Der konservative Publizist Maksim Schewtschenko brachte das Thema in die Öffentlichkeit. Im Radiosender Echo Moskwy forderte er, Russland müsse zumindest die Angehörigen der tscherkessischen Minderheit aus Syrien aufnehmen. Verschiedenen Schätzungen zufolge leben in Syrien zwischen 80.000 und 150.000 Tscherkessen. Ihre Vorfahren waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor dem Zaren aus dem russischen Nordkaukasus in das damalige Osmanische Reich geflohen. Viele kamen bei der Flucht ums Leben. Schewtschenko:
"Auf den Stränden, an denen wir heute so gern baden, bei Sotschi, lagen damals die Leichen von an Hunger und Krankheit Gestorbenen. Die Tscherkessen im Nordkaukasus essen deshalb bis heute keinen Fisch aus dem Meer, weil Fische damals ihre Vorfahren gefressen haben. Jetzt spült das Meer wieder tote Kinder ans Land. Wie damals. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für Russland, zu den Tscherkessen zu stehen. Aber Russland nimmt bis heute Tscherkessen aus Syrien nicht auf."
Russland könnte Tscherkessen aufnehmen
Maksim Schwetschenko ist Mitglied im Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten. Er plant einen offenen Brief an Wladimir Putin. Der Präsident solle die Heimkehr der Tscherkessen aus Syrien in das Land ihrer Vorfahren erlauben.
Einige syrische Tscherkessen sind bereits in Russland. Seit Beginn des Konflikts in Syrien kamen zwischen ein- und zweitausend, meist mit Touristen- oder Geschäftsvisa und mithilfe entfernter Verwandter im Nordkaukasus. Die meisten Rückkehrer leben in der russischen Teilrepublik Kabardino-Balkarien. Hani Tlenkopatsche kam aus Damaskus. Mit seiner Lederkappe, dem Schnurrbart und den eingefallenen Wangen fällt er im Kaukasus kaum als Fremder auf.
"Die Flucht war unvorstellbar schwierig. In Syrien haben wir alles verloren. Zwei Häuser, unser Geld, auch unsere Papiere. In Russland haben wir nun wieder mit enormen bürokratischen Hürden zu tun. Ich habe drei Monate ausschließlich damit zugebracht, die nötigen Papiere für den Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung zu besorgen."
Die tscherkessischen Heimkehrer aus Syrien gelten in Russland formal als ganz gewöhnliche Ausländer. Für die Einbürgerung müssen sie einen Russischtest bestehen, Sprachkurse aber kosten Geld. Der russische Staat hilft ihnen so gut wie gar nicht. Die lokalen Behörden im Nordkaukasus scheinen schon angesichts des vergleichsweise geringen Zustroms von Menschen aus Syrien überfordert – was Muhamed Kodzokow, Bürgermeister von Naltschik, der Hauptstadt Kabardino-Balkariens, in einem Fernsehbericht auch frei heraus eingesteht:
"Die Erfahrung ist neu für uns. Wir müssen adäquat reagieren, um die Menschen, die Syrien verlassen, in Russland schnell unterzubringen."
Angst vor Islamisten auch in Russland
Bisher sind die Menschen auf die Hilfe der einheimischen Bevölkerung angewiesen. Im Internet hat sich eine Unterstützergruppe gegründet, die die Tscherkessen aus Syrien juristisch berät, Medikamente kauft und Wohnungen zur Verfügung stellt. Walerij Chataschukow vom Menschenrechtszentrum in Naltschik ist selbst Tscherkesse. Er sagt, es fehle der politische Wille, die Landsleute aus Syrien in Russland aufzunehmen.
"Es gibt politische Kräfte, die sagen, mit den Menschen aus Syrien kämen Islamisten nach Russland. Wir wollen selbst nicht, dass Islamisten hier her kommen. Aber diejenigen, die zu uns wollen, sind auch gar nicht islamisiert. Das sind weltliche Leute mit Bildung: Ärzte und Geschäftsleute, und die meisten sind wohlhabend."
Seiner Meinung nach würde ohnehin nur ein kleiner Teil der syrischen Tscherkessen nach Russland kommen, vielleicht 10.000, so Chataschukow. Russland als Zufluchtsort gilt unter Syrern generell als eher unattraktiv. Nach Behördenangaben leben in Russland derzeit rund 12.000 syrische Staatsbürger mit unterschiedlichen Aufenthaltstiteln. Viele haben einen russischen Ehepartner. Seit Beginn dieses Jahres kamen rund 7.500 Menschen aus Syrien nach Russland. Etwa ebenso viele haben das Land wieder verlassen. Immer mehr Syrer nutzen Russland aber als Transitland, um in den Schengenraum zu gelangen. Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge, reisen sie mit dem Flugzeug nach Moskau oder St. Petersburg und weiter per Bahn oder Taxi an die finnische oder an die norwegische Grenze. Die Route über Russland ist demnach billiger, kürzer und sicherer als die über das Mittelmeer. Massenweisen Charakter hat das allerdings nicht. Russische Agenturen wollen erfahren haben, dass derzeit jeden Monat rund 130 Menschen aus dem Nahen Osten auf diesem Weg ganz legal in den Schengenraum einreisen.