Das Altstadtviertel Basmane, einem Gewirr von Basar und engen Gassen im Herzen der Viermillionenstadt Izmir, ist die Drehscheibe für Flüchtlinge Richtung Europa. Täglich kommen Tausende von Migranten und Flüchtlingen hierher und bereiten sich auf die Bootsfahrt zu den griechischen Inseln vor. Über Mittelsmänner bekommt man die Telefonnummer eines Schleppers. Hunderte davon gibt es, die für eine Handvoll türkischer Bosse arbeiten. Es sind Bootsführer, Chauffeure, Spezialisten für Schlauchboote und Außenbordmotoren. Essam, ein Syrer, organisiert die Transfers - ausschließlich per Handy. Er verdient gut, das gibt er zu.
"Ich mache eine Fuhre in der Woche, 15 bis 20 Flüchtlinge. Dabei verdiene ich zwischen 1.500 und 1.700 Dollar die Woche."
Aber Skrupel habe er deswegen nicht. Denn die Verantwortung für diese Situation trügen schließlich andere.
"Natürlich wäre es für die Flüchtlinge besser, wenn Europa oder Deutschland sie direkt aufnehmen würden. Aber nachdem das ja nicht der Fall ist, haben wir hier jede Menge Arbeit, denn man muss den Leuten ja weiterhelfen."
In Izmir gibt es derzeit ein riesiges Potenzial an Kundschaft für die Schlepper, das bestätigt auch Ahmet Gunay von der türkischen Flüchtlingshilfe.
"Offiziell halten sich 65 000 Syrer in Izmir auf, aber dazu kommen geschätzt noch weitere 400.000 Immigranten, die nicht registriert sind, vorwiegend aus Syrien, die alle versuchen aus der Türkei wegzukommen."
Bei vielen Syrern in der Türkei sind die Hoffnungen auf ein baldiges Ende des Krieges in ihrer Heimat ebenso geschwunden wie ihre Ersparnisse. Als arme Schlucker sind sie längst keine willkommenen Gäste mehr. Mehmet Akin ist Stadtviertelbeauftragter in Altinordu, einem bevorzugten Ziel syrischer Immigranten.
"Am Anfang hat man sie noch gerne aufgenommen, aber es kommen immer mehr zwielichtige Gestalten, auch Diebe und die einheimische Bevölkerung im Viertel mag die Syrer nicht mehr."
Es gibt auch noch einen anderen Grund für die zunehmende Aversion: die massive Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt.
"Die Syrer haben angefangen, im Textilgewerbe zu arbeiten, oder auch als Schumacher. Und weil sie für viel weniger Geld arbeiten, feuern die Geschäftsleute ihr türkisches Personal."
Und dann werden sogar Kinder und Jugendliche wie Sklaven ausgenützt. Imen ist 15, sie und ihr Bruder arbeiten als Tellerwäscher.
"Ich muss morgens um sieben anfangen und arbeite bis halb neun abends für siebeneinhalb Lira .Wir müssen arbeiten, weil unser Vater krank ist."
Zusammen mit ihrem Bruder verdient sie für den 13-Stunden-Job in einer Teestube fünf Euro am Tag. Seit sie mit ihrer Familie vor drei Jahren in die Türkei kam.
"In Syrien bin ich in die Schule gegangen, aber seither nicht mehr. Türkisch kann ich zwar sprechen aber weder schreiben und lesen."
Um eine Chance auf vernünftige Bildung und gerechte Arbeit zu bekommen, müsste Imen mit ihrer Familie die Türkei verlassen, bevor es zu spät ist. Auch deshalb hat der Flüchtlingsstrom Richtung Griechenland stark zugenommen. Bestätigt Ahmet Gunay von der Flüchtlingshilfe.
"Die Syrer leben in wachsender Unsicherheit, haben immer weniger Geld. Und daher herrscht immer größere Nachfrage nach den Schleppern. Die bringen derzeit locker 1.000 Personen täglich auf die griechischen Inseln, das ist nicht gerade wenig."
20.000 bis 30.000 Menschen, die monatlich aus der Türkei fliehen, erwartet sich Gunay, solange, bis es Winter wird. Aber es fehlten ja noch einige in dieser dramatischen Statistik:
"Tausende erreichen Griechenland, aber wir haben keine Ahnung, wie viele von der Polizei abgefangen werden und wie viele auf der Flucht untergehen und sterben."