Ein EU-Sondergipfel aus Anlass der Flüchtlingstragödien im Mittelmeer: Damit hat der polnische Ratspräsident Donald Tusk auch ein Signal an seine Heimat geschickt. Polen soll sich nicht wegducken, wenn es um die Probleme im Süden der Europäischen Union geht.
So kommt der Schritt des ranghöchsten Polen in Europa in Warschau an - bei den Experten und bei der Regierung. Diese wird noch immer von Tusks rechtsliberaler Partei "Bürgerplattform" geführt. Außenminister Grzegorz Schetyna gab allerdings eine sehr verhaltene Stellungnahme ab:
"Die Regierung wird auf dem Gipfel einen eigenen Vorschlag vorstellen. Das Sterben im Mittelmeer ist ein schwerwiegendes Problem für die EU, auf das die Gemeinschaft reagieren muss."
Ob Polen bereit sei, mehr Flüchtlinge aus Afrika aufzunehmen, wollte der Außenminister nicht sagen. Dazu sei es noch zu früh, so Schetyna. Ministerpräsidentin Ewa Kopacz äußerte sich bisher gar nicht zu dieser Debatte. Experten meinen: Flüchtlingskontingente für einzelne Staaten werde Polen wohl nicht grundsätzlich ablehnen. Warschau dürfte aber darauf pochen, dass die Größe der Kontingente nicht nach der Einwohnerzahl des EU-Landes berechnet wird. Eine Alternative wäre, so meinen manche, die nationale Wirtschaftskraft heranzuziehen. Damit würden auf Polen pro Einwohner deutlich weniger Flüchtlinge entfallen.
"Dieses Problem betrifft uns ja nicht direkt"
Die Regierung bleibt zurückhaltend, weil die tragischen Berichte vom Mittelmeer in Polen viel weniger wahrgenommen werden als etwa in Deutschland. Eliza Olczyk, Journalistin der angesehenen, konservativen Zeitung "Rzeczpospolita", sagte in einer Diskussionsrunde:
"Dieses Problem betrifft uns ja nicht direkt. Diese Immigranten kommen ja kaum bis nach Polen - und wenn doch, dann erst nach Monaten. Donald Tusk hat sicher recht, dass er sich so geäußert hat. Aber die EU ist geografisch eben sehr gespalten. Wenn wir über die Ukraine und über Russland reden, dann schauen die südlichen Ländern sich das ruhig aus großer Entfernung an. Genau so sollten wir es jetzt umgekehrt auch machen."
Eine extreme Ansicht. Aber auch andere Kommentatoren weisen darauf hin, dass Polen doch Flüchtlinge aus Tschetschenien und aus der Ukraine aufnehme. Aber gerade die Ukrainer belasten das Land kaum, Polen kann sie schnell in die Gesellschaft integrieren.
Andere fordern Solidarität
Immer lauter werden in Polen aber auch andere Stimmen, die genau das Gegenteil fordern: Solidarität mit den unmittelbar betroffenen Ländern. Unter ihnen ist Sebastian Polciennik vom Polnischen Institut für internationale Angelegenheiten.
"Wir sollten den Italienern und Spaniern ein ganz bestimmtes Signal senden: Dass wir sie nicht alleine lassen mit ihren Problemen. Sonst werden wir genauso einsam dastehen mit unserem Problem, nämlich mit den Ländern östlich der Europäischen Union. Das ist bisher kein Thema, dass in den Medien breit diskutiert wurde. Aber bei den Entscheidungsträgern wächst die Überzeugung, dass wir uns mit diesen Herausforderungen für die EU beschäftigen müssen."
Polciennik weist darauf hin, dass Polen einst viel Erfahrung in Sachen Nordafrika hatte. Zu sozialistischen Zeiten waren polnische Firmen dort aktiv, vor allem in Libyen. Umgekehrt kamen junge Libyer zum Studieren nach Polen. Doch das ist lange her, und die wenigen bis vor Kurzem erhaltenen Wirtschaftskontakte gingen nach dem Sturz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi verloren.
Heute beim Gipfel muss die polnische Regierung nun Farbe bekennen - welche Seite der Diskussion ihrer Ansicht nach die besseren Argumente hat.