Archiv

Flüchtlingskriminalität in Schweden
Die Medien schweigen

In Deutschland wird das Herkunftsland eines Tatverdächtigen nicht in den Medien genannt - wenn es nicht notwendig ist. Schweden geht einen Schritt weiter: Die Polizei darf keine Kriminalfälle nennen, bei denen Flüchtlinge beteiligt sind. Eine Regel, die auch innerhalb des Landes umstritten ist.

Von Carsten Schmiester |
    Ein Ermittler steigt vor dem Gebäude über eine Polizeiabsperrung.
    Unter der Zahlenkombination "Code 291" werden Polizeiberichte gesammelt und zu einer nationalen Statistik zusammengefasst, in denen es um Straftaten geht, bei denen Flüchtlinge entweder Tatverdächtige oder Opfer waren. (AFP/Adam Ihse)
    Es war Mitte Oktober, der bisher letzte große Fall seiner Art und natürlich der Aufmacher in den Nachrichten: "Sechs Personen auf Gotland nach Anzeige wegen Vergewaltigung verhaftet. Eine 33-jährige Frau hat der Polizei gegenüber erklärt, sie sei in der vergangenen Nacht in Visby vergewaltigt worden. Nach einem Verhör und weiteren Ermittlungen sind sechs Personen festgenommen worden wegen des begründeten Verdachts der Vergewaltigung."
    Was nicht gesagt wurde: Die Frau war eine behinderte Rollstuhlfahrerin und die festgenommenen Tatverdächtigen waren angeblich Flüchtlinge. Sie wurden nach kurzer Zeit freigelassen aus Mangel an Beweisen und die Polizei machte keinerlei Angaben zu ihrer Herkunft.
    Was die rechtspopulistischen "Schwedendemokraten" aber nicht an einer ausländerfeindlichen Demo hinderte, worauf sich linke Gruppen zur Gegendemo trafen. Hätte die Konfrontation vermieden werden können, wenn die Herkunft der Verdächtigen bekannt gewesen wäre? Sicher nicht, wenn es tatsächlich Flüchtlinge waren, ganz im Gegenteil. Macht das Schweigen der Polizei also Sinn?
    "Code 291" verhindert die Nennung von Straftaten mit Flüchtlingen
    Darüber wird seit Jahresbeginn gestritten, seit die Zeitung "Dagens Nyheter" erstmals über den "Code 291" berichtete. Unter dieser Zahlenkombination werden offenbar seit mehr als einem Jahr Polizeiberichte gesammelt und zu einer nationalen Statistik zusammengefasst, in denen es um Straftaten geht, bei denen Flüchtlinge entweder Tatverdächtige oder Opfer waren. Wer ist bei Grenzkontrollen aufgefallen, wer hat wo was geklaut oder wen belästigt, aber auch - wer ist wo von wem angegriffen worden? Ein Sprecher der Polizeiregion West verteidigte im schwedischen Rundfunk diese Praxis: "Man bekommt ein Lagebild der Straftaten. Wo gab es sie, wer war beteiligt, wo sind die Anzeigen erstattet worden, welche Art von Anzeigen sind es? Erst wenn man einen solchen Überblick über die Lage hat, kann man etwas gegen diese Straftaten tun."
    Anfang des Jahres hieß es noch, die Statistik werde bald veröffentlicht und "Code 291" dann abgeschafft. Und es wurden tatsächlich Zahlen genannt, die Rede war von rund 5.000 registrierten Straftaten. Aber abgeschafft wurde nichts. Es gibt seriöse Hinweise darauf, dass dieser Code nach wie vor gilt. Trotz vieler Proteste auch von Medien, die auf ihr Informationsrecht pochen. Nils Funcke ist Sekretär des parlamentarischen Komitees für die Pressefreiheit.
    Regierung hat Schutz von Tatverdächtigen verbessert
    "Sollte das so sein, dann wäre es verwunderlich. Denn es geht ja nicht um strafrechtliche Ermittlungen, sondern um eine umfassende Statistik für das ganze Land, die nicht veröffentlicht wird. Ich hoffe, dass Gerichte überprüfen, ob die Polizei dieses Gesetz hier korrekt interpretiert."
    Das ist nicht passiert, ganz im Gegenteil: Inzwischen hat die Regierung sogar nachgelegt und den - wie es heißt - Schutz von Tatverdächtigen weiter verbessert. Bisher wurden Informationen über Verdächtige wie auch über Verbrechensopfer, darunter natürlich Angaben über ihre Herkunft, erst dann herausgegeben, wenn in laufenden Verfahren Anklage und Verteidigung benannt waren. Seit Oktober können diese Informationen erst ab Beginn einer Untersuchungshaft des oder der Verdächtigen veröffentlicht werden.
    Für Fachleute wie Funcke dürfte das eine nicht unerhebliche Einschränkung des Öffentlichkeitsprinzips sein. Dieses Prinzip verpflichtet den Staat Schweden grundsätzlich zur umfassenden Weitergabe von Informationen. Aber offenbar nicht ganz grundsätzlich grundsätzlich. Dahinter steht die seit dem Streit um "Code 291" vermutete, weil so nie laut ausgesprochene Sorge von Polizei und Politik, fremdenfeindlichen Kräften wie den "Schwedendemokraten" Argumente zu liefern und so zur weiteren Verschärfung der Debatte im Land beizutragen. Allerdings hatte die veröffentlichte "Zwischenbilanz" der "Code"-Ermittlungen ergeben, dass Flüchtlinge nur zu etwa einem Prozent an allen gemeldeten Straftaten im Land beteiligt waren. Und das ja nicht nur als Tatverdächtige, sondern auch als Opfer.
    Man könnte also durchaus mehr Offenheit wagen. Auch wenn das den Medien die komfortable Rechtfertigung ihrer spürbaren Zurückhaltung nähme, über dieses eine Prozent von Straftaten mit Flüchtlingsbeteiligung ausführlicher zu berichten - da wurde und wird sehr gerne auf staatliche Informationsblockade verwiesen.