Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) lehnt eine Verlängerung des Solidaritätszuschlags zur Finanzierung der Flüchtlingskrise ab. "Die Soli-Debatte ist die Debatte von gestern", sagte sie im DLF. Notwendig sei jetzt vor allem eine massive Steigerung bei den Stellen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Auch sie warte in Rheinland-Pfalz darauf, mehr "Entscheider" zu bekommen, die sich mit den Asylanträgen beschäftigen. Es gebe Hunderttausende Verfahren, die noch nicht bearbeitet seien. Dadurch werde auch Integration behindert. Dass es eine Einzelfallprüfung geben müsse, sei dabei unstreitig. Aber das bedeute auch erheblich mehr Arbeit für das BAMF.
Das Interview in voller Länge:
Christine Heuer: Thomas de Maizière will schon länger in jedem Einzelfall prüfen, ob syrische Flüchtlinge Anspruch auf Schutz in Deutschland haben. Die Einzelfallprüfung war 2014 ausgesetzt worden; es flohen schon damals einfach zu viele Syrer nach Deutschland. Die Anschläge in Paris, Beutepässe im Besitz des IS, untergetauchte Flüchtlinge, die mit solchen Pässen bei uns eingereist sind, all das führt jetzt dazu, dass die Einzelfallprüfung wieder eingeführt werden soll. Aber schaffen die Behörden das? Julia Klöckner, CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz nächstes Jahr, hat diese Frage gestern an dieser Stelle so beantwortet:
O-Ton Julia Klöckner: "Sicherheit geht vor Schnelligkeit und dazu gehört natürlich auch eine lückenlose Registrierung der Ankommenden und möglichst umgehend."
Heuer: Und wie sieht Malu Dreyer die Sache? Die Sozialdemokratin ist das, was Julia Klöckner noch werden möchte, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz. Guten Morgen, Frau Dreyer.
Malu Dreyer: Einen schönen guten Morgen. Ich grüße Sie.
"Wir sind viel zu langsam, bei der Bearbeitung der Anträge"
Heuer: Der IS hat Tausende Blankopässe erbeutet. Brauchen wir auch für Syrer wieder die Einzelfallprüfung, die jetzt im Gespräch ist? Ist das inzwischen unstrittig?
Dreyer: Das ist inzwischen unstreitig. Die Innenministerkonferenz hat sich ja sehr klar hinter den Bundesinnenminister gestellt. Und ich denke, man muss diese Maßnahme wohl auch ergreifen. Allerdings ist viel wichtiger, dass wir vorher viel schneller werden, was die Identifizierung der Menschen betrifft und die Registrierung, wenn sie bei uns ankommen. Daran arbeitet die Bundespolizei mit Hochdruck, daran arbeiten wir auch in den Ländern, die Menschen, die zu uns zum Beispiel kommen. Da unterstützen wir das Bundesamt für Migration darin, dass tatsächlich auch der Fingerabdruck genommen wird, die Identität festgestellt wird, und das ist die Grundvoraussetzung. Die Einzelfallprüfung kann dann im Gespräch nochmals dazu führen, dass man tatsächlich nachvollziehen kann, ist das logisch, was die Leute erzählen oder nicht. Das wird eine weitere Maßnahme sein, um mehr Sicherheit zu gewährleisten.
Heuer: Trotzdem, Frau Dreyer, war die SPD zwischenzeitlich ja sehr skeptisch, ob man die Einzelfallprüfung zu diesem Zeitpunkt wieder einführen kann. Die Begründung war: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist jetzt schon überfordert. Frage an Sie heute: Verschärfen Sie jetzt das Problem?
Dreyer: Das ist auf jeden Fall ein Punkt, der durch das Bundesinnenministerium zu regeln ist. Wir sind immer noch viel, viel zu langsam, was die Bearbeitung der Anträge betrifft. Es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, das anerkenne ich auch. Aber die Einführung der Einzelfallprüfung bedeutet auch wieder erheblich mehr Arbeit und das heißt, das BAMF braucht noch mehr Personal, als im Moment gedacht. Und diese Maßnahmen müssen auch erfüllt werden vom Bundesministerium, weil wir ansonsten wieder in die alte Lage versetzt werden, dass nämlich die Verfahren zu lange dauern. Und es bringt uns auch nicht mehr Sicherheit, wenn wir nicht mehr Personal haben, denn die Menschen sind zwar registriert bei Antragsstellung, aber wenn sie dann monatelang im Land sind, ohne dass sie die Anhörung und das Gespräch haben, kommen wir ja gar keinen Schritt weiter.
"Um die 400.000 Verfahren sind noch nicht mal angemeldet"
Heuer: Gefährdet die Bundesregierung, weil sie das BAMF nicht rechtzeitig personell aufgestockt hat, die Sicherheit im Land?
Dreyer: Ich gehe so weit nicht, denn die Sicherheit kann ja dadurch schon gewährleistet werden, zu hohem Maße, indem die Registrierung stattfindet. Und wenn man die Berichte aus Bayern mitverfolgt, dann sieht man, dass die Bundespolizei da wirklich mit Hochdruck daran arbeitet. Das ist unsere allererste Aufgabe bundesweit, dass wir es schaffen, die Menschen schneller zu registrieren, und zwar sofort, wenn sie in unser Land kommen. Da helfen wir dem Bund auch, das ist auch richtig so, aber das ist die Maßnahme, die am allerschnellsten wirklich vollzogen werden kann. Sie steht vor allem.
Heuer: Trotzdem die Frage. Das BAMF hat ja lange geklagt, es hat zu wenig Personal. So hieß es und so hieß es nicht erst in diesem Jahr. Aber es ist zu wenig geschehen. Kritisieren Sie das?
Dreyer: Natürlich! Wir kritisieren das schon sehr lange als Bundesländer, weil wir Hunderttausende von Verfahren im Land haben, die nicht bearbeitet sind, und damit auch verhindert wird, dass Menschen, die nicht bleiben dürfen, nicht freiwillig zurückgehen, dass sie nicht abgeschoben werden können, weil es keinen Bescheid gibt, und andererseits auch die Integration der Menschen dadurch gehemmt wird. Deshalb ist die Forderung der Bundesländer ja schon seit Monaten massiv, was mehr Personal des Bundesamtes betrifft. Wir haben die Zusage vom Bund, dass sich das im ersten Quartal verändern wird. Darauf bauen wir jetzt auch. Das ist, was wir unbedingt brauchen.
Heuer: Entschuldigung, Frau Dreyer. Sie wollen aber, dass der Bund da noch ein bisschen mehr aufstockt?
Dreyer: Natürlich! Es wird nicht anders gehen. Denn es kann nicht die Lösung darin liegen, dass wir bei den syrischen Flüchtlingen die Einzelfallprüfung einführen, aus guten Gründen, nachvollziehbaren Gründen, und gleichzeitig die Abwicklung der Verfahren insgesamt auch nicht vorangeht. Wenn ich es richtig im Kopf habe, liegen 300.000 Verfahren im Moment beim BAMF und um die 400.000 Verfahren sind noch nicht mal angemeldet. Insofern brauchen wir da wirklich eine massive Steigerung.
"Für andere Länder gilt das Thema legale Einwanderung natürlich"
Heuer: Haben Sie da Zahlen?
Dreyer: Wir haben die Zahlen nicht. Das Bundesamt für Migration hat allerdings schon häufiger vorgelegt, wie viel Personal sie brauchen. Es wird daran auch gearbeitet. Ich weiß, für Rheinland-Pfalz haben wir zurzeit 28 Entscheider, uns sind zugesagt 40, wir sitzen schon lange auf dieser Entscheiderzahl, wir hatten bis vor Kurzem 23. Das heißt, wir warten darauf, dass wir mehr Entscheider bekommen. Ich hoffe, dass die Zusagen auch eingehalten werden ab dem neuen Jahr.
Heuer: Ist der Königsweg, Frau Dreyer, nicht, legale Einwanderungswege für syrische Flüchtlinge zu öffnen?
Dreyer; Wir brauchen natürlich legale Einwanderungswege. Bei den syrischen Flüchtlingen ist es natürlich aufgrund der Bürgerrechtssituation außerordentlich schwierig, auch über einen legalen Weg. Da wären wahrscheinlich die Kontingente die bessere Lösung, einfach festzulegen, wie viele Kontingente wir übernehmen und diese Wege zu öffnen. Für andere Länder gilt das Thema legale Einwanderung natürlich, beispielsweise für den Westbalkan. Das war damals eine richtige Entscheidung der Großen Koalition und des Bundesrates zu sagen, dass man dem Westbalkan wirklich die Möglichkeit gibt, aus Arbeitsmigrationsgründen zu uns zu kommen. Das steht ja an auch für das neue Jahr und das ist der richtige Weg.
Heuer: Und trotzdem, Frau Dreyer, hat Rheinland-Pfalz unter Ihrer Regierung einen legalen Weg, nämlich ein Landesaufnahmeprogramm für Syrer, 2014 auslaufen lassen. Wie kann das sein?
Dreyer: Das hatte damit zu tun, dass es dann ganz, ganz viele andere Syrer gab, die dann über den Flüchtlingsweg zu uns gekommen sind und damit diese Kontingentfrage einfach ein Stück weit aufgehoben war. Es hatte auch mit der Masse der Menschen zu tun. Insofern war das auch von unserer Seite aus der richtige Weg. Der Beginn der syrischen Flüchtlinge lag darin, dass man Kontingente aufgenommen hat. Die Länder haben das auch freiwillig getan. Aufgrund der Bürgerkriegsbewegung waren es einfach viel zu viele Menschen am Ende. Man kann solche Kontingente nur bundesweit miteinander vereinbaren und nicht auf Landesebene. Das geht nicht, das überfordert jedes Bundesland.
"Der Bund muss Kontingente verhandeln"
Heuer: Sachsen fühlt sich nicht überfordert, zum Beispiel Brandenburg auch nicht. Aus Sachsen hören wir gerade, das ist eine Deutschlandradio-Information, dass dort das Landesaufnahmeprogramm verlängert wird. Wieso können das die Sachsen und Sie können es nicht?
Dreyer: Wir haben das Landesaufnahmeprogramm begrenzt auf eine bestimmte Anzahl. Das sind auch ein paar Tausend Menschen gewesen. Die leben auch bei uns. Wir finanzieren die Menschen auch. Das ist auch alles absolut in Ordnung. Aber wenn wir davon sprechen, so viele Flüchtlinge im Land zu haben, dann bin ich ganz klar an dieser Stelle, dass es eine Aufgabe des Bundes ist, darüber zu sprechen, wie man Kontingente verabredet, und nicht von einzelnen Bundesländern. Damit werden wir auch die Welle der syrischen Flüchtlinge nicht in den Griff bekommen, ganz im Gegenteil.
Heuer: Ich verstehe das aber nicht so richtig, Frau Dreyer, wenn die Antwort auf die Welle syrischer Flüchtlinge ist, dass man einen legalen Weg sperrt.
Dreyer: Ja, das kann ich gut nachvollziehen, weil es schwer nachzuvollziehen ist nach dem Motto, wer ist dafür zuständig. Aber ich sage deutlich: Aufgrund der hohen Anzahl der syrischen Flüchtlinge, denen wir auch gegenüber verpflichtet sind, muss der Bund Kontingente verhandeln und nicht die Bundesländer. Solange es keine Kontingente gibt von Bundesseite aus, werden wir natürlich unserer Verpflichtung, auch unserer humanitären Verpflichtung gerecht werden, die Menschen bei uns aufzunehmen über das Asylrecht. Das funktioniert ja auch sehr routiniert. Ich denke, in Rheinland-Pfalz machen wir das sehr, sehr gut, auch was die Integration der Menschen betrifft. Aber es ist nicht unsere Aufgabe als Land zu sagen, wir schaffen kleine Kontingente, und lösen damit eigentlich auch nicht das Problem.
Soliverlängerung: "Das halte ich für gar keine gute Lösung"
Heuer: Wir müssen noch übers Geld sprechen, Frau Dreyer. Horst Seehofer, der bayerische Ministerpräsident, votiert jetzt für die Soliverlängerung und begründet das mit der Flüchtlingsfrage. Viele in der SPD sind auch dafür. Sie persönlich auch?
Dreyer: Ich bin nicht dafür. Wir haben monatelang gestritten über die Frage, wird der Soli verlängert oder nicht. Diese Diskussion ist damals durch die Bundeskanzlerin und die CSU beendet worden. Ich finde es unverantwortlich, jetzt mit der Begründung Flüchtlinge davon zu sprechen, dass wir den Soli verlängern. Damals hat Deutschland sich in der Lage gefühlt, die Kosten, die entstehen werden, die Ausgaben, die wir machen müssen, auch in Integration und anderen Punkten, dass wir das schaffen in der Situation ohne Verlängerung des Solis, und ich finde es nicht verantwortungsvoll zu sagen, der Soli wird jetzt wegen der Flüchtlinge verlängert. Das halte ich für gar keine gute Lösung.
Heuer: Das heißt, auch Ihr Parteikollege Stephan Weil macht da gerade einen schweren Fehler, denn er ist ja dafür?
Dreyer: Stephan Weil kann seine Meinung selbstverständlich als Ministerpräsident vertreten. Ich kann nur meine Meinung vertreten und ich halte nichts davon. Wir haben uns bezogen auf den Länderfinanzausgleich geeinigt unter den Ländern, unter den Prämissen, keine Soliverlängerung, und deshalb sage ich sehr klar, ich bin dagegen, diese Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt wieder aufzumachen. Die Solidebatte ist die Debatte von gestern und wir müssen andere Wege finden, um die Herausforderung von Deutschland zu stemmen, und dazu gehört auch die Flüchtlingsfrage.
Heuer: Malu Dreyer, die sozialdemokratische Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Frau Dreyer, haben Sie Dank heute Früh, und ich wünsche Ihnen außerdem natürlich schöne Weihnachten.
Dreyer: Vielen Dank. Das wünsche ich Ihnen auch.
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