Es gebe in einigen Ländern bei vielen Menschen die Bereitschaft, freiwillig Schutzsuchende aufzunehmen, sagte Freund im Deutschlandfunk. Als Beispiele nannte er Tschechien, Polen und die Slowakei. Sei diese Zahl im Schnitt deutlich zu niedrig, um eine gerechte Verteilung innerhalb Europas zu gewährleisten, könne durch die Einzahlung in den Fonds den Lagern in den syrischen Nachbarländern geholfen werden. Man könne dadurch außerdem verhindern, dass viele Menschen den gefährlichen Weg nach Europa aufnehmen.
Eine Zwangsverteilung der Flüchtlinge führe zu nichts, betonte Freund weiter. Es sei eine europäische Lösung nötig, keine nationalstaatliche. Mit Zäunen und Mauern behebe man die Probleme ohnehin nicht; ein Blick nach Griechenland zeige dies. Das Land sei vollkommen überfordert. Die Diskussion über Hotspots und Registrierungen werde in der EU seit einem halben Jahr geführt und nichts sei geschehen.
Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Die Grenze von Griechenland nach Mazedonien ist zwar nicht ganz dicht, aber für Flüchtlinge ist es deutlich schwerer geworden, sie zu passieren. Offiziell dürfen nur noch Menschen aus dem Irak und Syrien durch nach Mazedonien, alle anderen werden nach Griechenland zurück abgewiesen. Und es wird nur noch eine bestimmte Anzahl an Flüchtlingen durchgelassen, also sozusagen eine Obergrenze. Die Folge liegt natürlich auf der Hand, die Menschen bleiben in Griechenland. Dort hat die Armee jetzt Notunterkünfte eingerichtet, um die Menschen irgendwie unterzubringen. Aber viele versuchen, trotzdem auf eigene Faust irgendwie weiterzukommen.
((Bericht))
Regierungsvertreter aus Athen waren in dieser Woche ja nicht eingeladen, als Österreich zum Flüchtlingsgipfel mit den Westbalkanstaaten eingeladen hatte. Dafür gab es viel Kritik, auch von der Europäischen Union. Und die Frage steht jetzt im Raum, ob Österreich die Union spaltet. Darüber möchte ich sprechen mit Eugen Freund, er ist Mitglied der SPÖ und sitzt für Österreich im Europäischen Parlament. Guten Morgen, Herr Freund!
Eugen Freund: Guten Morgen, Frau Büüsker!
Büüsker: Herr Freund, Österreich macht sich ja derzeit so ein bisschen zum Anführer einer Politik der nationalen Lösungen! War das überfällig?
Freund: Nein, ich glaube nicht. Ich meine, ich habe von Anfang an gesagt, dass es notwendig wäre, zu einer europäischen Lösung zu kommen. Denn nationale Lösungen führen zu nichts, es ist ja auch keine Lösung, so wie wir das jetzt sehen. Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass man über diese Art, wie jetzt einzelne Staaten versuchen, Zäune aufzustellen, Mauern zu bauen, Riegel vorzuschieben, dieses gewaltige Problem werden lösen können!
Büüsker: Aber wenn Sie sagen, das führt zu nichts, das stimmt ja nicht so ganz. Es führt ja zumindest dazu, dass derzeit weniger Flüchtlinge bis nach Deutschland durchkommen!
Freund: Ja, aber Deutschland ist eines von 28 Ländern. Sie haben doch selbst jetzt eben in dem Bericht, den wir aus Griechenland gehört haben, gehört, was sich in einem anderen EU-Land abspielt. Es kann doch nicht solidarische Europa-Politik damit gemacht werden, dass man sagt, na gut, Hauptsache, in Deutschland passiert nichts, mir ist egal, wie es in Griechenland jetzt aussieht!
Büüsker: Aber de facto …
Freund: Entschuldigen Sie, darf ich Sie um eine technische Bitte ersuchen, ich habe so eine Rückkopplung, dass ich … Ja, danke, jetzt ist es gut!
Büüsker: Da hat der Techniker auf den Knopf gedrückt, alles gut. Sie können mich hören und wir hören Sie?
Freund: Ja, aber ich hörte mich auch noch zusätzlich, eine Sekunde später.
Büüsker: Das wollen wir nicht! Dann … Sie sprechen jetzt die Solidarität innerhalb von Europa an. Das ist gut und schön, aber trotzdem gibt es in vielen Ländern ja Menschen, die denken: Endlich tut mal jemand was, weil, wir müssen die Flüchtlingszahlen begrenzen! Und genau das passiert durch das, was Österreich jetzt tut!
"Es muss eine konzertierte europäische Aktion geben"
Freund: Ja, aber wir haben seit Monaten darüber gesprochen, wie wir uns eine Lösung vorstellen können. Viele der Staaten, die jetzt auch diese Zäune errichten, haben gesagt, wir müssen Hotspots errichten in Griechenland, also dem ersten Land, in dem sie ankommen, dort müssen die Flüchtlinge registriert werden, dort müssen die Flüchtlinge dann auf andere europäische Länder aufgeteilt werden. Diese Diskussion gibt es jetzt mindestens ein halbes Jahr, wenn nicht schon länger. Ich glaube, die Kommission hat sogar im Mai vergangenen Jahres diesen Vorschlag gemacht. Und es ist im Wesentlichen nichts passiert! Da liegt das große Versäumnis, dass man eben nicht die Flüchtlinge dort registriert, wo sie als Erstes in einem EU-Land ankommen. Diese Schuld kann man nicht einfach den Griechen zuschieben, die einfach überlastet sind mit der hohen Zahl an Flüchtlingen, da muss es eine konzertierte europäische Aktion geben. Und ich sehe das bis jetzt nicht! Ich verstehe nicht, warum das noch immer nicht so in Angriff genommen wurde, dass es tatsächlich funktioniert!
Büüsker: Wir erleben aber ja auch, dass viele Länder in Europa sich nicht zwingen lassen wollen, Flüchtlinge aufzunehmen. Wie ist denn Ihre Lösung, um das zu lösen?
Freund: Also, mein Vorschlag, den ich zuletzt, ich glaube, gestern oder vorgestern in einem Youtube-Video auf meinem Europa-Kanal "Eugen Freund MEP" veröffentlicht habe, lautet ganz einfach: Wir haben gesehen in den letzten Monaten, dass eine Zwangsverteilung in Europa nicht funktioniert. Aber es gibt sehr viele Menschen auch in der Tschechischen Republik, in der Slowakei, in Polen, die freiwillig bereit wären, Flüchtlinge aufzunehmen. Schauen wir doch einmal, wie viele Flüchtlinge tatsächlich untergebracht werden können in diesen Ländern! Und wenn das deutlich unter dem Schnitt liegt, der eigentlich notwendig wäre, um Flüchtlinge gleichmäßig zu verteilen, dann müssen diese Staaten in einen Fonds einzahlen, dessen Geld dann den Flüchtlingslagern in Jordanien, im Libanon und in der Türkei zur Verfügung gestellt wird. Das wäre eine gerechte Lösung, damit könnte man auch den Menschen helfen, die sich derzeit zu Millionen in den Nachbarländern von Syrien aufhalten. Und damit könnte man natürlich auch verhindern, dass immer mehr Flüchtlinge aus diesen Lagern diesen gefährlichen Weg über das Mittelmeer und dann den langwierigen Weg durch viele europäische Staaten bis nach Mitteleuropa machen.
Büüsker: Nun ist die Situation aber derzeit, wie sie ist, und gerade Griechenland steht jetzt vor einem enormen Problem durch die Grenzschließung. Tausende Flüchtlinge bleiben dort im wahrsten Sinne des Wortes hängen, und das ja ausgerechnet in Griechenland, das durch die Finanzkrise noch mal zusätzlich gebeutelt ist. Muss dann die Europäische Union Griechenland gerade in dieser Situation auch finanziell unterstützen?
Freund: Also, ich habe ja schon gerade vorher gesagt: Allein durch die Hotspots bedarf es einer europäischen Lösung. Also, da kann Griechenland nicht alleingelassen werden, da kann Griechenland nicht im Regen stehengelassen werden. Griechenland schafft das alleine nicht. Das lässt sich schon, alleine wenn man die Geografie sich anschaut, wenn man sich die Lage der einzelnen Inseln ansieht … Ich bin zufällig vor ein paar Tagen über das Mittelmeer geflogen nach Israel und da sieht man, wie nah also die erste Insel, Lesbos, an der türkischen Küste liegt. Aber es gibt so viele andere Inseln auch noch! Also, das kann Griechenland nicht alleine lösen, hier muss es andere Hilfsmaßnahmen geben. Wir haben ja jetzt gehört, dass die NATO hier zumindest mit Schiffen im Mittelmeer … ja, welche Art von Unterstützung leisten wird, ist ohnehin noch nicht klar, denn ich glaube nicht, dass ein Kriegsschiff hier sehr viel wird leisten können. Ich warne davor, diese Schlauchboote mit Wasserwerfern, wie es angeblich auch schon passiert sein soll, abzudrängen. Das wird keine Lösung sein. Die Lösung muss – wie es ja auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel schon angekündigt hat – in einem Vertrag mit der Türkei erfolgen, und gleichzeitig müssen entsprechende Maßnahmen in Griechenland getroffen werden.
Büüsker: Aber es sieht ja derzeit nicht unbedingt so aus, als würde sich etwas bewegen, weil eben Länder wie Österreich in eine ganz andere Richtung agieren!
"Es bedarf immer einer Deadline, bis die EU handelt"
Freund: Na, wissen Sie, meine Erfahrung mit der Europäischen Union in den letzten, ich weiß nicht, 30 Jahren oder so, seit ich das Thema verfolge, journalistisch verfolge, ich war ja bis zu meinem Eintritt ins Europäische Parlament Journalist … Meine Erfahrung lautet: Es bedarf immer einer gewissen Deadline, bis die Europäische Union handelt. Ich habe vor mir liegen so viele "Spiegel"-Titelbilder aus den letzten paar Jahren, die das Ende von was auch immer angekündigt haben: das Ende des Euro, das Ende Europas, das Ende überhaupt von allem, also Wirtschaftskrise, Griechenland wird aus Europa austreten … Alle diese Dinge wurden vorhergesagt. Und am Ende des Tages, wenn Europa sozusagen knapp vor dem Abgrund gestanden ist und alle gesagt haben, jetzt geht es nicht mehr, jetzt muss eine Lösung gefunden werden, hat Europa auch eine Lösung gefunden.
Büüsker: Ist diese Deadline in der Flüchtlingsfrage dann der 7. März?
Freund: Also, der 7. März plus, würde ich sagen, ja. Das muss jetzt nicht der 7. März sein, aber das muss jedenfalls um den 7. März herum passieren.
Büüsker: Aber das heißt, Sie gehen davon aus, dass beim 7. März, beim EU-Türkei-Gipfel auch eine Einigung kommt, oder zumindest den Tagen danach?
Freund: Davon gehe ich aus und das hat ja auch der niederländische Ratsvorsitzende Mark Rutte vor ein paar Wochen im Europäischen Parlament angekündigt, wir haben nur noch zwei Monate Zeit. Er hat sich damit natürlich auch auf die saisonale Veränderung sozusagen bezogen: Wenn das Wetter besser wird, werden wieder mehr Flüchtlinge kommen. Und dann müssen wir das Problem gelöst haben. Also, viel Zeit bleibt uns da ganz sicher nicht mehr.
Büüsker: Eugen Freund war das, er ist Mitglied der SPÖ und sitzt im Europäischen Parlament. Herr Freund, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Freund: Ich danke Ihnen, Frau Büüsker!
Büüsker: Auf Wiederhören!
Freund: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.