass wir ein entsprechendes Projekt haben, das Frontex stärkt, hier insbesondere die Schleuserboote beschlagnahmt, zerstört. Und dann, das ist ja der nächste Schritt: Wir müssen uns darauf einstellen, deutlich mehr Flüchtlinge aufzunehmen, und die müssen innerhalb der EU gerechter verteilt werden. Deutschland ist im Verhältnis der EU etwa an fünfter Stelle mit der Aufnahme der Flüchtlinge. Skandinavien und, stellen Sie sich vor, auch Mazedonien liegen weit vorne im Verhältnis. Aber es gibt auch Länder wie Frankreich oder Großbritannien, die hier noch durchaus ausbaufähige Beiträge haben. Also Verteilung auch von Flüchtlingen für die Übergangszeit in der Europäischen Union.
    Kapern: Herr Kiesewetter, eine Frage habe ich in diesem Zusammenhang noch. Sie sagen, Frontex müsse das übernehmen, die Zerstörung der Boote, die die Schleuser benutzen. Nun wird ja Frontex gerade vorgeworfen, zu nah vor der italienischen Küste zu agieren. Das heißt, die Schiffe, die für Frontex im Mittelmeer unterwegs sind, die müssten dann in libysche Häfen, vor libysche Häfen fahren, um dort die Schiffe zu vernichten, die als Flüchtlingsboote benutzt werden könnten?
    Kiesewetter: Natürlich wenn sie leer sind. Hier darf kein Missverständnis aufkommen. Und wir haben ja auch Grenzüberwachungsprojekte Triton und Poseidon. Das sind Projekte, die sehr singulär einzelne Dinge bereits in Pilotphasen leisten. Da muss mehr Geld fließen. Wir müssen auch unserer Bevölkerung - und da bin ich sehr dankbar, dass Sie das Thema aufgreifen - klar machen: Die EU unterstützt wunderbar Wanderwege in den Alpen und finanziert das. Das wurde auch gestern in verschiedenen Veranstaltungen bei uns im Bundestag deutlich. Wir müssen mehr Gelder freimachen, die die Stabilität im europäischen Umfeld ermöglichen. Und das bedeutet, ganz gezielt die Schleuser, auch ihre Finanznetzwerke, die ja in die Türkei, die nach Arabien, die auch nach Südeuropa führen, hier müssen wir mit polizeilichen Maßnahmen die Geldtransfers aufklären und stoppen, Gelder beschlagnahmen, das Schlüsselpersonal festnehmen. Das sind sicherlich auch polizeiliche Maßnahmen, das sind auch nachrichtendienstliche Maßnahmen. Hier ist ein ganz großer Ansatz erforderlich. Das lässt sich nicht machen, indem einfach weitere Landeserstaufnahmestellen gegründet werden, sondern hier müssen wir im Vorfeld was machen. Und ich betone noch einmal: Im nördlichen Afrika müssen wir die dortigen Staaten stabilisieren, Flüchtlingsaufnahmelager machen, und südlich der Sahelzone, wo ein Großteil der Flüchtlinge herkommt, müssen wir besser informieren und sehr viel Geld in die Hand nehmen, um dort Flüchtlingsauffanglager zu bauen, bevor die Menschen den weiten Weg antreten, und hier möglicherweise auch mithelfen, dass Asylanträge vor Ort behandelt werden.
    Kapern: Herr Kiesewetter, danke für das Gespräch heute Morgen. - Das war Roderich Kiesewetter, der außenpolitische Experte der Unions-Fraktion im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiederhören.
    Kiesewetter: Auf Wiederhören, Herr Kapern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    *An dieser Stelle wurde ein Fehler im Transkript des Interviews korrigiert.