Jasper Barenberg: Aus Brüssel ist jedenfalls bis auf Weiteres keine Hilfe zu erwarten. Eine verbindliche Quote, um die vielen Flüchtlinge gerechter in Europa zu verteilen, scheint nach dem Treffen der Innenminister gestern Abend ferner denn je. Herausgekommen ist kaum mehr als eine unverbindliche Absichtserklärung. In drei Wochen soll weiterverhandelt werden. Deutschland bleibt also einstweilen auf sich selbst gestellt, was Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil eine bittere Pille nennt und einen Plan B für Deutschland fordert. Ist also Plan A gescheitert? Kontrollieren jetzt zwar Bundespolizisten die Grenze nach Österreich, ansonsten aber bleibt alles wie bisher?
Am Telefon ist Burkhard Lischka, der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag. Schönen guten Tag, Herr Lischka.
Burkhard Lischka: Schönen guten Tag, Herr Barenberg.
Barenberg: Der Polizist hat gerade gesagt, weggeschickt wird hier keiner. Gilt das insgesamt? Abgesehen von langen Staus an der Grenze ist alles beim alten?
Lischka: Wir haben ja zunächst mal am Sonntagabend Grenzkontrollen eingeführt und wir haben nicht die Grenzen geschlossen. Insofern dient diese Maßnahme auch in erster Linie natürlich dazu, eine unkontrollierte Einreise zu verhindern, die Einreise zu koordinieren und in geordnete Bahnen zu lenken. Und wir haben das eben im Beitrag gehört: Die verstärkte Kontrolle von Lastwagen, von Kleintransportern, von Bussen führt auch dazu, dass jetzt Schleusern das Geschäft schwerer gemacht wird, dass sie nicht mehr ungehindert über die Grenze fahren können, um da Menschen auf Autobahnraststätten auszusetzen. Ich selber glaube, dass dieses geordnete Verfahren durchaus auch Wirkung hat. Wir hatten in den ersten 24 Stunden insgesamt 2.300 Einreisen. So hat mir das Bundesinnenministerium heute Morgen mitgeteilt. Das ist eine Halbierung gegenüber vergleichbaren Tagen in den vergangenen Wochen, wo wir circa vier bis 5.000 Einreisen hatten.
"Da zeichnet sich eine Art Bankrotterklärung Europas ab"
Barenberg: Nun hören wir in Meldungen, dass das UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, schon heute 5.500 Zuwanderer gezählt hat, die von Ungarn in Richtung Österreich unterwegs sind, und die Organisation sagt, sie rechnet wieder mit sehr hohen Zahlen.
Lischka: Ja, das unterstreicht noch mal deutlich, dass wir eine europäische Einigung brauchen, und da bin ich wirklich vom Innenministerrat gestern enttäuscht. Dass man sich hier beispielsweise nicht auf eine gemeinsame Verteilung der Flüchtlinge einigen konnte, finde ich beschämend. Es kann nicht sein, dass drei Länder hier in Europa, nämlich Deutschland, Österreich und Schweden, im Augenblick fast im Alleingang Flüchtlinge unterbringen müssen, während andere EU-Staaten da auf der Zuschauertribüne sitzen. Da zeichnet sich aus meiner Sicht eine Art Bankrotterklärung dieses Europas ab.
Barenberg: Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister - Sie haben das erwähnt -, hatte als Begründung ja genannt, man wolle wieder ein geordnetes Verfahren, zurück zu einem geordneten Verfahren. Er hat aber noch einen zweiten Punkt erwähnt und das war, die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen. Auch aus dem Grund freut sich Horst Seehofer, der bayerische Ministerpräsident, dieser Tage so, weil er das jetzt als politischen Erfolg für die CSU feiert. Das war aber nie beabsichtigt?
Lischka: Ich glaube, zu feiern gibt es da auch im Augenblick nichts. In erster Linie dient es dazu, überhaupt Flüchtlinge wieder zu registrieren, ihre Daten aufzunehmen, ihre Fingerabdrücke zu erfassen, auch eine Sicherheitsüberprüfung vorzunehmen, auch der Frage nachzugehen, kommt jemand tatsächlich aus Syrien, der vorgibt, aus Syrien zu kommen, die Asylanträge vernünftig aufzunehmen und Schleusung zu unterbinden. Aber ich habe eben gesagt, anhand der Zahlen, dass sich zumindest gestern die Zahl der Einreisen halbiert hat gegenüber vergleichbaren Tagen in den Wochen zuvor.
"Unterstützung und Stabilisierung der Flüchtlingslager"
Barenberg: Martin Schulz, Parlamentspräsident des Europäischen Parlaments, spricht in dem Zusammenhang von einem eher taktischen Zug, ohne wirklich durchschlagende Wirkung sozusagen. Hat er da recht?
Lischka: Wir alle wissen, dass der Schlüssel für viele Lösungen derzeit in Europa liegt, was einen gerechten Verteilmechanismus angeht, was aber auch die Einrichtung von Anlauf- und Registrierungsstellen an den europäischen Außengrenzen angeht, insbesondere in Griechenland, Italien, möglicherweise auch in Ungarn und Serbien. Und was wir brauchen - auch das ist bitter, dass es da bisher noch keine europäische Einigung gegeben hat: Wir brauchen eine massive Unterstützung und Stabilisierung der Flüchtlingslager in der Türkei, in Jordanien, im Libanon. Eine Ursache für die vielen Flüchtlinge in den letzten Tagen liegt darin, dass diese Flüchtlingslager nur zu einem Drittel ausfinanziert sind. Wenn wir das nicht ändern, dann werden wir weiter mit hohen Flüchtlingszahlen rechnen müssen.
Barenberg: Nun gehört ja zu den Entscheidungen, die gestern getroffen worden sind, immerhin die, dass alle westlichen Balkan-Staaten auf eine Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten sollen. Hilft uns das weiter?
Lischka: Nun, wer Flüchtling ist, ist ein völkerrechtlich klar definierter Begriff, und auch das Asylrecht ist in unserem Grundgesetz klar definiert. Das klare Kriterium ist Verfolgung. Wer aus einer wirtschaftlichen Motivlage zu uns kommt, das kann man für verständlich halten, aber es ist kein Asylgrund. Insofern ist es richtig, dass wir uns hier gemeinsam in Europa auf eine Liste mit sicheren Herkunftsstaaten geeinigt haben.
Barenberg: Läuft es also im Moment vor allem darauf hinaus, Burkhard Lischka, die Zahl zu reduzieren, beispielsweise mit diesem Hebel der sicheren Herkunftsstaaten?
Lischka: Es geht auch darum, dass wir dieses System nach klaren Regeln funktionieren lassen. Asyl bedeutet Verfolgung, bedeutet Flucht vor Krieg und Bürgerkrieg und nicht aus einer wirtschaftlichen Notlage zu kommen. Das ist nicht Asyl und diese Regeln müssen klar eingehalten werden. Sonst wird das System nicht funktionieren.
"Im Alleingang werden wir dieses Problem nicht lösen"
Barenberg: Und was ist mit der Frage, wie wir Einwanderung in Zukunft regeln? Da hat man ja nicht den Eindruck, dass da viel Bewegung in der Debatte ist.
Lischka: Ich habe ja eben schon gesagt, gerade was das Thema Flüchtlinge angeht, bin ich von der EU wirklich enttäuscht. Wenn wir da nicht in den nächsten Tagen zu einer Lösung kommen, dann wird das aus meiner Sicht unübersehbare Folgen haben. Dann ist das ein Rückfall in die Kleinstaaterei. Und dann brauchen wir sicherlich auch in Deutschland eine ehrliche Diskussion darüber, wie viele Flüchtlinge wir aufnehmen können, wie vielen wir Unterkunft und Versorgung geben können, wie viele wir in Arbeit vermitteln können, wie viele wir in unsere Gesellschaft integrieren können, und da muss man feststellen in diesen Tagen, selbst wenn wir da alle unser Bestes geben, irgendwann stoßen wir da an die Grenzen des Möglichen. Im Alleingang werden wir jedenfalls dieses Problem nicht lösen können.
Barenberg: Das heißt aber auch, dass Sie dafür wären, jetzt bei den Grenzkontrollen, die in diesen Tagen durchgeführt werden, diejenigen wieder abzuweisen, die aus westlichen Balkan-Staaten beispielsweise kommen?
Lischka: Wenn sie einen Asylantrag hier stellen - dazu sind wir ja auch in den letzten Wochen in einzelnen Staaten übergegangen -, dann müssen die in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben. Das ist jetzt in dem Gesetzespaket, was wir im Bundestag schnüren wollen, ausdrücklich vorgesehen. Dann müssen wir es schaffen, dass wir innerhalb von zwei, drei Wochen über diese Anträge eine Entscheidung herbeiführen. Und ja, das bedeutet, dass diese Menschen dann auch, wenn ihr Antrag keinen Erfolg hat, wieder zurückgeführt werden müssen.
Barenberg: Aber im Moment sind Sie auch einverstanden, wenn an der Grenze nur registriert wird, aufgenommen, Informationen zusammengetragen, und dann gehen die Menschen, wie das bisher auch der Fall gewesen ist, in die Erstaufnahmelager und werden dann weiter betreut?
Lischka: Sehr viel mehr werden wir im Augenblick an unseren Grenzen nicht leisten können.
"Wir müssen zu einer europäischen Lösung kommen"
Barenberg: Die Internationale Organisation für Migration, die IOM, macht heute Schlagzeilen mit der Sorge, dass die Wiedereinführung von Grenzkontrollen nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo in Europa am Ende wieder zu mehr toten Flüchtlingen auf dem Mittelmeer führen wird. Ist das nicht absehbar?
Lischka: Das müssen wir auf jeden Fall verhindern. Und nochmals: Das können wir verhindern, indem wir uns in Europa schnell darauf einigen, dass das ein gemeinsames Problem ist, wo wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen und keiner hier weiter den Kopf in den Sand stecken darf.
Barenberg: Wie lange sollen diese Grenzkontrollen denn eigentlich noch aufrecht erhalten werden, durchgeführt werden? Der bayerische Innenminister hat heute Morgen hier im Deutschlandfunk gesagt, noch Wochen, während Thomas de Maizière sich nicht so recht festlegen will und sagt, keine Eintagsfliege, aber auch kein Dauerzustand. Was sagen Sie?
Lischka: Nun, ich hoffe, dass wir auf diese Grenzkontrollen bald wieder verzichten können, dass wir ein freies Europa haben mit freien Grenzen. Ich glaube, das gehört zu den größten historischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts. Aber nochmals: Wir müssen dann zu einer europäischen Lösung kommen, und ich habe nach wie vor nicht die Hoffnung aufgegeben, dass wir da auch in den nächsten Wochen wirklich eine tragfähige Lösung bekommen werden.
Barenberg: ... sagt der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch, Burkhard Lischka.
Lischka: Ich danke Ihnen auch, Herr Barenberg.
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