Sandra Schulz: Einschätzungen waren das aus Rom von Jan-Christoph Kitzler, und mitgehört hat Barbara Lochbihler, für die Grünen im Auswärtigen Ausschuss im Europäischen Parlament. Guten Tag!
Barbara Lochbihler: Guten Tag!
Schulz: Frau Lochbihler, wie soll Europa reagieren auf diese neue Skrupellosigkeit der Schlepperbanden?
Lochbihler: Also Europa hätte schon reagieren können letzten Oktober. Da haben sie ausgewertet, wie sie auf die Lampedusakatastrophe reagieren wollen, nämlich mit eigentlich mehr Hilfe für gestrandete Flüchtlinge oder die eben auf dem Meer sind - aber die Mitgliedsstaaten haben sich dafür entschieden, die von Ihrem Korrespondenten ja gerade gut beschriebene Mare-Nostrum-Aktion nicht weiterzuführen. Kein Geld war da, kein politischer Wille. Und jetzt ist die Situation, dass eigentlich die politische Führung wissen muss und musste, dass es mehr Tote im Mittelmeer gibt, und da wird zugeschaut. Und diese Task Force, die man 2013 im Herbst eingerichtet hat, hat diesem Herbst Bestand aufgenommen, was man machen soll, und sie setzt nach wie vor nur auf Abschottung. Und das kann eigentlich nicht Ziel der Politik oder Sinn der Politik sein.
Schulz: Ja. Sie haben das ja auch scharf kritisiert, dass Mare Nostrum ausgelaufen ist. Glauben Sie, das ist jetzt die Chance, dass das Programm wieder aufgenommen wird, vielleicht auch mit anderen finanziellen Mitteln?
Lochbihler: Dazu brauchen Sie den Willen der Mitgliedsstaaten, und die Mitgliedsstaaten sind nicht bereit, etwas anderes zu tun, nämlich die anderen Mittel, zum Beispiel legale Wege in die EU zu eröffnen. Da würde man ja das Handwerk der Schlepper sehr gut legen können. Das finden Sie schon in diesem Bericht dieser Task Force Mittelmeer von diesem Oktober nicht mehr.
Schulz: Aber legale Mittel zu schaffen, das hieße ja, die Grenzen nach Europa zu öffnen. Wie viele Milliarden soll das kosten für die Versorgung der Menschen und wo sollen die herkommen?
Lochbihler: Ja, also zuerst mal hieße das, den Druck an den Grenzen auch wegzunehmen. Man könnte zum Beispiel mehr von diesen Wiederansiedlungsprogrammen, diese Resettlement-Programme nutzen. Dazu gibt es auch Zuschüsse von der EU, die sind nicht so hoch, aber die sind möglich. Das war im Oktober 2013 noch angedacht. Jetzt sagt man, es soll nur noch auf freiwilliger Basis passieren. Und diese legalen Möglichkeiten, dass man zum Beispiel auf europäischer Seite des Mittelmeers den Asylantrag prüfen lassen kann, die würden auch nicht so viel kosten. Wenn Sie eine normale Fähre nehmen, dann kostet die zwischen 50 und 100 Euro.
"Daten und die Erkenntnisse von Frontex besser auswerten"
Schulz: Aber gibt es Schätzungen darüber, wie viele Menschen da kommen würden?
Lochbihler: Solche Schätzungen gibt es nicht, und die Zahl der Menschen, die nach Europa kommen würden, da muss man ja zugrunde legen: Wie ist die Situation in den Nachbarstaaten? Und wir müssen natürlich doch realistisch sehen, dass die Kriege in Syrien, im Irak, dass die bleiben, dass eine starke autoritäre Regierung in Eritrea die Menschen aus dem Land treibt. Das wird auch nicht möglich sein. Und der andere Vorschlag, der jetzt auch von unserem Innenminister de Maizière immer in die Debatte, auch in die europäische Debatte gebracht wird, man muss schon in Nordafrika Asylzentren, sogenannte Willkommenszentren aufbauen und die Asylanträge dort prüfen, das hält einer realistischen Betrachtung auch nicht stand. In Libyen gibt es kaum einen Staat, der irgendwie etwas durchsetzen kann. In Ägypten kann man auch nicht von rechtsstaatlichen Verhältnissen sprechen. Jetzt schauen wir nach Marokko und Tunesien, eigentlich die nur zwei verbliebenen Staaten, wo man das machen kann, und dann schaue ich nur auf Marokko, da war ich im Dezember und habe mich da erkundigt: Auch hier, muss man sagen, gibt es erst Ansätze von einem Asylrecht für Flüchtlinge dort, und von rechtsstaatlichen Verhältnissen, die dann ein Flüchtling haben muss, dass es nach der Genfer Konvention auch so ist, dass er, wenn er abgelehnt wird, zum Beispiel Widerspruch einlegen kann, da kann man auch nicht davon sprechen. Also ich denke, wir müssen -
Schulz: Ja, ich habe jetzt verstanden, was Sie alles nicht gut finden, aber was ich noch nicht verstanden habe, ist, wie Sie den Schlepperbanden das Handwerk realistischerweise legen wollen.
Lochbihler: Also grundsätzlich muss man legale Zugänge schaffen, denn nur wenn es die nicht gibt, werden die Schmuggler immer noch stärker, weil die Menschen keine andere Möglichkeit haben. Das Zweite ist: Man muss sicher auch gucken, inwieweit die einzelnen Mitgliedsstaaten mit Europol zusammenarbeiten können, dass sie zum Beispiel genaue Überwachung und Daten zu diesen Ablegestellen in Drittstaaten besser koordinieren können. Und sicher muss man auch die Daten und die Erkenntnisse, die Frontex hat, diese europäische Grenzschutzagentur, besser auswerten. Aber die Bekämpfung von organisierter Kriminalität wie diesem Schlepperwesen ist natürlich schwierig. Aber man kann durchaus die Maßnahmen noch intensivieren.
"Die verantwortlichen Regierungen in die Pflicht nehmen"
Schulz: Aber die Forderung, die Sie erheben nach legaler Einreise, die ist ja nicht neu. Es ist eben der Stand und wird mutmaßlich auch der Stand bleiben, dass sich das nicht durchsetzen lässt bei den Mehrheitsverhältnissen in Europa. Müssen Sie nicht einen Alternativvorschlag machen, anstatt immer wieder zu fordern, was nicht durchsetzbar ist?
Lochbihler: Nein, das muss ich nicht, wenn die Politik konsequent sich weigert, die richtigen Vorschläge zu überprüfen. Ich gehe noch mal auf diese Task Force Mittelmeer zurück der EU, da stand eben im Oktober 2013 drin, wir sollen prüfen und Politik entwickeln, dass es legale Einreisemöglichkeiten gibt. Und das hat man nicht zu Genüge getan. Es gibt einen Arbeitskreis, der sich mit der Ausstellung von humanitären Visa beschäftigt. Aber jetzt sehe ich eben, dass diese Task Force sich nicht damit beschäftigt. Das heißt aber doch nicht, dass sich dann eine richtige Forderung, die auch ursächlich diese Misere bekämpfen kann, vom Tisch fallen lasse, sondern ich muss auch die verantwortlichen Regierungen wie meine, die deutsche, in die Pflicht nehmen, sich nicht davor wegzuducken oder zu verdrängen, dass man hier eine Lösung finden muss, weil in der Abschottung alleine gibt es eben keine Lösung dafür.
Schulz: Ja, aber Sie kennen und verfolgen ja sicherlich auch die Diskussionen hierzulande darüber, dass die Kommunen melden, sie seien am Rande ihrer Kapazitäten oder möglicherweise auch schon darüber hinweggegangen. Wie sollen die das schultern?
Lochbihler: Ja, also das ist jetzt - ich habe jetzt über die EU-Außengrenze gesprochen. Wie die Kommunen das schultern können, da kann man zum Beispiel mit Wohnungsbauprojekten die entlasten. Es ist sicher sehr wichtig auch, dass man die gesetzlichen Rahmen besser macht. Also wir haben ja jetzt schon erreicht durch den Druck auch, dass so viele Flüchtlinge da sind, dass Flüchtlinge, auch wenn sie im Asylverfahren sind, früher arbeiten können in einzelnen Bundesländern. Das ist natürlich schon viel hilfreicher als das Arbeitsverbot, das es früher gab. Aber eigentlich müssen wir auch dieses Asylbewerberleistungsgesetz anschauen, das eigentlich sehr viele unsinnige Forderungen hat, die auch den Kommunen erschweren, damit umzugehen. Und ich denke, es wäre sicher wichtig, dass Flüchtlinge auch in die gesetzliche Krankenversicherung kommen, das man bis jetzt noch nicht so geregelt hat.
Schulz: Die Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler heute hier in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank!
Lochbihler: Danke Ihnen!
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