Christiane Kaess: Was man genau unter Transitzonen verstehen soll, ist bisher nicht klar. Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge, um dort innerhalb weniger Tage deren Gesuch auf Asyl zu bearbeiten, das ist die positive Beschreibung. Massenlager im Niemandsland oder Haftanstalten für Tausende von Flüchtlingen, wie die SPD sie befürchtet, das ist die Schreckensvision. Am Telefon mitgehört hat Uli Grötsch von der SPD. Er ist Mitglied im Innenausschuss des Bundestages. Guten Tag, Herr Grötsch.
Uli Grötsch: Guten Tag.
Kaess: Bis gestern zumindest kamen ja noch unterschiedliche Signale aus der SPD. Die Generalsekretärin, Yasmin Fahimi, die war erst skeptisch, angesichts der Transitzonen, angesichts dieses Vorschlages. Aber sie hat auch gesagt, die SPD sei bereit, diesen Vorschlag zu prüfen. Heute, nachdem Justizminister Maas und Fraktionschef Oppermann das Ganze abgelehnt haben, lehnt auch Fahimi diesen Vorschlag ab. Können Sie denn mittlerweile eine einheitliche Position in Ihrer Partei erkennen?
Grötsch: Ja, das kann ich. Wir wollen uns keinen Maßnahmen verschließen, die zu einer schnelleren Bearbeitung der Asylverfahren zählen. Aber ich sehe nicht, wie Transitzonen dazu beitragen können, zumal der Entwurf des Bundesinnenministeriums uns im Detail noch gar nicht vorliegt, also uns die Union noch gar nicht erklärt hat, wie solche Transitzonen überhaupt arbeiten sollen, wie die aussehen sollen und wie die dazu beitragen können, dass die Verfahren schneller bearbeitet werden.
Kaess: Aber dennoch hat man sich innerhalb der Union schon darauf geeinigt. Warum kommt die Ablehnung aus der SPD so spät?
Grötsch: Ich sehe auch nicht, dass es da eine Einigung in der Union gibt, sondern ich sehe, dass es auch in der Union viel Unwissen und viel Ungewissheit darüber gibt, ob und wie solche geplanten Zonen dazu beitragen können. Ich glaube, dass es in der jetzigen Situation wichtig ist, dass wir uns endlich - und das fordert meine Fraktion und meine Partei seit über einem Jahr -, dass wir uns endlich auf konkrete Maßnahmen konzentrieren, die zu einer schnelleren Bearbeitung der Asylanträge führen.
Kaess: Aber dass man sich in der Union einig ist, das ist ja eigentlich klar. Dass die Transitzonen kommen sollen und konkret schon in den nächsten Tagen, das hat der Flüchtlingskoordinator und Kanzleramtsminister Peter Altmaier gesagt. Wie will die SPD das Ganze überhaupt noch stoppen?
Grötsch: Das ist zunächst mal ein Vorschlag, der aus den Reihen der CSU kommt, und es ist auch ein Vorschlag, ...
Kaess: Und den die CDU angenommen hat.
Grötsch: Ja, und den die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin aber auch wieder anzweifelt. Von daher sehe ich da keine Einigung. Ich glaube, dass wir im Moment andere Probleme haben. Ich komme aus Bayern. Wir haben in Bayern die Situation, dass die Ehrenamtlichen seit Wochen und Monaten ihre komplette Freizeit opfern und am Ende sind, körperlich am Ende sind und eine Pause brauchen. Das ist auch ein Thema, über das wir arbeiten müssen, wie wir dort jetzt professionelle Strukturen schaffen, die die Ehrenamtlichen mal ablösen können.
"CDU lässt sich von der kleinen Schwester aus Bayern gewaltig treiben"
Kaess: Über die Situation vor Ort können wir gleich noch eingehender sprechen. Aber noch einmal diese Frage: Sie müssen schon zugeben, dass im Moment der kleine Koalitionspartner, nämlich die CSU, tonangebend in der Diskussion ist?
Grötsch: Ich sehe schon durchaus, dass sich die CDU von der CSU treiben lässt. Wir hatten zum Beispiel vor wenigen Tagen eine Einigung im Kanzleramt, bei der sich alle Ministerpräsidenten mit der Bundesregierung auf ein einheitliches Vorgehen zur Bewältigung der jetzigen Situation geeinigt hatten, und nur wenige Stunden danach prescht der CSU-Vorsitzende, der bayerische Ministerpräsident wieder mit neuen Vorschlägen vor und stellt alles, was wenige Stunden vorher verabredet wurde, wieder infrage. Das sehe ich schon, dass sich die CDU vom kleinen Bruder oder von der kleinen Schwester aus Bayern gewaltig treiben lässt.
Kaess: Sie sagen, sie lässt sich treiben. Aber die SPD bietet ja auch keine Alternativen.
Grötsch: Ja doch! Wir fordern wie gesagt schon seit über einem Jahr, dass beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das in der Verantwortlichkeit des Bundesinnenministeriums liegt, endlich was passieren muss, dass die Asylanträge schneller bearbeitet werden müssen. Herr de Maizière hat so lange nicht darauf reagiert, bis ihm die Kanzlerin die Federführung entzogen hat und das jetzt beim Kanzleramt liegt, und wir erwarten uns jetzt auch von Herrn Altmaier und von Herrn Weise, dass von dort endlich Konkretes passiert, dass die Defizite, die wir ohne Frage im Land noch haben, endlich behoben werden.
Kaess: Und die Forderung nach schnelleren Verfahren, die kommt ja nicht nur aus der SPD, und die besteht ja auch schon länger. Bisher ist tatsächlich nicht viel passiert. Dann schauen wir noch mal ganz konkret nach Bayern, wo besonders viele Flüchtlinge ankommen, und vor diesem Hintergrund auf den Vorschlag der Transitzonen. Könnten Sie sich vorstellen, dass so etwas an der bayerischen Grenze nicht doch erst mal kurzfristig Abhilfe schaffen würde?
Grötsch: Wissen Sie, die bayerische Grenze, über die wir hier immer reden, die ist Hunderte von Kilometern lang. Wenn man bewerkstelligen wollte, dass alle Flüchtlinge, die dort ankommen, gewissermaßen automatisch und freiwillig in die Transitzonen gehen, dann müsste man den Rest der Grenze ja komplett überwachen und abriegeln. Das ist auch eine Frage, die völlig ungeklärt ist, wie so was passieren soll. Das ist zum Beispiel auch eine Frage des Personals bei der Bundespolizei, die jetzt schon aus dem ganzen Land Kräfte zusammenziehen, um unten die Aufnahme der Flüchtlinge an der Südgrenze bewerkstelligen zu können.
Kaess: Sie waren, Herr Grötsch, selbst bei der Polizei und auch für Grenzkontrollen tätig. In der praktischen Umsetzung, diese Kontrollen durchzuführen, was wäre da vorstellbar?
Grötsch: Ich glaube, dass es in der praktischen Umsetzung darum geht, jetzt die Arbeit, die die Bundespolizei und die anderen Behörden leisten, die an der Grenze tätig sind, überhaupt so weiter aufrecht erhalten zu können. Wie gesagt: Die Bundespolizei zieht seit Monaten Kräfte aus dem ganzen Land zusammen und setzt sie an der Südgrenze, etwa in Passau oder in Rosenheim oder am Hauptbahnhof in München ein, und erste Aufgabe muss es sein, dass wir den Standard, den wir jetzt dahingehend haben, dass wir den halten können. Ich sehe keine personelle Ressource, die es leisten könnte, die Hunderte von Kilometer lange bayerisch-österreichische Grenze effektiv zu überwachen, sodass die dort ankommenden - und das betone ich ganz stark, die dort ankommenden und Schutz suchenden Menschen in Transitzonen, die am Ende noch gestaltet sind wie irgendwelche Lager, dass die dort sozusagen reingeleitet werden können.
Kaess: Da fallen oft diese Wörter wie Lager zum Beispiel. Aber diese Transitzonen könnten doch auch Anlaufstellen sein für diejenigen, die eine Chance auf Asyl haben, um sich dort registrieren zu lassen, und das Ganze könnte dann einfach zu einem geordneteren Verfahren führen.
Grötsch: Ein geordnetes Verfahren entsteht dadurch, dass die Menschen an der Grenze ankommen, dass sie dort registriert werden, dass sie in Erstaufnahmeeinrichtungen kommen und dort über ihr Asylverfahren entschieden wird.
"Die Menschen aus Syrien haben eine sichere Bleibeperspektive, ohne Frage"
Kaess: Aber genau das könnte doch in solchen Transitzonen gemacht werden.
Grötsch: Wissen Sie, es geht ja in erster Linie zum einen um Menschen aus Syrien. Die Menschen aus Syrien haben eine sichere Bleibeperspektive, ohne Frage. Das muss man dort nicht noch extra klären. Und zum zweiten geht es um Menschen vom Westbalkan, die ganz und gar keine sichere Bleibeperspektive bei uns haben, und auch das ist klar: Auch dazu braucht es nicht Sonderzonen, die Transitzonen, in denen man das noch mal prüft.
Kaess: Der CSU-Chef Horst Seehofer, der hält ja dieser Kritik entgegen, dass es für ihn schwer nachvollziehbar sei, wie man einerseits von der türkischen Regierung verlangen könne, die Ausreise aus ihrem Land zu kontrollieren, aber andererseits den Standpunkt vertrete, dass man Einreisen nach Deutschland nicht kontrollieren könne. Was sagen Sie dazu?
Grötsch: Da geht es darum, dass man die Ausreisen aus der Türkei an den vorgesehenen Grenzübergangsstellen kontrolliert. Das hat zum einen mit den Straßenübergängen an der türkisch-bulgarischen Grenze zu tun. Das hat mit den Übergängen an der türkisch-griechischen Grenze zu tun.
Kaess: Aber auch diese Grenzen sind ja Hunderte Kilometer lang.
Grötsch: Ja, natürlich! Aber das sind auch Schengen-Außengrenzen, die nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen auch überwacht werden müssen. Und wenn die Staaten, in diesem Fall Bulgarien und Griechenland, das nicht entsprechend bewerkstelligen könnten, dann wären sie nicht Mitglied des Schengener Abkommens.
"Union muss erläutern, wie sei sich den Aufbau und den Betrieb der Transitzonen überhaupt vorstellen"
Kaess: Lassen Sie uns noch vorausblicken über die nächsten Tage. Die Union sagt, in den nächsten Tagen wird es schon konkret mit den Transitzonen. Wo werden wir am Ende der Woche stehen?
Grötsch: Ich glaube, dass wir am Ende der Woche erst mal in einer Situation sein müssen, in der die Union uns erläutert, wie sie sich den Aufbau und den Betrieb der Transitzonen überhaupt vorstellen. Das wissen wir ja noch gar nicht, sondern ich sehe, dass die Union, getrieben von der CSU, mal wieder einen neuen Vorschlag auf den Tisch legt, ohne die jetzt schon bestehenden Herausforderungen bearbeitet zu haben.
Kaess: ... sagt Uli Grötsch von der SPD. Er ist Mitglied im Innenausschuss des Bundestages. Herr Grötsch, danke für dieses Interview heute Mittag.
Grötsch: Sehr gerne.
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