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Flüchtlingslager Zataari
Die Stadt der Hoffnungslosen

Bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise kommt den Nachbarländern Syriens eine besondere Rolle zu. In Jordanien lebt fast jeder zehnte syrische Flüchtling in "Zataari". Es ist das größte Flüchtlingscamp des Nahen Ostens. Um ihr Leben müssen die Menschen dort nicht fürchten, die Perspektivlosigkeit lässt aber viele Bewohner verzweifeln.

Von Daniel Heinrich |
    Syrische Mädchen im Flüchtlingslager Al-Zataari in Jordanien.
    Syrische Mädchen im Flüchtlingslager Al-Zataari in Jordanien. (imago/Xinhua)
    Viel Wind gibt es hier. Und Sand. Ansonsten liegt Camp al-Zataari mitten im Nichts. 80.000 Menschen leben hier, 65 Kilometer nördlich der jordanischen Hauptstadt Amman. Das Areal ist umzogen von Stacheldraht und Checkpoints und bevor man hinein darf, muss man einen doppelten Sicherheitsring durchqueren. Außen patrouillieren Soldaten, innen schwerbewaffnete Polizisten. Im Camp selbst hat das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR das Sagen. Für Naserddine Touaibia, einen der Sprecher, ist das Camp schon lange kein Provisorium mehr:
    "Schauen sie sich allein die Hauptstraße an, sie ist voller Geschäfte und Einkaufsmöglichkeiten. Die Menschen wollen zurück zur Normalität – selbst in einer Situation, in der sie ihrer Wurzeln auf so radikale Weise entrissen worden sind. Natürlich ist und wird es immer ein Flüchtlingslager bleiben, aber allein die Läden, die asphaltierten Straßen, das entstehende Abwassersystem. Das sind doch alles klare Anzeichen, dass sich hier ein normales Leben entwickelt."
    Keine guten Neuigkeiten aus Syrien
    Auf der Hauptstraße geht es in der Tat geschäftig zu, in den kleinen Supermärkten, Fahrrad-Reparaturwerkstätten. Sogar einen Beauty-Salon für Frauen gibt es, unschwer zu erkennen an einer grellgeschminkten Frau auf überdimensioniertem Poster und ansonsten streng vernagelten Fenstern. Abseits der "Champs-Élysées" erschlägt die Eintönigkeit aus Geröll und Wüstenstaub. Vor einem Baucontainer, der als Behausung für seine sechsköpfige Familie dient, sitzt der ehemalige Lastwagenfahrer Yaled Muhammad. Der alte Plastikstuhl biegt sich unter dem Gewicht des Zwei-Meter-Mannes:
    "Die Tage verlaufen hier immer gleich. Am Morgen stehe ich auf, sage meiner Frau, dass sie uns Frühstück vorbereiten soll. Wenn es nicht zu kalt ist, gehe ich draußen spazieren und setze mich an irgendeinen der sonnigen Plätze. Dort sitze ich dann und warte. Sonst gibt es hier nichts zu tun. Tagsüber gibt es ja noch nicht einmal Elektrizität. Abends schauen wir dann die Nachrichten. Vor allem natürlich aus Syrien. Leider gibt es von dort seit Ewigkeiten keine guten Neuigkeiten mehr."
    Der 51-Jährige ist mit seiner Frau und vier Kindern vor den Kämpfen aus Daraa geflohen. Die meisten der Camp-Bewohner stammen aus dieser Provinz im Süden Syriens. Nicht einmal vierzig Kilometer liegt der Grenzübertritt von Zataari entfernt. Seit über zwei Jahren sind Muhammad und seine Familie nun schon hier. Um ihr Leben müssen sie hier zwar nicht fürchten, aber beim Gedanken an die Zukunft seiner Kinder wird seine Stimme ganz leise:
    "Wissen Sie, ich habe das Gefühl, wenn die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und all die Staaten eine Lösung im Syrienkonflikt haben wollten, dann hätten sie sie schon gefunden. Aber ich habe das Gefühl, dass sich niemand um uns Gedanken macht. Niemand kümmert sich um die Flüchtlinge. Weder um die Flüchtlinge im Libanon, noch in Jordanien oder in der Türkei. Ich sehe einfach nicht, wo eine Lösung herkommen soll."
    Legale Arbeit ist rar
    Mehrfach unterbrechen wir das Interview. Wie so oft an diesem Tag, wie so oft in den Gesprächen mit den Bewohnern von Zataari. Es sind die immer gleichen Geschichten von zerbombten Häusern, von überhasteter Flucht, von zurückgelassenen Verwandten, von vollkommener Depression. Eine ganze Stadt unter einer ganzen Glocke von Niedergeschlagenheit. Yaled Muhammeds Nachbar versucht das Beste aus seiner Situation zu machen. Die orangene Weste kennzeichnet ihn als einen Helfer der Vereinten Nationen. Mustafa Abdel Hamid nimmt am Arbeitsprogramm im Camp teil:
    "Jeden Morgen stehe ich gegen halb sieben auf, kaufe Brot für meine Kinder, gehe zum Markt. Danach frühstücken wir. Es ist nur ein leichtes Frühstück und eigentlich kann man es nicht wirklich Frühstück nennen. Danach gehe ich zu einem der Koordinierungszentren und frage nach, ob es Arbeit gibt. Das heißt, ob es irgendwo etwas gibt, was ich saubermachen kann, die Straßen von Müll säubern beispielsweise. Wenn nicht, dann gehe ich nach Hause. Manchmal schaue ich auch, ob es wieder Hilfslieferungen gab. Also zum Beispiel Kleidung oder Essen. Manchmal muss man sich regelrecht darum prügeln. So viele Leute wollen an die Lieferungen rankommen."
    Die meisten wollen nur nach Hause
    Umgerechnet 40 Euro bekommt der 47-Jährige für seine Arbeit pro Monat. Nicht viel, aber es hilft die kümmerlichen 25 aufzustocken, die die Bewohner monatlich erhalten. Und es ist eine der wenigen legalen Möglichkeiten an Geld zu kommen. Offiziell dürfen die Flüchtlinge in Jordanien nicht arbeiten, viele drängen auf den Schwarzmarkt. "Zuviel zum Sterben – zu wenig zum Leben". Das bekommt man in Zataari häufig zu hören. Nach Europa wollen sie hier genauso wenig wie hierbleiben. Die meisten wollen einfach nur nach Hause. Auch Abdel Hamid:
    "Unser ganzes weiteres Leben hängt von der Sicherheitslage in Syrien ab. Glauben Sie mir: Wenn der Konflikt aufhört, gehe ich morgen zurück. Sofort. Aber wenn das dort so weitergeht, sehe ich nicht wie ich dorthin zurückkehren könnte. Vielleicht in ein, zwei, zehn Jahren, vielleicht aber auch nie. Als ich am Anfang hierher herkam, hatte ich sehr viel Hoffnung, bald wieder zurückzukehren. Sehr viel ist davon nicht übrig geblieben."
    Es gibt wenig, was man ihm, seinem Nachbarn, oder all den anderen in Zataari sagen kann. Eine Lösung im Syrienkonflikt scheint nicht absehbar. Zwar hatten in Genf Ende Januar unter Aufsicht der Vereinten Nationen Friedensverhandlungen begonnen. Wie schwierig diese werden, wurde allerdings schon relativ schnell klar. Nach nur fünf Tagen wurden die Verhandlungen wieder ausgesetzt.