Altmaier sagte im Deutschlandfunk, auf dem Gipfel habe man alle 28 Mitgliedsstaaten davon überzeugt, dass es wichtig sei, zunächst Gespräche mit der Türkei zu führen. "Dies ist eine gewaltige Leistung", erklärte der CDU-Politiker. Außerdem hätten sich die Staats- und Regierungschefs für die Einrichtung von Schutzzonen in Syrien ausgesprochen. Wenn viele Menschen das Bürgerkriegsland gar nicht erst verlassen müssten, sei das die beste Lösung.
Altmaier verwies darauf, dass sich die EU-Staaten einig seien, dass eine Politik des Durchwinkens von Flüchtlingen beendet werden müsse. Er erwarte nun von allen, dass sie sich an diese Beschlüsse hielten, sagte Altmaier mit Blick auf Österreich und die Länder auf der Balkanroute.
Das Interview in voller Länge:
Martin Zagatta: Sie haben es gehört: In der Flüchtlingskrise ist man beim EU-Gipfel nicht nennenswert vorangekommen, dem Ziel, das Durchwinken von Flüchtlingen zu beenden, ist man nicht nähergekommen. Wir sind deshalb mit Kanzleramtsminister Peter Altmaier jetzt verbunden, der auch der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung ist. Schönen guten Morgen, Herr Altmaier!
Peter Altmaier: Guten Morgen, Herr Zagatta!
Zagatta: Herr Altmaier, man wollte bei dem EU-Gipfel ursprünglich eigentlich dem Durchwinken der Flüchtlinge ein Ende machen. Jetzt hat man sich wieder vertagt. Ist das ein Problem, ist diese Flüchtlingskrise doch nicht so drängend?
"Alle wichtigen Position der Bundesregierung finden sich im Abschlussdokument"
Altmaier: Wir müssen unterscheiden: Bei all dem, was der Bundesregierung wichtig war, finden sich unsere Position in dem Abschlussdokument wieder. Dort steht, dass Flüchtlinge nicht durchgewunken werden sollen. Dort steht, dass wir eine Schutzzone auch in Syrien wollen und brauchen.
Zagatta: Aber das sind alles Absichtserklärungen.
Altmaier: Ja, aber der entscheidende Punkt war, dass die türkische Regierung im Vorfeld nicht vertreten war wegen des fürchterlichen Bombenanschlags in Ankara. Das ist etwas, was wir respektiert haben, und deshalb haben wir gesagt, wir wollen so schnell wie möglich dies nachholen. Deshalb wird es in den nächsten Tagen einen Sondergipfel geben, der sich dann ausschließlich mit dieser Flüchtlingsfrage beschäftigt, der sich ausschließlich mit der Zusammenarbeit mit der Türkei beschäftigt und dann mit der Frage, wie können wir erreichen, dass weniger Menschen nach Europa und nach Deutschland kommen.
Zagatta: Wenn Sie jetzt da so herausstreichen diese Zusammenarbeit mit der Türkei, das hören wir seit Wochen, und im Prinzip geht es doch darum, die Türkei soll im Gegenzug für effektive Kontrollen die Zusage erhalten, dass die EU, einzelne Staaten, ihr dann auch Flüchtlingskontingente abnehmen, was aber überhaupt nicht in Sicht ist. Jetzt erst recht nicht nach diesem Gipfel. Macht man sich da nicht langsam lächerlich?
Altmaier: Nun, es sind freiwillige Flüchtlingskontingente sehr wohl in diesem Abschlussdokument erwähnt, aber – und das war auch die deutsche Position – wir glauben, dass es richtig ist, dass wir zunächst erwarten, dass wir verlangen, dass die Türkei die illegale Migration bekämpft und die Zahlen der illegalen Zugänge nach Europa deutlich reduziert. Wir hatten auf dem Höhepunkt der Flüchtlingssituation bis zu 7.000 Menschen am Tag, die von der Türkei nach Europa gekommen sind. Im Augenblick sind es etwas weniger als 2.000. Das ist immer noch sehr, sehr viel. Viel zu viel, wenn Sie es auf das Jahr hochrechnen.
"Zunächst einmal illegale Migration bekämpfen"
Zagatta: Weil es am Wetter auch liegt.
Altmaier: Deshalb macht es, glaube ich, auch gar keinen Sinn, mit Flüchtlingskontingenten zu beginnen, sondern es muss zunächst einmal erreicht werden, dass die illegale Migration, dass die Menschenhändler bekämpft werden. Dafür haben wir eine NATO-Mission beschlossen vor einigen Tagen. Dafür müssen die Küstenwachen von Griechenland, der Türkei, Schiffe aus anderen europäischen Ländern zusammenwirken. Das muss mit Hochdruck umgesetzt werden, denn wir wollen von der jetzigen Situation, wo weniger Flüchtlinge nach Europa kommen, weil das Wetter auch schlechter ist, die wollen wir nutzen, um generell eine Trendumkehr zu erreichen. Dafür haben wir eben nicht mehr sehr viel Zeit.
Zagatta: Bei einer Trendumkehr, verstehe ich Sie da richtig, kann die EU jetzt relativ wenig machen, Sie setzen da vollkommen, dass das da an der Grenze der Türkei funktioniert, an der Grenze zwischen Türkei und Griechenland?
Altmaier: Wir haben zwei Möglichkeiten, denn entweder wir erreichen, dass die Flüchtlinge nicht nach Europa geschleppt werden von Menschenhändlern und Menschenschleppern, dann bleiben sie selbstverständlich in der Türkei zunächst einmal, weil alle Flüchtlinge, die nach Europa kommen, über die Türkei reisen müssen, oder aber die Flüchtlinge sind schon in Europa, und dann werden alle Maßnahmen, die wir ergreifen, immer nur dazu führen, dass wir ein Problem zulasten eines anderen EU-Landes lösen.
"Eine gewaltige Leistung der Türkei"
Zagatta: Sprich Deutschland oder Griechenland?
Altmaier: Das bedeutet dann beispielsweise, wenn die Staaten auf der Balkanroute ihre Grenzen schließen würden, dass es immer der letzte Staat auf dieser Route ist, von wo aus die Menschen nicht weiterkönnen. Wir halten das für keine gute Lösung, weil sie dazu führt, dass die Menschen in große Not kommen, es führt aber auch dazu, dass wir innerhalb der Europäischen Union die Spannungen erhöhen, und das haben wir bei diesem Gipfel bereits sehen können. Wir haben deshalb alle 28 Staaten davon überzeugt, dass es richtig ist, zunächst die Gespräche mit der Türkei abzuwarten. Diese Gespräche führen wir konstruktiv, weil die Türkei in den letzten Jahren rund drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat, darunter zweieinhalb Millionen aus Syrien. Das ist eine gewaltige Leistung.
Zagatta: Herr Altmaier, das wollte ich gerade fragen. Kann die Türkei denn das noch leisten, was Sie da jetzt von ihr erwarten? Drei Millionen Flüchtlinge hat man aufgenommen, und was wir hören, aus Aleppo strömen Zehntausende an die Grenze, und die UN will jetzt gerade organisieren, dass die überforderten Nachbarländer, Libanon wie Jordanien, dass man da hunderttausende Flüchtlinge auch herausschafft. Also ist die Türkei mit dem, was Sie da uns erzählen, nicht vollkommen überfordert? Denen muss man doch Flüchtlinge abnehmen.
Altmaier: In einer Situation, wo es Millionen von Menschen gibt, die innerhalb und außerhalb von Syrien auf der Flucht sind, ist jedes einzelne Land damit überfordert, wenn es diese Flüchtlingssituation alleine bewältigen müsste. Es gilt für die Türkei, es gilt aber auch für Deutschland, es gilt für die vielen kleineren Staaten auf der Balkanroute erst recht. Deshalb haben wir von Anfang an gesagt, wir brauchen eine gemeinsame Lösung, wir brauchen eine Lastenteilung. Wir müssen uns die Lasten gemeinsam teilen. Was die Flüchtlinge angeht, ist es so, dass es die beste Lösung wäre, wenn viele von ihnen Syrien gar nicht erst verlassen müssen. Das wird aber nur gelingen, wenn sie keine Angst vor Bombardierungen, keine Angst um ihr Leben und ihre Gesundheit haben müssen. Deshalb haben wir uns heute Nacht auch für die Einrichtung von Schutzzonen ausgesprochen in Syrien. Wir wissen, dass das nur auf dem Verhandlungsweg möglich sein wird, aber es ist ein wichtiges Anliegen. Der zweite Grund ist, viele Flüchtlinge möchten ...
Zagatta: Und sehr unrealistisch ist.
Altmaier: Wir haben in der Vergangenheit viele Fragen diskutiert, die zu Anfang als unrealistisch gegolten haben und am Ende durchgesetzt werden konnten. Es hätte auch lange Zeit kaum jemand geglaubt, dass wir uns mit Großbritannien auf ein vernünftiges Paket einigen, damit Großbritannien in der Europäischen Union bleiben kann. Deshalb arbeiten wir aus humanitären Gründen, aber auch im eigenen Interesse daran, dass diese Schutzzonen zustande kommen. Zweitens, die Menschen, die Syrien verlassen haben, die sich in der Türkei, in Jordanien, im Libanon aufhalten, diese Menschen brauchen eine Perspektive, dass sie dort warten können, bis wieder Frieden und möglicherweise auch Demokratie in Syrien herrschen. Das bedeutet, sie müssen ordentlich verpflegt werden, sie brauchen Unterkünfte, die Kinder müssen Schulunterricht haben, und die Eltern müssen die Möglichkeit haben, ganz legal zu arbeiten. An all diesen Schritten arbeiten wir mit der Türkei, und wir sind bereit, die Türkei an zwei Stellen zu entlasten und ihr zu helfen, diese Herausforderung zu bewältigen. Das eine ist, dass wir helfen beim Bau von Schulen und von Krankenhäusern, damit die Flüchtlinge und ihre Kinder angemessen versorgt werden können, das zweite ist ...
Zagatta: Herr Altmaier, diese drei Milliarden, die Sie da jetzt ansprechen, das ist wahrscheinlich jetzt unstrittig, aber wenn Sie sagen, Lastenteilung in der EU, wer gehört denn da jetzt noch dazu, wer ist denn dazu bereit? Wir haben jetzt erlebt – wenn ich die Frage vielleicht noch zu Ende führen darf –, wir haben jetzt erlebt, selbst Österreich führt Obergrenzen ein. Ich habe gerade in der Presseschau gehört, in einem Kommentar heißt es, die Koalition der Willigen, die passt mittlerweile in eine Telefonzelle.
Altmaier: Herr Zagatta, Sie haben mich in früheren Interviews gefragt, ob es denn nicht eine Illusion sei, zu glauben, dass die drei Milliarden zustande kommen. Lange Zeit sah es auch so aus, dass wir Schwierigkeiten hatten, uns zu einigen. Jetzt haben wir uns geeinigt. Das ist ein wichtiger Fortschritt.
"Wir wollen die Politik des Durchwinkens beenden"
Zweitens, Deutschland hat sehr viele Flüchtlinge aufgenommen, aber andere Länder haben zum Teil mehr Flüchtlinge im Vergleich zur Einwohnerschaft aufgenommen als Deutschland. Dazu gehört insbesondere Schweden.
Wir haben mit unseren österreichischen Freunden in den letzten Tagen auch sehr ernsthaft darüber diskutiert, ob es richtig ist, nationale Maßnahmen zu ergreifen, ohne Rücksicht und ohne Einbindung der unmittelbar betroffenen anderen Staaten in der europäischen Union, oder ob man diese europäische Lösung anstreben soll gemeinsam mit der Türkei. Dem hat gestern auch Österreich zugestimmt. Das heißt, wir haben jetzt die Chance, bis zu diesem Gipfel, eine europäische Lösung zu erreichen, und wir werden verdammt viel arbeiten müssen, wenn das so funktionieren soll, dass den Menschen geholfen wird und gleichzeitig der Flüchtlingszustrom nach Europa verringert wird.
Zagatta: Herr Altmaier, noch ganz kurz, weil wir auf die Nachrichten zusteuern. Sie erwähnen Österreich. Österreich hat jetzt gerade beschlossen zusammen mit Mazedonien, mit Serbien, mit Kroatien, Slowenien, dass man Flüchtlinge nach einer Erstkontrolle in Mazedonien künftig gemeinsam in Richtung Deutschland transportiert. Was sagen Sie denn dazu? Das wäre zumindest ein geordnetes Verfahren.
Altmaier: Das Verfahren wäre geordnet, aber wir haben in der Gipfelerklärung gemeinsam beschlossen, dass wir die Politik des Durchwinkens beenden wollen, und deshalb erwarte ich auch von unseren Freunden in Österreich und von allen anderen Ländern, die betroffen sind, dass sie sich an diese Abmachung halten.
Zagatta: Der Kanzleramtsminister Peter Altmaier, der auch der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung ist, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Altmaier, ganz herzlichen Dank für dieses Interview!
Altmaier: Ich danke Ihnen, Herr Zagatta!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.