Gedränge auf dem Busbahnhof von Esenyurt. Männer mit unförmigen Kleidersäcken auf den Schultern drängeln sich vor den geöffneten Gepäckladeräumen von zwei modernen Reisebussen. Frauen streben mit Koffern und Kindern zu den Eingangstüren. Arabisch ist zu hören. Die lokale Presse ist vor Ort. Denn wieder einmal, so heisst es, sei es dem Bezirksbürgermeister von Esenyurt gelungen, hunderte syrische Flüchtlinge zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen.
Per Bus geht es 1200 Kilometer zurück nach Syrien. Der Bezirk bezahlt die Rückreise. Bürgermeister Kemal Deniz Bozkurt ist persönlich zum Abschied gekommen:
Bis Ende Oktober sollen syrische Flüchtlinge Istanbul verlassen
"Wir wollen damit unseren syrischen Gästen eine sichere und kostenlose Heimreise anbieten. Sie können sich aussuchen, in welche Regionen sie zurückgebracht werden wollen. Unsere Landsleute haben lange Zeit Gastfreundschaft gezeigt. Es hat sich aber erwiesen, dass es zwischen uns und den Syrern zahlreiche kulturelle Unterschiede gibt."
Der Bürgermeister gehört der oppositionellen sozialdemokratischen CHP an. Seine Rückführaktion findet aber die Unterstützung der Regierung. Denn auch Ankara erhöht den Druck auf die Flüchtlinge. Bis Ende Oktober sollen alle Syrer in die Städte in der Türkei zurückkehren, in denen sie registriert worden sind. Da Flüchtlinge, wenn überhaupt, nur in den Großstädten Istanbul oder Ankara Arbeit und Unterstützung finden können, hat diese Anordnung für große Unruhe unter den Syrern gesorgt.
Nach Angaben von Innenminister Süleyman Soylu sind über 350.000 Syrer bereits freiwillig nach Hause zurückgekehrt. Emma Sinclair-Webb, Türkei-Beauftragte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bezweifelt nach Gesprächen mit Betroffenen allerdings, dass deren Rückkehr tatsächlich freiwillig war.
Rückreisen womöglich nicht freiwillig
"Wir fürchten, dass diese sogenannten freiwilligen Rückreisen nicht freiwillig sind, sondern dass die Menschen von der Polizei genötigt wurden ihrer Ausreise zuzustimmen. Das wäre klar gegen das Gesetz. Und es wäre nichts anderes als die Abschiebung einer Person in ein Kriegsgebiet. Denn die meisten landen in der Provinz Idlib."
Ob die Syrer von Esenyurt an diesem Tag tatsächlich freiwillig in den Bus steigen, ist nicht sicher herauszufinden. Nur einer gibt zu, dass ihn die zunehmend feindliche Stimmung in der Bevölkerung zum Einlenken gebracht habe:
"Ich habe in einem Laden gearbeitet. Und immer öfter kam es vor, dass mich Kunden gefragt haben, woher ich komme. Und wenn ich sagte: Aus Syrien, dann sind sie ohne etwas zu kaufen wieder gegangen."
Angesichts des wirtschaftlichen Abschwungs und Verlusten für seine Partei bei den Kommunalwahlen im Frühjahr scheint sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Anti-Flüchtlingsstimmung zu nutze machen zu wollen. Zunächst drohte er, die "Schleusen" für Flüchtlinge nach Europa wieder zu öffnen. In der vergangenen Woche, auf der UN-Vollversammlung in New York warb Erdogan dann erneut für die Einrichtung einer Pufferzone auf der syrischer Seite der gemeinsam Grenze – auch zur Lösung des Flüchtlingsproblems:
"Sollen sich die Europäer doch um sie kümmern"
"Wir schlagen die Schaffung eines 30 Kilometer breiten und 480 Kilometer langen "Friedenskorridors" vor, wo unter internationaler Beteiligung zwei Millionen syrische Flüchtlinge wieder angesiedelt werden sollen."
Das fände vermutlich auch den Beifall der meisten türkischen Einwohner von Esenyurt. In der Hauptgeschäftsstraße, wo es längst auch syrische Schneidereien und Falafel-Imbisse gibt, heißt es unter den türkischen Nachbarn:
"Die Frauen und Kinder können gerne hier bleiben. Aber die jungen Männer sollten nach Hause gehen und dort mitkämpfen." "Wie Tayyip Erdogan gesagt hat: Sie sollten gehen. Sollen sich die Europäer doch um sie kümmern."