Nun wird er also wirklich geräumt, der sogenannte Dschungel von Calais. Djag steht zwischen zwei Pfützen auf dem nassen Kieselweg und deutet auf eine dreckige, notdürftig zusammengezimmerte Holzhütte, die seit Wochen sein Unterschlupf ist. Dass er diese Hütte nun verlassen soll, ist ihm ziemlich egal:
"Das Leben hier im Dschungel ist etwas für Tiere, nicht für Menschen. Hier will keiner lange bleiben. Jetzt hat jeder die Wahl: Wer noch verschwindet, der verschwindet. Ich werde wahrscheinlich nach Italien gehen, weil ich dort meinen Asylantrag gestellt habe. Hier über die Grenze nach England zu kommen, ist sowieso echt schwierig."
Djag stammt eigentlich aus Afghanistan, doch das Land ist viel zu gefährlich zum Leben, sagt er. Seit 2004 ist er deshalb schon in Europa unterwegs. Im Gegensatz zu den meisten der Tausenden Flüchtlinge im Dschungel, war er auch schon für längere Zeit in England, dem Land von dem alle hier träumen - bis er von dort wieder abgeschoben wurde:
"Das ist ein guter Ort, um zu arbeiten, man hat seine eigene Wohnung dort, ist frei. Alles, was Du machen willst – da kannst Du es machen."
Flüchtlinge wollen nach Großbritannien
Es sind genau diese Geschichten, die die Augen der anderen Flüchtlinge leuchten lassen. Djanah, ebenfalls aus Afghanistan, versucht seit drei Monaten jede Nacht, vom Dschungel aus irgendwie illegal mit einem Lkw nach England zu gelangen. Dass sie nun das Lager räumen und er an irgendeinen anderen Ort in Frankreich gebracht werden soll, ist für ihn undenkbar:
"Wenn der Dschungel geräumt wird habe ich keine Unterkunft, keine Freunde mehr. Aber in Frankreich will ich sowieso nicht bleiben, ich will doch nach England, da habe ich Familie. Ich werde es weiter jede Nacht versuchen, auch, wenn sie uns mit Tränengas angreifen, so wie neulich erst."
Bei der Hilfsorganisation "Auberge des migrants" versuchen sie seit Wochen, die Migranten im Dschungel auf die schon lange geplante Räumung vorzubereiten. Christian Salomé, Präsident von "Auberge des migrants", glaubt, dass etwa die Hälfte der zuletzt geschätzt etwa 10.000 Migranten froh ist, den schlimmen Bedingungen des Dschungels zu entkommen. Die andere Hälfte aber, fürchtet Salomé, wird versuchen, in Calais zu bleiben:
"Rund 1000 Migranten sind schon aus dem Dschungel verschwunden, in andere Lager oder zum Beispiel nach Belgien. Andere sind erstmal nach Paris gegangen. Aber die, die nach England wollen, werden sich hier irgendwo um Calais verstecken. Nur wo sollen die dann die Nächte verbringen?"
Nervosität steigt
Dass die Nervosität unter den Migranten in den vergangenen Tagen gestiegen ist, haben vor allem die Lkw-Fahrer erleben müssen, berichtet Sébastien Rivera vom örtlichen Fuhrunternehmer-Verband:
"Die angekündigte Räumung hat die Aggressivität noch einmal gesteigert. Sie versuchen, auf dem Hafenzubringer Blockaden zu errichten und wenn die Lkw halten müssen, bedrohen sie die Fahrer und brechen in ihre Lkw ein, um so vielleicht nach England zu kommen."
Dass es auch bei der Räumung des Dschungels zu gewalttätigen Zwischenfällen kommen könnte, mag Christian Salomé von "Auberge des migrants" zwar nicht ausschließen. Er glaubt aber, dass den meisten Migranten daran überhaupt nicht gelegen ist:
"Die Menschen, die vor Krieg fliehen, sind nicht aggressiv, sondern sie sind Flüchtlinge. Sie sind gerade mal mit den Kleidern, die sie am Leib tragen, hier angekommen. Hier konnten sie sich zum ersten Mal etwas ausruhen. Wenn sie jetzt ihre Hütten zerstören, werden sie einfach ihre Mäntel nehmen und gehen. Und sie werden ruhig gehen."