Martin Zagatta: Viele in der Jungen Union, im Wirtschaftsflügel der Union und viele Kommunalpolitiker der Christ-Union erwarten von ihrer Parteivorsitzenden, dass sie so etwas wie Obergrenzen einführt für die große Zahl der Flüchtlinge. Doch Angela Merkel kommt dem nicht nach, was zu einer Machtprobe führen könnte, oder zumindest zu Unmut-Äußerungen beim CDU-Parteitag nächsten Montag in Karlsruhe. Die Kanzlerin riskiert Ärger mit ihren Kritikern, denn der Leitantrag für diesen Parteitag sieht jetzt keine Obergrenzen vor. Wir sind jetzt verbunden mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Ingbert Liebing. Er ist auch Vorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU und CSU. Guten Tag, Herr Liebing.
Ingbert Liebing: Schönen guten Tag, Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Liebing, wie enttäuscht sind Sie denn, dass Angela Merkel, dass die Parteiführung den Kommunen, die sich überfordert fühlen, dass die denen jetzt nicht weiter entgegenkommen will?
Liebing: Zunächst müssen wir einmal feststellen, dass ja schon klare Feststellungen in dem Antragsentwurf enthalten sind, wenn es zum Beispiel heißt, dass der Schutz der Außengrenzen der EU zurzeit nicht gewährleistet ist und dass Schengen ohne Grenzkontrollen nur funktionieren kann, wenn wir wieder sichere EU-Außengrenzen haben. Diese Feststellung ist ja richtig.
Zagatta: Aber nicht neu.
Liebing: Sie ist nicht neu, aber wir diskutieren dann darüber, welche Konsequenz ergibt sich denn daraus. Die eine Konsequenz ist richtig, dass wir uns darum bemühen, die Außengrenzen der EU wieder zu sichern, wieder herzustellen. So steht es auch in dem Antragsentwurf. Aber wir haben auf unserer Bundesvertreterversammlung in Saarbrücken vor wenigen Wochen auch darüber hinaus gesagt, wir erwarten, dass solange die EU ihre Außengrenzen nicht sichern kann wir dann unsere nationalen Grenzen sichern durch Polizeikontrollen, damit wir auch feststellen, wer kommt denn eigentlich in unser Land hinein. Im Moment ist es so, dass täglich Tausende einreisen, ohne dass wir wissen, wer es ist, wo sie hingehen, wo sie bleiben, und das ist kein befriedigender Zustand, sondern das müssen wir ändern.
"Da braucht kein Zaun gebaut zu werden"
Zagatta: Was Sie da sagen - Sie sind ja auch der Sprecher nicht nur für die CDU, sondern auch für die CSU, was jetzt Kommunalpolitik angeht -, was Sie sagen, das sind ja die Forderungen der CSU. Aber das wird ja offenbar, was wir jetzt aus diesem Leitantrag für den Parteitag der CDU hören, von der CDU nicht geteilt. Was wollen Sie da unternehmen?
Liebing: Bei uns innerhalb der KPV gibt es hier überhaupt keine Differenzen zwischen CDU- und CSU-Kommunalpolitikern. Ganz im Gegenteil: Es gab eine einstimmige Beschlussfassung auf unserer Bundesvertreterversammlung in Saarbrücken und diese Ergebnisse lasse ich jetzt auch in die Beratungen der Partei mit einfließen. Und ich stelle fest, dass dieser Punkt, Sicherung der nationalen Grenzen, ja auch innerhalb der CDU breit diskutiert wird. Das ist keine Frage von CDU und CSU. Und da mir ja auch entgegengehalten wird, wieso, das ist doch schon in dem Antrag mit enthalten, das wollen wir doch alle miteinander, dass wir sichere Grenzen haben, entweder an der EU-Außengrenze, oder sonst notfalls eben auch innerhalb des Schengen-Raums - selbst die Kanzlerin hat das ja vor Kurzem in einer Bundestagsrede nicht ausgeschlossen, dass wir dazu kommen müssen, wenn es nicht gelingt, die EU-Außengrenzen zu sichern. Insofern haben wir hier ein gemeinsames Ziel. Aber es ist mein Anliegen, dass wir dies auch in der Beschlussfassung sehr deutlich zum Ausdruck bringen.
Zagatta: Dafür reicht aber der Leitantrag, was man jetzt hört, wahrscheinlich nicht aus. Sie werden auf dem Parteitag aktiv werden müssen?
Liebing: Wir haben ja vorher auch noch eine Bundesvorstandssitzung. Gestern ist der Entwurf vorgestellt worden, der in den Bundesvorstand geht. Dort werden wir ja auch noch Gelegenheit haben zur Diskussion. Ich sehe auch Diskussionsbedarf. Das ist ja auch völlig normal, dass wir vor einem Parteitag über unsere Positionierung auch diskutieren. Uns ist oftmals in der Vergangenheit vorgeworfen worden, die CDU würde viel zu wenig diskutieren. Also diskutieren wir darüber, wie wir am besten unsere gemeinsame Position auch beschreiben können.
Zagatta: Herr Liebing, wie würde das aussehen, nationale Grenzen zu schützen? Im Moment kommen da ja Hunderttausende aus Ländern wie Syrien vor allem, wo man sagt, einen Anspruch, wenn die Menschen mal da sind, auf Asyl hätten sie, es sei denn, man beruft sich da auf dieses Abkommen, dass, wenn sie durch ein sicheres Land schon mal einreisen, man sie dann nicht über die Grenze lassen muss. Sind Sie dann dafür, die Leute, die zum Beispiel an der deutsch-österreichischen Grenze ankommen, gar nicht mehr rein zu lassen?
Liebing: Das ist gar nicht das Thema, sondern wenn ich von Sicherung der Grenzen spreche, dann greife ich damit den jetzigen Zustand auf und an, der so nicht weitergehen kann, dass wir Menschen unkontrolliert in unser Land hinein lassen, ohne dass wir wissen, wer einreist und wer wo bleibt. Deswegen geht es darum, dass wir kontrollierte Einreisen haben, dass wir an der Grenze feststellen, wer kommt hier eigentlich an, und dafür braucht man Polizeikontrollen, dafür braucht man notfalls vielleicht auch elektronische Überwachung. Da braucht kein Zaun gebaut zu werden, keine Mauer gezogen werden, und das ist auch noch nicht die Zurückweisung an der Grenze. Das ist ein anderer Sachverhalt. Erst mal geht es um die Sicherung.
"Sachdiskussionen nicht personalisieren"
Zagatta: Das würde aber die Zahl der Flüchtlinge wahrscheinlich kaum einschränken. Da geht es nur um die Behandlung?
Liebing: Na ja. Ich stelle zum Beispiel fest, dass sich in Schweden, die etwas Ähnliches gemacht haben, der Flüchtlingsstrom dann auch etwas reduziert hat. Das löst auch noch nicht das Grundproblem, völlig klar. Aber es löst erst mal das Problem, dass wir eine unkontrollierte Einreise haben, was aus Sicherheitsgründen nicht wünschenswert ist.
Zagatta: Was ist denn aus dieser Forderung nach Obergrenzen geworden, oder was wird daraus? Die CSU besteht ja eigentlich darauf, wenn ich das richtig verstanden habe. Sie sagen, es gibt bei Ihnen auf Ebene der Kommunalpolitiker keinen Unterschied zwischen CSU und Union. Machen Sie sich als Kommunalpolitische Vereinigung diese Forderung zu eigen und werden Sie die weiter vertreten?
Liebing: Sie haben ja in dem Beitrag zur Anmoderation auch gesagt, das ist so ein Symbolthema geworden, zu einem Symbolbegriff. Ich halte aber nichts von Symboldiskussionen. Die Diskussion über Obergrenzen ist eine zu theoretische Diskussion. Wir brauchen Maßnahmen, die zu einer faktischen Drosselung des Zustroms führen. Ich glaube auch nicht, dass es möglich ist, so etwas in einer einzigen Zahl dann auszudrücken, losgelöst davon, dass wir auf der europäischen Ebene ja über Kontingente diskutieren, die ja auch etwas mit Größenordnungen zu tun haben. Aber wichtig ist, dass wir ein Bündel von Maßnahmen einleiten oder auch schon eingeleitet haben, die jetzt aber umgesetzt werden müssen, wie zum Beispiel die Hotspots in Griechenland und Italien, die eigentlich bis Weihnachten eingerichtet sein sollten, aber immer noch nicht eingerichtet sind, aus denen heraus dann die Zurückweisung derjenigen erfolgt, die aus sicheren Verhältnissen kommen.
Zagatta: Aber das sagt ja die CSU. Da gibt es Tausende Pläne, Hotspots, Sicherung der Außengrenzen, eine Verteilung von Flüchtlingen in Europa, und in der Praxis funktioniert das im Moment alles überhaupt nicht. Es ist auch nicht abzusehen, wann das funktioniert. Wie groß, glauben Sie, wird da der Unmut auf dem CDU-Parteitag sein über die Vorsitzende, über Angela Merkel und ihre Politik?
Liebing: Ich bitte jetzt wirklich mal, die Sachdiskussionen nicht zu personalisieren. Das ist ein Grundübel dieser Diskussion, dass jegliche Nuance von sachlichen Diskussionen sofort zu einer Personalfrage für oder gegen die Kanzlerin gemacht wird. Die Union steht geschlossen hinter Angela Merkel und das gilt für die Kommunalpolitiker in der Union ganz genauso, in CDU wie in CSU. Da hat es auch bei uns in der KPV überhaupt kein Vertun gegeben. Wir stehen da nahtlos geschlossen hinter der Arbeit der Kanzlerin, die sich ja auch dafür einsetzt, dass das, was aus dem Lot geraten ist, wieder geordnet wird, gesteuert wird und dass wir zu einer deutlichen Reduzierung der Flüchtlingszahlen kommen, denn das ist uns allen miteinander bewusst und das ist ja auch eine Botschaft dieses Antragsentwurfes, wie er jetzt vorliegt, dass ein Zuzug in der jetzigen Größenordnung nicht weitergeht.
"Ein Zuzug in dieser Größenordnung ist nicht auf Dauer verträglich"
Zagatta: Das umschreiben Sie jetzt damit. - Was ist denn mit den Leuten, die sagen, mit dieser Politik machen wir die AfD ganz groß? Die neuesten Umfragen belegen das ja. Glauben Sie, dass die Kritik, die aus den Kommunen kommt, wirklich so verhalten ausfällt?
Liebing: Die AfD ist eine Partei von Rattenfängern, die sich jetzt ein Thema zunutze machen, um Ängste in der Bevölkerung zu schüren. Unser Ziel ist genau das Gegenteil. Wir wollen Ängste und Sorgen der Menschen aufgreifen, die da sind.
Zagatta: Aber die Ängste sind ja offensichtlich da.
Liebing: Dass die da sind, das ist überhaupt keine Frage. Da gibt es andere Parteien - ich nehme mal den stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden Ralf Stegner, der von eingebildeten Ängsten der Menschen gesprochen hat. Das ist natürlich aberwitzig. Die Ängste und Sorgen der Menschen sind da und die müssen wir ernst nehmen. Aber wir dürfen sie nicht zusätzlich schüren und instrumentalisieren, sondern wir wollen den Menschen wieder Sicherheit geben, dass wir das, was aus dem Lot geraten ist, wieder ordnen, und dazu gehört auch, dass wir die Zahl der Flüchtlinge reduzieren. Denn ein Zuzug in dieser Größenordnung ist nicht auf Dauer verträglich.
Zagatta: Heute Mittag im Deutschlandfunk Ingbert Liebing, der Vorsitzende der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU/CSU. Herr Liebing, danke schön für das Gespräch.
Liebing: Sehr gerne. Vielen Dank für Ihr Interesse, Herr Zagatta.
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