Dieser Beitrag ist von Armin Himmelrath und einer Co-Autorin, deren Namen wir aus persönlichen Gründen entfernt haben.
"Ich heiße Frau Schmidt, ich komme aus Deutschland (Schüler unterbricht: "Syrien"). Ich wohne in, das haben wir alle gleich, Düsseldorf."
Heike Schmidt ist Lehrerin an der Gemeinschaftshauptschule Bernburger Straße in Düsseldorf. 360 Schülerinnen und Schüler gehen hier zur Schule. 60 von ihnen leben erst seit kurzem in Deutschland. Sie kommen aus Afghanistan, dem Irak oder Syrien. Sie sind geflohen vor Krieg, Unterdrückung und Hunger.
"Ich heiße Safed, ich wohne (Schmidt unterbricht: "Ich komme aus"), ich komme aus Syrien, ich wohne in Düsseldorf."
An der Hauptschule Bernburger Straße werden die Flüchtlingskinder zunächst in einer sogenannten internationalen Klasse unterrichtet.
"In der Klasse kommt es zunächst darauf an, dass man die Kinder psychisch stabilisiert. Dass sie das Gefühl haben, ihnen passiert hier nichts mehr. Sie sind hier sicher, der Platz wird ihnen nicht wieder weggenommen. Und sind super froh, wenn sie ein Buch für sich bekommen, Stifte bekommen. Da ist das Deutsch lernen immer dabei, steht am Anfang aber im Hintergrund."
Seit über 20 Jahren besuchen Kinder aus Flüchtlingsfamilien die Düsseldorfer Hauptschule. Dass derzeit so viele Flüchtlingskinder kommen, schmälert allerdings die Fördermöglichkeiten der Schüler, bedauert Schulleiter Klaus Peter Vogel.
"Früher gab es für diese Schüler zwei Jahre in der Förderklasse. Aufgrund der hohen Zahl von Flüchtlingskindern müssen wir möglichst darauf drängen, dass sie nach einem Jahr in die Regelklassen wechseln. Das ist für viele ein schwieriger Schritt. Aber das ist lehrkräftemäßig, stellenplanmäßig im Moment einfach nicht zu schaffen."
Das Schnellförderprogramm ist für viele Kinder zu kurz. Denn die wenigsten schaffen es, innerhalb eines Jahres ausreichend Deutsch zu lernen. Neben dem hohen Druck, möglichst schnell die Sprache zu beherrschen, leiden viele der jungen Flüchtlinge weiter unter den oft schlimmen Erfahrungen, die sie auf ihrer Reise nach Deutschland gemacht haben.
"Wenn ich erlebt habe, wie mein bester Freund vielleicht ins Wasser gefallen oder auch geschubst wurde, und wenn ich das, was man jetzt im Fernsehen sieht, mitgemacht habe, dass ich das irgendwie auch mit hierein trage. Wir müssten eigentlich viel mehr psychologische Betreuung für die Schüler haben, da sind aber auch bei einer reichen Stadt wie Düsseldorf die Ressourcen nicht großgenug."
Düsseldorf rechnet mit 2.000 Flüchtlingskindern
Schon jetzt rechnen die Schulplaner in der Düsseldorfer Stadtverwaltung damit, dass sie bis zum Jahresende mehr als 2.000 Plätze für Flüchtlingskinder brauchen - und beinahe im Wochentakt müssen sie diese Prognosen weiter anheben. In allen Schulen wird händeringend nach zusätzlichen Räumen und Lehrern gesucht. Ein bundesweites Problem.
"Ich denke schon, dass die Schulen vor sehr, sehr großen Herausforderungen stehen", sagt Matthias Anbuhl vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Er ist beim DGB-Bundesvorstand für das Thema Bildung zuständig. Die Frage der Schulplätze für Flüchtlingskinder stellt sich in ganz Deutschland, sagt Matthias Anbuhl.
"Also, wenn wir jetzt von Flüchtlingszahlen ausgehen in diesem Jahr alleine von 800.000, dann müssen wir damit rechnen, dass 300.000 - 400.000 Kinder, schulpflichtige Kinder mit nach Deutschland kommen. Und da warten natürlich sehr große Herausforderungen auch auf die Schulen. Das heißt, die Kinder sind häufig traumatisiert, unterschiedliche Sprachen treffen da aufeinander, und da sind die Schulen noch nicht drauf vorbereitet. Das heißt, da wartet in der Tat eine große Herkulesaufgabe, ein Kraftakt auf die Schulen, auf die Länder und auf die Kommunen, und den müssen sie leisten."
Schulpflicht gilt auch für Flüchtlingskinder
Flüchtlingskinder unterliegen in fast allen Bundesländern der Schulpflicht, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Das heißt, sie müssen unterrichtet werden - selbst dann, wenn unklar ist, ob sie und ihre Familien überhaupt in Deutschland bleiben dürfen. Wird der Asylantrag abgelehnt, gilt die Schulpflicht bis zur Ausreise. So regeln es grundsätzlich die Schulgesetze der Bundesländer.
Unterschiede gibt es beim Zeitpunkt, ab wann die Schulpflicht gilt. In Hamburg beginnt sie bereits in der Erstaufnahmeeinrichtung, in Baden-Württemberg erst nach sechs Monaten. In den meisten Bundesländern müssen die Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 16 Jahren spätestens drei Monate nach ihrer Ankunft in die Schule gehen, auf jeden Fall aber dann, wenn sie einer Kommune zugewiesen wurden. Dabei ist die Schulpflicht vor allem eine Selbstverpflichtung für den Staat und seine Schulen, sagt Matthias Anbuhl vom DGB. Die Integration der jungen Flüchtlinge sei derzeit eine neue Aufgabe, zusätzlich zu den großen Reformvorhaben, vor denen die Schulen ohnehin gerade stehen.
Unterschiede gibt es beim Zeitpunkt, ab wann die Schulpflicht gilt. In Hamburg beginnt sie bereits in der Erstaufnahmeeinrichtung, in Baden-Württemberg erst nach sechs Monaten. In den meisten Bundesländern müssen die Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 16 Jahren spätestens drei Monate nach ihrer Ankunft in die Schule gehen, auf jeden Fall aber dann, wenn sie einer Kommune zugewiesen wurden. Dabei ist die Schulpflicht vor allem eine Selbstverpflichtung für den Staat und seine Schulen, sagt Matthias Anbuhl vom DGB. Die Integration der jungen Flüchtlinge sei derzeit eine neue Aufgabe, zusätzlich zu den großen Reformvorhaben, vor denen die Schulen ohnehin gerade stehen.
"Es gibt sehr, sehr unterschiedliche und sehr große Herausforderungen, die in der Tat auf die Lehrkräfte einstürmen: Inklusion, Berufsorientierung, die Frage der Flüchtlinge - in der Tat braucht es Unterstützung für die Lehrkräfte. Sie brauchen kurzfristig Qualifizierungsmaßnahmen und man braucht natürlich auch Partner von der anderen Seite. Für die Berufsorientierung braucht man die Sozialpartner, die dort einsteigen; man braucht gut gestaltete betriebliche Praktika - auch für Flüchtlinge im Übrigen, die ja auch unser Berufsspektrum kennen lernen müssen."
Kapazitäten müssen erweitert werden
Doch was der Gewerkschafter als Chance und Herausforderung beschreibt, ist vielen Verantwortlichen vor Ort zu positiv gedacht. Andreas Bausewein ist SPD-Landesvorsitzender in Thüringen und Oberbürgermeister in Erfurt. Mit einem offenen Brief an Bundes- und Landesregierung stieß er kürzlich eine heftige Diskussion an. Bausewein schrieb:
"Die zunehmende Anzahl der aufzunehmenden Flüchtlinge stellt eine außerordentliche Belastung insbesondere für die aufnehmenden Kommunen dar. Fest steht: Wir stoßen mit dieser Aufgabe nicht nur an unsere Grenzen, wir haben sie bereits überschritten."
Deshalb, so Andreas Bausewein weiter, müssten Land und Bund handeln. Der rechte Terror von Heidenau und in anderen Orten dürfe sich nicht weiter ausbreiten, die Stimmung in der Bevölkerung drohe zu kippen. Daher müsse man unter anderem die gesetzliche Schulpflicht für Flüchtlinge ändern. Seine Forderung:
"Aussetzen der Schulpflicht bis zur Feststellung des Aufenthaltsstatus der Kinder/Familien und keine Schulpflicht bei laufenden Verfahren, jedenfalls für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern. In den speziell geschaffenen Sprachklassen herrscht ein ständiger Wechsel, wenn Kinder ausreisen. Die Zahl der schulpflichtigen Kinder ohne Aufenthaltsstatus ist sehr hoch. Die Kapazitäten der Schulen sind ausgereizt. Die wenigen zur Verfügung stehenden Räume, die bisher nicht in der Nutzung waren, müssen bauseitig hergerichtet werden. Die Kosten, circa 6000 Euro pro Raum, werden vom Schulträger getragen. Bei gleichbleibend hohen Flüchtlingszahlen muss über den Bau von zusätzlichen Schulen nachgedacht werden, um alle schulpflichtigen Kinder beschulen zu können."
Eine Aussetzung der Schulpflicht? Gewerkschafter Matthias Anbuhl schüttelt entschieden den Kopf.
"Ich halte diesen Vorschlag für völlig falsch. Bildung ist ein Menschenrecht, und das gilt selbstverständlich auch für die Kinder von Flüchtlingen, und das ist ihnen auch zu gewährleisten von Staatsseite aus. Zudem wär's für die Integration der Kinder vollkommen schädlich, wenn sie bis zu einem Entscheid letzten Endes monatelang in den Aufnahmeeinrichtungen sitzen müssen, nicht lernen können. Da geht Lernzeit verloren, und das ist ein Weg, der in die völlig falsche Richtung weist."
Die Schulpflicht für Flüchtlingskinder, sagt Matthias Anbuhl, sei auf jeden Fall sinnvoll, und sie müsse daher auch schnell und effektiv umgesetzt werden. Dabei seien nicht nur die Schulen gefragt, sondern auch die Länder und der Bund.
"Nur, es ist nicht der richtige Weg, zu sagen: Wir machen jetzt die Augen zu und wir leisten diese Aufgabe nicht, sondern man muss darüber diskutieren, wie man das gestalten kann - und ich denke, da sind die Herausforderungen klar: Wir brauchen mehr Lehrkräfte, die Deutsch als Zweitsprache unterrichten können. Wir brauchen mehr Sozialarbeiter, mehr Psychologen an den Schulen, die die Kinder, die traumatisiert sind, auch begleiten können."
Enormer Bedarf an Lehrerinnen und Lehrer
Mehr Lehr- und Fachkräfte, das kostet Geld. Die Bundesländer hatten bereits angekündigt, mit Beginn des gerade angelaufenen Schuljahres bundesweit mehr als 3.000 Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich einzustellen, um den Deutschunterricht für die schulpflichtigen Flüchtlinge abdecken zu können. Doch die Zahlen sind schon wieder Makulatur. Allein Nordrhein-Westfalen will – Stand letzte Woche – 2.400 neue Lehrer an die Schulen schicken. Aber nicht einmal das wird reichen, schätzt der Deutsche Lehrerverband: Er geht von bis zu 20.000 Lehrkräften aus, die benötigt werden. Und die Bildungsgewerkschaft GEW legte Ende vergangener Woche noch eine zusätzliche Forderung oben drauf: Sie will eine verlängerte Schulpflicht für Flüchtlinge nicht nur bis 16, sondern bis 21 Jahre. Damit soll, wie es in einer Erklärung heißt, guter und sinnvoller Unterricht für geflüchtete Jugendliche und junge Erwachsene möglich werden.
Unterstützung für die gewerkschaftlichen Forderungen kommt aus der Wissenschaft. Wiebke Riekmann ist Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Hamburg. Auch sie hält den Vorschlag, Flüchtlingskinder vom Unterricht auszuschließen, für Unsinn.
Unterstützung für die gewerkschaftlichen Forderungen kommt aus der Wissenschaft. Wiebke Riekmann ist Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Hamburg. Auch sie hält den Vorschlag, Flüchtlingskinder vom Unterricht auszuschließen, für Unsinn.
"Aus wissenschaftlicher Sicht und auch aus Sicht von Bildungsstudien kann ich sagen: Das ist stark zurückzuweisen. Weil: Wenn wir wissen, was zu Integration von Menschen beiträgt und gerade von Kindern und Jugendlichen, dann ist es Bildung! Und zwar Bildung in einem institutionellen Rahmen. Das heißt, ein institutioneller Rahmen, der den Kindern und Jugendlichen Sicherheit gibt, Beständigkeit gibt, der ihnen auch einfach einen Tagesablauf strukturiert - und das wäre wirklich fatal, wenn wir jetzt da sagen: Diesen Rahmen stellen wir gar nicht zur Verfügung, sondern überlassen die Kinder und Jugendlichen einfach erst mal ihrem Tag, wie sie ihn dann auch immer gestalten."
Es geht dabei vor allem um eine sinnvolle Strukturierung des Tages: Dass es morgens Grund und Verpflichtung zum Aufstehen gibt, dass feste Zeiten eingehalten und bestimmte regelmäßige Rituale trainiert werden. Solche sozialen Aspekte eines geregelten Schulalltags dürften nicht unterschätzt werden, sagt die Erziehungswissenschaftlerin.
"Natürlich geht es auch um die Lerninhalte, das ist ja klar. Aber es geht auch darum, dass die Kinder und Jugendlichen Freundinnen und Freunde finden. Und es geht darum, dass sie Spaßhaben auf dem Schulhof, dass sie mal wieder Kind sein können, Jugendliche sein können; dass sie Sachen machen können, die sie durch Flucht und Vertreibung lange Zeit nicht machen konnten und ich glaube, dass die Schule dafür einen Rahmen bieten kann."
"Dass die neuen Schüler besondere Bedürfnisse haben, kann die Düsseldorfer Lehrerin Heike Schmidt bestätigen."
Schwieriger Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen
Schwieriger Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen
"Es ist am Anfang so, dass man von den Schülern dieses Leid nicht sieht. Also das tragen sie nicht vor sich her, die teilen einem das auch nicht mit. Jeder kompensiert das anders. Entweder sie sind super aufgedreht, leicht aggressiv auch - oder das totale Gegenteil, sie sind total zurückgezogen, in sich gekehrt und legen zwischen durch den Kopf auf den Tisch. Schaffen einfach den 45 Minuten-Rhythmus oft nicht. Sind halt einfach nicht so stabil. Insofern bekommen wir das mit, aber dass einem jetzt eine Geschichte erzählt wird, das dauert meistens, und natürlich nimmt einen das persönlich mit."
Die wenigsten Lehrer sind auf den Umgang mit traumatisierten jungen Menschen vorbereitet. Und sie sind entsprechend schockiert, wenn die Brutalität, die viele Kinder und Jugendliche auf ihrer Flucht erlebt haben, dann als Aggression wieder auftaucht.
"Wir hatten vor einigen Jahren eine ganz schlimme körperliche Auseinandersetzung. Die Schüler kommen natürlich aus den Krisengebieten dieser Welt, und da kann nicht immer der eine Volksstamm mit dem anderen gut. Da gibt es auch schon ganz schwere Vorschädigungen. Da hatten wir eine ganz schwierige Auseinandersetzung hier auf dem Flur, körperliche Schlägerei bis hin zu Treten in den Magen und vollkommener Kontrollverlust."
Schnelle Einbindung der Kinder in den deutschen Alltag
Ein grundsätzliches Problem und eine riesige Herausforderung für Schulen und Lehrkräfte, sagt der Düsseldorfer Schulleiter Klaus-Peter Vogel. Hier könne und müsse Integration ansetzen. Und die Politik dürfe keine Zeit verlieren, die Schulen und die Lehrer bei der Arbeit mit solchen Klassen zu unterstützen.
"Da sitzen hochproblematische junge Menschen, die zum Teil schwerst traumatisiert sind, weil sie Kriegserlebnisse hinter sich haben, weil sie mehr als drei Jahre auf der Flucht gewesen sind, weil da verschiedene kulturelle und ethnische Gruppen aufeinandertreffen, und dann mit diesen Schülern diese Konflikte aufzuarbeiten, das ist eine echte Herausforderung, weil das Verständnis für Partnerschaft, für Miteinander zu wecken. Die haben andere Regeln gelernt, wenn sie drei Jahre auf der Flucht waren, als wir sie hier haben."
Auch solche Erfahrungen sind es vermutlich, die Erfurts SPD-Oberbürgermeister Andreas Bausewein zu seinem offenen Brief veranlassten. Und auch er fordert mehr Geld für die kommunalen Schulen.
"Bei der Beschulung von Flüchtlingskindern mit keinen oder wenigen Deutschkenntnissen sollten diese Kinder bei der Zahlung des Schullastenausgleiches wie Kinder mit Förderbedarfen behandelt werden, damit der Schulträger die zusätzlichen Kosten für die Ausstattung der Räume erstattet bekommt. Sollte dies nicht möglich sein, sollten die Kommunen ein zusätzliches Budget für die Mehrkosten, die bei der Beschulung von Flüchtlingskindern entstehen, erhalten."
Sechs Milliarden Euro hat die Bundesregierung den Ländern und vor allem den Kommunen als zusätzliche Hilfen für die Versorgung der Flüchtlinge zugesagt. Zur Stunde beraten Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder auf einem Sondergipfel, ob das genug ist, und die Ansage der Länder ist bereits klar – das reicht auf keinen Fall. Wie viel von dem Geld überhaupt an den Schulen ankommt, ist ohnehin unklar. Trotzdem ist Bauseweins Vorstellung von einer Zwei-Klassen-Schulpflicht in Deutschland nicht mehrheitsfähig. Selbst in Berlin, wo ausländische Kinder laut Gesetz erst schulpflichtig werden, wenn sie ein Aufenthaltsrecht oder eine Duldung erhalten, ist man sich in der Politik einig: Flüchtlingskinder gehören in die Schule, und zwar so schnell wie möglich. Mark Rackles ist Berliner Staatssekretär für Bildung.
"Wir handhaben das in Berlin so, dass wir - auch auf Basis eines Gerichtsurteils - davon ausgehen, dass die Flüchtlingskinder schulpflichtig sind ab der Ankunft in Berlin, und wir realisieren das im Moment auch. Ich halte das auch persönlich für ein politisches Grundrecht, ein menschliches Grundrecht auf Bildung - auch, wenn's nur wenige Wochen sind. Die Erfahrung, die wir haben, ist, dass die Kinder in dieser Zeit stabilisiert werden und an der Gesellschaft teilhaben. Es bewährt sich auch für wenige Wochen. Viele sagen, es hat keinen Sinn, für wenige Wochen Leute zu integrieren. Unsere Erfahrung ist: Das ist durchweg positiv."
Der SPD-Politiker verweist auf die schnelle Einbindung der Kinder in den deutschen Alltag.
"Leider bekommt man durch den Schulbesuch als solchen ja kein Bleiberecht. Aber jeder Schritt, der dazu führt, dass die Kinder frühzeitig ins deutsche Schulsystem, Sprachsystem, Kultursystem eingebunden werden, ist einer in Richtung Integration. Also, ich kenne keinen Fall, wo das negativ gewirkt hat - im Gegenteil: Immer da, wo Kinder nicht frühzeitig ins Schulsystem oder Kitasystem integriert werden, wird es immer schwieriger - sowohl sprachlich wie auch sozial."
"Und genau diese Integrationsaufgabe sei so wichtig und so herausfordernd, dass Politik und Gesellschaft dafür tatsächlich zusätzliches Geld aufwenden müssten, ergänzt Bildungsexperte Matthias Anbuhl vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Und regt an, die aktuelle Situation zu nutzen, um dann auch gleich die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in der Schulpolitik neu zu justieren. Bisher nämlich ist es dem Bund untersagt, schulpolitisch tätig zu werden."
"Es ist allerdings so in der Tat, dass die Länder und Kommunen meines Erachtens damit überfordert sind mit dieser Aufgabe. Der Bund müsste unterstützend eingreifen - nur: Es ist ihm leider per Grundgesetz verboten durch das Kooperationsverbot, die Schulen finanziell zu fördern, dauerhaft auch in die Finanzierung einzusteigen, und ich denke, wenn wir sagen: Das Grundgesetz muss auch diesen neuen Herausforderungen angepasst werden, ist es wichtig, dass man sagt, dass angesichts dieses Flüchtlingsansturms, den wir erleben - wenn man das Grundgesetz in der Weise anpasst, dass man sagt, das Kooperationsverbot wird gestrichen, und der Bund kann auch Länder und Kommunen und damit die Schulen bei dieser Aufgabe unterstützen."
Das allerdings ist bildungspolitische Zukunftsmusik. Andreas Bausewein jedenfalls ist angesichts des politischen Gegenwinds, den sein Vorschlag verursachte hatte, mittlerweile zurückgerudert. Er habe sich missverständlich ausgedrückt, ließer ausrichten. Um dann in einem Zeitungsinterview doch noch einmal nachzulegen: Es sei fahrlässig, Kinder in die Schulen zu schicken, von denen man wisse, dass sie nicht in Deutschland bleiben dürfen.
"Lerngelegenheit für deutsche Kinder"
"Die Kinder werden heimisch, finden Freunde und müssen wieder gehen. Das ist doppelt schlimm. Man nährt Hoffnung, wo keine ist."
Die Erziehungswissenschaftlerin Wiebke Riekmann widerspricht.
"Das ist jetzt immer aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft gesprochen, dass man sagt: Das lohnt sich für den nicht. Ich glaube ja auch, dass wir aus der Sicht der Kinder, die vielleicht auch nur ein paar Monate einen Flüchtlingsjugendlichen oder ein Flüchtlingskind in ihrer Klasse haben, dass das auch eine Bereicherung sein kann, dass man mal so rum rangeht. Dass das ja auch eine Lerngelegenheit sein kann für die Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland zur Schule gehen selber. Also, dass wir auch mal einen anderen Blick darauf kriegen. Und wenn man sich sowas anschaut, wie wenn wir Austauschprogramme machen und so weiter - da legen wir immer sehr großen Wert darauf, dass die Kinder und Jugendlichen mit ihren Austauschschülern in die Schule gehen. Und zwar vom ersten Tag an! Und das sind manchmal nur ein paar Wochen. Warum sollen die dann nicht drei Monate mit in die Schule gehen? Also: Bereicherung - nicht Belastung."
Debatten, die im Alltag der Hauptschule Bernburger Straße in Düsseldorf kaum eine Rolle spielen. 60 Flüchtlingskinder besuchen hier derzeit vier internationale Klassen. Dort bekommen sie genau das, was sie am nötigsten brauchen: das Gefühl von Sicherheit, Stabilität, und angekommen zu sein.
"Es ist schwer, aber die Schule gefällt mir sehr. Ich habe so viele Freunde hier."
Naif ist 16 Jahre alt. Er ist aus dem Irak geflohen, seit vier Monaten lebt er in Deutschland. Ob er und seine Familie bleiben dürfen, weißer noch nicht. Neben ihm sitzt die 15-jährige Nasda:
"Ich heiße Nasda, ich komme aus dem Irak, ich wohne in Düsseldorf, mein Beruf ist Polizei, meine Lieblingsfarbe ist schwarz."
Polizistin werden - der Traumberuf eines jungen Mädchens, das schon viel erlebt hat. Das nächste Ziel in der Schule ist für sie der Unterricht in der Regelklasse. Ein neues Leben in Deutschland zu beginnen, das sei für die Schüler in den Flüchtlingsklassen eine enorme Motivation, sagt Schulleiter Klaus Peter Vogel.
"Wenn man auf die Vielzahl von Schülerinnen und Schüler schaut, die in den Seiteinsteigerklassen beginnen, dann muss man sehen, dass sehr viele von ihnen eine positive Schulkarriere machen. Sie werden eingegliedert in den Regelbetrieb, sie entwickeln den entsprechenden Ehrgeiz, um dann den normalen Schulabschluss nach Klasse 9 zu machen, vielleicht auch die Qualifikation für die gymnasiale Oberstufe zu erwerben, um sich dann eine Studienmöglichkeit zu erarbeiten. Das schaffen verhältnismäßig viele."