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Flüchtlingskinder in der Schule
"Wir brauchen mehr Schulpsychologen"

Der Vorsitzende des Philologenverbandes in Nordrhein-Westfalen hat die aktuelle Situation von schulpflichtigen Flüchtlingskindern in NRW kritisiert. Das Personal an Lehrkräften und Schulpsychologen reiche nicht aus, um die rund 10.000 schulpflichtigen Flüchtlingskinder adäquat zu beschulen, sagte er im DLF.

Peter Silbernagel im Gespräch mit Markus Dichmann |
    Ein syrisches Flüchtlingsmädchen während des Schulunterrichts mit rosafarbenen Kopftuch.
    Peter Silbernagel (Philologenverband NRW): "Wir müssen mehr tun, als nur jetzt das Problem auf uns zukommen lassen." (dpa / picture alliance / Jens Büttner)
    Markus Dichmann: In Nordrhein-Westfalen geht diese Woche die Schule wieder los, und eben haben wir uns dabei einer ganz großen Baustelle gewidmet, nämlich der Inklusion, jetzt – ähnliches Wort, aber ganz anderes Thema – geht es um die Integration von Flüchtlingen. Wie sollen Land, Kommunen und nicht zuletzt Schulen mit den vielen Flüchtlingskindern umgehen, die es jetzt im Unterricht zu integrieren gilt? Die Schulministerin von Nordrhein-Westfalen, Grünen-Politikerin Sylvia Löhrmann, die hat es heute Morgen hier im Deutschlandfunk so ausgedrückt:
    Sylvia Löhmann: Wir müssen auf Sicht fahren. Wir haben aufgrund der Erfahrungswerte des letzten Jahres nachgesteuert mit 674 Stellen im Grundbedarf und den 300 zusätzlichen Stellen für die Deutschförderung, und wir müssen natürlich jetzt zum Herbst wieder schauen, wie entwickeln sich die Flüchtlingssituationen und die Zahlen, weil man das in der Tat nicht vorhersagen kann. Und deswegen müssen wir immer eng steuern und eng schauen, wie steuern wir nach, damit die Schulen das schaffen können.
    Dichmann: Wenn man sich jetzt aber im Vergleich die Äußerungen des Philologenverbands in NRW anschaut, dann bekommt das Gefühl, dass die Lehrer davon überhaupt nicht überzeugt sind. Wir sprechen mit Peter Silbernagel, Vorsitzende des Philologen-Verbands NRW – Herr Silbernagel, "auf Sicht fahren", wie es Frau Löhrmann ausgedrückt hat, das reicht Ihnen nicht?
    Peter Silbernagel: Nein, das reicht bei diesem Problem des Umgangs mit Flüchtlingskindern und -jugendlichen absolut nicht. Man muss auch wissen, wenn man denn fährt, wohin man fährt, und wie insgesamt die Reise aussieht. Und da muss eben mehr kommen, als dass das Ministerium nun den Eindruck vermittelt, dass das Problem sich vor Ort von selbst löst.
    Dichmann: Und das heißt, diese etwa 670 neuen Lehrerstellen in der Grundversorgung und ja auch noch mal 300 Fachkräfte für die Deutschförderung, auch das reicht nicht.
    Silbernagel: Nein, diese erste Zahl, 670, bezieht sich insgesamt auf eine Zahl von Schülerinnen und Schülern, die gewachsen ist, wofür sicherlich nicht nur die Zahl der Flüchtlingskinder verantwortlich ist, ist also etwas, was grundsätzlich mit der Schüler-Lehrer-Relation insgesamt zu tun hat, aber nicht das Problem der Flüchtlingskinder in der Versorgung betrifft.
    Die 300 Stellen, die darüber hinaus genannt werden, reichen aber absolut nicht aus, um die mehr als 10.000 schulpflichtigen Kinder und jugendlichen Flüchtlinge zu beschulen.
    "Die Schulen benötigen Verlässlichkeit"
    Dichmann: Das heißt, für diese 10.000 Flüchtlingskinder, denen wir ja eigentlich auch Deutsch beibringen wollen und müssen, für die kann man das Schuljahr 2015/2016 schon abhaken?
    Silbernagel: Ich würde es nicht so dramatisch formulieren, ich würde aber sagen, es reicht nicht aus, immer mal wieder jetzt mit Kommunen oder mit dem Finanzminister zu verhandeln.
    Also das ist sicherlich ein Verhalten, was sehr fatalistische Züge trägt. Man muss jetzt sehen, die Schulen müssen damit umgehen, und die Schulen benötigen Verlässlichkeit. Wenn sie jetzt von Tag zu Tag weitere Schülerinnen und Schüler zugewiesen bekommen von sogenannten kommunalen Integrationszentren, dann benötigen sie Lehrkräfte, sie benötigen darüber hinaus aber auch Verlässlichkeit bei Ansprechpartnerinnen und -partnern im Bereich der Schulpsychologie. Und deshalb fordern wir auch beispielsweise, dass mehr Schulsozialarbeiter in diesem Bereich mit hineingenommen werden und sich engagieren.
    "Probleme insgesamt mehr in den Blick nehmen"
    Dichmann: Jetzt fordern Sie ja genau an der Stelle eine Taskforce einzurichten – ist das aber nicht nur eine Idee getreu dem guten, alten Motto, wenn du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis?
    Silbernagel: Ja, nun kann dennoch diese Idee ja bei bestimmten Themen sinnvoll sein, und dieses Thema ist ja eins, was weit über die Interessen und Verantwortlichkeiten einzelner Ministerien hinausgeht. Aber ich hab ja gesagt, eine Projektgruppe – ob man das nun Taskforce nennt oder nicht, das ist also nicht das entscheidende – muss die Probleme insgesamt in den Blick nehmen.
    Es sind ja nicht nur Probleme der Zuweisung an Schulen, es sind auch die Probleme, wie gehen wir mit denjenigen beispielsweise um, die traumatisierte Zustände haben, wann haben wir eine Chance, Schulpsychologen zu erreichen, wie ist es in den Fällen, wo Betroffene sagen, wir wollen aber gar nicht in eine eine Auffangklasse hinein, unsere Kinder waren in den Herkunftsländern schon bereits in dem und dem Stadium der Bildung und benötigen sofort die Regelklasse. Also da müsste man auch insgesamt die Schulen – beispielsweise auch über eine Hotmail, über eine kontinuierliche Beratung – jetzt nicht alleine lassen, sondern insgesamt bei dieser Problematik Unterstützung zukommen lassen.
    "Wir brauchen mehr Schulpsychologen"
    Dichmann: Ein ganz spezielles Problem, Herr Silbernagel, haben Sie schon angesprochen, und da hätte ich jetzt gern zum Abschluss noch einen Lösungsvorschlag von Ihnen: Die Kinder mit Flüchtlingsgeschichte, die jetzt hier in Deutschland ankommen, die ab Mittwoch den Unterricht beginnen sollen in Nordrhein-Westfalen, die haben ja vielleicht gar keinen Sinn gerade für Mathematik oder für Deutsch, die sind doch viel eher damit beschäftigt, ihr psychologisches Trauma zu überwinden. Sind Lehrer da die Richtigen, um diesen Job auch noch mit zu bewältigen?
    Silbernagel: Also Lehrer wären sicherlich insgesamt damit überfordert, wenn Sie die Einstellung vertreten würden, dass sie dies auch noch auffangen können.
    Hier brauchen wir Spezialisten, und hier müssen wir in allen Regionen hinreichend viele Schulpsychologen haben. Was mir zur Kenntnis gegeben worden ist, dass wir nur für jedes zehnte Kind, das hier infrage kommt, einen Schulpsychologen anbieten können.
    Das ist völlig unzureichend, und allein deshalb brauchen wir auch eine Projektgruppe, die einfach sagt, wir müssen mehr tun, als nur jetzt das Problem auf uns zukommen lassen.
    Dichmann: Sagt Peter Silbernagel, er ist Vorsitzender des Philologen-Verbands in Nordrhein-Westfalen. Danke fürs Gespräch!
    Silbernagel: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.