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Flüchtlingskinder in der Schule
"Wir haben zu wenig Schulpsychologen"

Der Präsident des Berufsverbandes deutscher Psychologen (BdP), Michael Krämer, lehnt einen Leitfaden für Lehrkräfte im Umgang mit Flüchtlingskindern ab. "Individuelle Beeinträchtigung zu standardisieren halte ich für sehr schwierig", sagte er im DLF. Vor allem fehle es an Schulpersonal, sagte er, da die Lehrkräfte mit den Problemen überfordert seien.

Michael Krämer im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Arbeitsmaterialien für den Deutschunterricht für Flüchtlingskinder, aufgenommen am 18.03.2015 in der Fritz-Reuter-Schule in Parchim (Mecklenburg-Vorpommern).
    Michael Krämer, Präsident des Berufsverbandes deutscher Psychologen (BdP): Lehrkräfte sind enorm überfordert. (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
    Jörg Biesler: Gestern haben wir bei "Campus und Karriere" über Fußball als Vehikel zum Spracherwerb bei jungen Flüchtlingen gesprochen. Da haben sich Lehramtsstudenten der Uni Hildesheim Gedanken gemacht, wie sie helfen können. Heute folgt die fachliche Einschätzung der Bedürfnisse von Flüchtlingen in den Schulen vom Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen, der fordert nämlich mehr psychologische Unterstützungsangebote. Michael Krämer ist der Präsident des Verbandes, guten Tag, Herr Krämer!
    Michael Krämer: Einen guten Tag, Herr Biesler!
    Biesler: Fußball spielen und dabei erste deutsche Begriffe lernen, das haben sich, wie gesagt, Lehramtsstudenten ausgedacht. Was sagt der Psychologe dazu? Guter Trick?
    Krämer: Finde ich auf jeden Fall eine schöne Idee. Wenn engagierte Lehramtsstudenten bereit sind, so was zu übernehmen, kann ich mir denken, dass es da auch eine positive Resonanz geben wird. Denn je nach Altersgruppe ist ja gerade dieses spielerische Moment enorm wichtig, um sich neues Wissen, in dem Falle Sprachkompetenz anzueignen.
    "Enorme Überforderung für eine Lehrkraft"
    Biesler: Bei Ihnen geht es ja um ernstere Themen. Die Kinder, die nach einer Flucht an die Schulen in Deutschland kommen, haben eine andere Ausgangslage als heimische Schulkinder. Wie sieht die aus?
    Krämer: Es wird so sein, dass zusätzlich zur fremden Umgebung die fremde Sprache die andere Art des Unterrichtens kommt. Möglicherweise gibt es auch Schwierigkeiten bei der Unterbringung im familiären Umfeld. Und all das aufzufangen wird für eine Lehrkraft eine enorme Überforderung darstellen.
    Biesler: Zumal man es ja vielleicht auch mit mehreren Flüchtlingskindern gleichzeitig zu tun hat. Wer könnte da helfen? Sie sagen, die brauchen psychologische Unterstützung. Von wem, durch wen?
    Krämer: Richtig. Der erste Ansprechpartner ist der schulpsychologische Dienst, da gibt es kompetente Personen, die ja die Schulen kennen, die ja auch mit den Lehrkräften in Kontakt sind. Aber auch da gilt es zu sagen, die Herausforderung ist im Moment so groß geworden durch die Vielzahl, dass von der personellen Seite es schwierig sein wird zu leisten. Aber dass Pädagogen und Psychologen sich da ergänzen können, das ist unser Vorschlag.
    "Individuelle Beeinträchtigung zu standardisieren halte ich für sehr schwierig"
    Biesler: Die Umstände, die Sie jetzt genannt haben, also der Wohnortwechsel, die fremde Sprache, das ungewohnte Umfeld, die möglichen Schwierigkeiten bei der Unterbringung, der andere Unterricht, das sind alles Probleme, die jetzt, sage ich mal, im unteren Bereich sozusagen der Problematik liegen. Lassen Sie uns gleich vielleicht auch noch über mögliche Traumatisierungen durch die Flucht sprechen. Kann man für diese Fälle möglicherweise einen Leitfaden entwickeln, ein Standardverfahren entwickeln oder muss das tatsächlich immer im Einzelfall gemacht werden?
    Krämer: Individuelle Beeinträchtigung zu standardisieren halte ich für sehr schwierig. Eine Unterstützung zu geben, dass Pädagogen, die ersten Ansprechpartner sind, erkennen sind, erkennen können, bei welchen Kindern eine intensivere Betreuung notwendig ist, da könnte man drüber nachdenken, ob es da Möglichkeiten gibt, bestimmte Indizien, Indikatoren, Hilfestellung den Lehrern zur Verfügung zu stellen. Aber danach folgt die individuelle Diagnostik.
    Pauschal zu unterstellen, dass die Mehrzahl der Kinder traumatisiert wären, wäre völlig falsch. Aber man kann davon ausgehen, dass es solche Fälle in größerem Umfang geben wird. Und da muss dann eine Fachfrau, ein Fachmann unterscheiden, bei wem eine Unterstützung und, wenn die diagnostiziert ist, in welchem Umfang erforderlich ist.
    Biesler: Sie haben gerade schon angedeutet, dass es wahrscheinlich schwierig sein wird, diese aus Ihrer Sicht absolut notwendigen Hilfen auch zu leisten. Was droht uns denn, wenn das nicht geschieht?
    Krämer: Gut, man soll jetzt nicht ein Worst Case, ein ganz schlimmes Szenario an die Wand malen. Aber für die Kinder wird die Integration schwieriger, es wird schwieriger in den Klassen, im Umgang miteinander, Verhaltensauffälligkeiten können sich im Unterricht und darüber hinaus auswirken. Da gilt es dann abzuwägen, ist es möglich, in der frühen Phase erfolgreich einzukreisen. Und da braucht es das erforderliche Personal.
    "Wir haben zu wenig Schulpsychologen"
    Biesler: Sie verbinden ja Ihren Aufruf zur Unterstützung auch mit einer Kritik an der Versorgung mit Schulpsychologen bundesweit. Die ist zu gering, sagen Sie?
    Krämer: Wir haben belegbare Hinweise, dass in der regulären Zeit, der Betrachtungszeit ohne diese zusätzliche Flüchtlingsproblematik eine größere personelle Ausstattung notwendig ist. Dieses Problem hat sich in der aktuellen Situation noch mal verschärft.
    Biesler: Michael Krämer, Präsident des Verbandes der Psychologinnen und Psychologen. Vielen Dank!
    Krämer: Ich bedanke mich!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.