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"Flüchtlingspaten Syrien"
Engagierte Bürger unterstützen Asylbewerber

Seit zwei Jahren ermöglicht die Mehrzahl der Bundesländer syrischen Flüchtlingen, ihre nächsten Angehörigen nach Deutschland zu holen. Da sie sich das meist nicht leisten können, springen immer öfter engagierte Bürger ein. Um auch anderen die Angst davor zu nehmen, haben einige von ihnen den Verein "Flüchtlingspaten Syrien" gegründet.

Von Susanne Arlt |
    Asylbewerberkind Alma aus Syrien steht am 18.11.2014 im Kindergarten der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Meßstetten (Baden-Württemberg) mit anderen Flüchtlingskindern im Kreis, um einen Geburtstag zu feiern.
    Asylbewerberkind Alma aus Syrien im Kindergarten der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Meßstetten (picture alliance / dpa / Felix Kästle)
    Magret Guder zeigt auf eine Foto-Collage, die an der Wand im Treppenhaus hängt. Es sind die Porträts aller Kinder, die in Potsdam-Schlaatz die Freie Schule besuchen. Die meisten Kinder lachen darauf, manche schneiden Grimassen. "Bald werden dort eure Fotos hängen", sagt Magret Guder und lächelt den zehnjährigen Mohammed und seinen zwei Jahre älterer Bruder Karim freundlich an. Die können ihr Glück kaum fassen, vor drei Wochen lebten sie noch in Damaskus, mitten im Bürgerkrieg.
    "Hier sind die Materialien, du brauchst nichts, nur dich und deinen Kopf und Spaß, und guck mal, das haben die Kinder für dich gemalt." 'Welcome' steht in krakeliger Kreideschrift auf einer Tafel. Mohammed und Karim verstehen nicht, was das englische Wort Willkommen bedeutet. Als ihr ältester Bruder Majid übersetzt, strahlt auch die Mutter übers ganze Gesicht: "Ich habe ein gutes Gefühl hier, meine Kinder können endlich wieder zur Schule gehen und lernen."
    Ihr ältester Sohn Majid ist vor elf Monaten aus Syrien geflohen. Zuerst mit dem Auto, dann zu Fuß, schließlich saß er mit 330 anderen Flüchtlingen in einem Schlauchboot. Es gab Momente, da wusste Majid nicht, ob er seine Flucht nach Deutschland überleben wird. Seit Oktober lebt er in Potsdam, doch ein richtiges Leben ist es nicht. Jeden Tag bangt er um das Leben seiner Familie. Seinen älteren Zwillingsbruder hat er schon bei einem Bombenanschlag verloren. "Hier ist neue Heimland und ich bin hier alleine. Meine Familie war in Syrien, mit kein Essen, kein Haus. Jeden Tag, jede Sekunde ich denke, was ist los jetzt, gibt es Bombe oder was gibt es jetzt."
    Verpflichtungserklärung für Majids Mutter und seine Brüder
    Majid sei innerlich zerrissen gewesen, erzählt Peter Kuttner, als er ihn das erste Mal in der Flüchtlingsunterkunft traf. Darum haben er und seine Frau sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen. Sie haben für Majids Mutter und seine vier Brüder eine Verpflichtungserklärung abgegeben. Der deutsche Staat gewährt ihnen zwar Asyl, doch die Kosten für ihre Unterkunft, Verpflegung und medizinische Versorgung müssen Peter Kuttner und seine Frau tragen. Und zwar ein Leben lang, so steht es im hiesigen Aufenthaltsgesetz.
    "Man kann die Familie ja nicht noch einmal zerreißen. Majid hat gesagt, ich komme erst zur Ruhe, wenn meine Familie da ist. Es mussten alle kommen. Wissen Sie, ich bin 74 Jahre alt. Das letzte Hemd hat keine Tasche, meinen drei leiblichen Kindern geht es sehr gut. Und ich bin froh, dass ich es gemacht habe."
    Seit zwei Jahren gewähren alle Bundesländer - außer Bayern - Syrern das Recht, ihre nächsten Angehörigen nach Deutschland zu holen. Da Kriegsflüchtlinge sich die Kosten dafür in aller Regel nicht leisten können, springen immer öfter engagierte Bürger wie Peter Kuttner ein. Helfen wollen viele, aber die meisten trauten sich am Ende dann doch nicht, solch eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, erzählt der Berliner Rechtsanwalt Ulrich Karpenstein. Auch für ihn und seine Frau sei dies ein längerer Entscheidungsprozess gewesen.
    Helfer gründen Verein "Flüchtlingspaten Syrien"
    "Haben uns damit immer schwer getan, haben gelegentlich wie auch in den letzten Jahren angesichts der Flüchtlingskrise immer wieder weggeduckt. Aber vielleicht duckt man sich irgendwann auch so viel weg, dass man am Boden kriecht. Und da wollten wir letztlich nicht hin und sind dann irgendwann mit schlotternden Knien zur Ausländerbehörde."
    Die Verpflichtungserklärung sei schließlich der einzige Weg gewesen, eine junge Syrerin und ihren dreijährigen Sohn zu retten, sagt Ulrich Karpenstein. Um anderen Bürgern vor solch einem Schritt die Angst zu nehmen, hat er mit Gleichgesinnten den Verein "Flüchtlingspaten Syrien" gegründet. Mit Hilfe von Spendengeldern kommt der Verein inzwischen für die Kosten von elf Flüchtlingen auf. Beim Bundesinnenminister und den Landesministern setzen sich Karpenstein und seine Mitstreiter dafür ein, dass aus einer lebenslangen Verpflichtungserklärung eine befristete wird. NRW und Niedersachsen zeigten sich offen, andere Länder und der Bund aber mauerten, bedauert Vereinsmitglied Martin Keune.
    "Es gibt viele, viele Möglichkeiten, syrischen Menschen zu helfen. Man kann spenden, man kann denen Sprache beibringen, man kann die begleiten, aber es gibt in Deutschland im Moment nur eine einzige Möglichkeit, Syrer überhaupt aus dem Bürgerkrieg zu retten, das Leben zu retten und die Leute hier reinzuholen auf eine legale Art und Weise."