Marina Schweizer: Werner Faymann ist von seinem Amt als österreichischer Bundeskanzler und als Parteivorsitzender der SPÖ zurückgetreten. Was wird das bewirken in dieser diffusen politischen Gemengelage in Österreich? Das habe ich vor der Sendung mit Reinhard C. Heinisch besprochen. Er ist Politologe an der Uni Salzburg. Ist das so einfach? Ist Faymann über die eigene Kehrtwende gestolpert?
Reinhard C. Heinisch: Nein, das ist natürlich eine grobe Verkürzung. Die Sozialdemokratische Partei in Österreich ist tief gespalten in zwei Flügeln und die beiden Fragen, an denen sich das entzündet hat, davon ist eine die Flüchtlingspolitik, aber die andere ist die Umgehensweise mit der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei. Und es sind beide Fragen, die ungefähr gleich virulent sind, die gleich problematisch sind. Das heißt, da gibt es einen Flügel, der vertritt die traditionelle Position der SPÖ, mit den Freiheitlichen wird nicht kooperiert, und da gibt es einen anderen Flügel, der meint, da gibt es eigentlich viel Gemeinsames, vor allem im sozialen Bereich, da müsste man pragmatisch sich aufstellen, da müsste man neu denken, und dieses Diktat oder dieses Dogma, das noch in die 1990er-Jahre zurückgeht, mit den Freiheitlichen nicht zu kooperieren, ist immer mehr infrage gestellt worden. Der vorhergehende Kanzler Faymann konnte beide Fragen eigentlich nicht lösen und so stehen sich diese beiden Flügel gegenüber und der Rücktritt ist eine Konsequenz dessen.
Schweizer: Haben denn jetzt die gewonnen, die den SPÖ-Kurs als Annäherung zur FPÖ einschlagen wollten, oder die, die noch stärker die ursprünglichen SPÖ-Werte betont sehen wollten? Was denken Sie?
Heinisch: Das lässt sich heute noch nicht sagen. Das Problem ist nämlich das, dass es nicht nur zwei Parteiflügel gibt, sondern dass die Untereinheiten der Partei, nehmen Sie die Gewerkschaften, sich selbst gespalten sehen. Das heißt, der Gewerkschaftspräsident, das österreichische Äquivalent des DGB-Präsidenten, ist ein Anhänger der Kooperation mit der FPÖ. Aber innerhalb dieses Gewerkschaftsbundes gibt es die Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter und deren Chef ist gegen das. Das heißt, wir haben das Problem, dass sie nicht einfach zwei Flügel haben, die miteinander bestimmte Dinge abtauschen können, sondern dass diese Spaltung wesentlich tiefer geht.
Geographisch gesehen heißt das, dass zum Beispiel die mächtigste Organisation - das ist die Partei in Wien und um den Wiener Bürgermeister - eher eine kritische Position gegenüber der FPÖ vertritt, aber in den Bundesländern gibt es sehr oft bereits Kooperationen. Da wird in einem Bundesland ganz offen koaliert mit den Freiheitlichen, aber auch auf Gemeindeebene und lokaler Ebene gibt es sehr oft Koalitionen. Das heißt, es gibt diese Wirklichkeiten und das ist etwas, wo die Partei nach einer Einigung ringt, und das zeichnet sich auch heute nicht ab.
"Faymann war in der Flüchtlingspolitik konturlos"
Schweizer: Also es ist nach wie vor nicht klar, auf welchen Wähler man da jetzt zugeht, den linken oder den rechten?
Heinisch: Genau. Die Kritik an Kanzler Faymann ist ja nicht nur, dass er die beiden Flügel nicht vereinigen kann, sondern dass er auch in der Flüchtlingspolitik eine Zickzacklinie oder mehrere Kehrtwendungen, das heißt, dass er keine klare Position vertreten hat, indem er zuerst die Idee der Willkommenskultur der deutschen Kanzlerin quasi umarmt hat und dann eigentlich von dem abgerückt ist beziehungsweise verschiedene Positionen vertreten hat. Und diese Unterschiedlichkeit, diese Konturlosigkeit ist ja auch einer der Kritikpunkte. Es geht nicht nur in die eine oder andere Richtung, sondern es geht auch um die Darstellung dieser Richtung, und wahrscheinlich ist in Österreich momentan eher eine, sagen wir mal, kritische oder eine vorsichtige Linie bei der Flüchtlingspolitik die mehrheitsfähigere. Wenn wir jetzt auch von den vorangehenden Präsidentenwahlen ausgehen, wo hier die Mehrheit zu sein scheint, dann dürfte das wahrscheinlich mehrheitsfähiger sein, und es ist wahrscheinlich eine Minderheitsposition in Österreich, diese Willkommenskultur weiterzufahren. Aber in der SPÖ ist das dennoch ein sehr wichtiges Element und das ist auch ein Element der Traditionalisten. Die sind in Wien sehr stark und diese Wiener Partei ist aber innerhalb der SPÖ ein sehr wichtiger Kern der Partei.
"Bei Neuwahlen würde es einen FPÖ-Kanzler geben"
Schweizer: Nun sollen ja Neuwahlen erst mal vermieden werden, weil man wohl auch vermeiden will, wie schätzen das ein, weil man sonst weiß, dass andere zum Zuge kommen, und wie problematisch ist das aus Ihrer Sicht?
Heinisch: Richtig. Wir würden wahrscheinlich sofort Neuwahlen haben und der Koalitionspartner der Sozialdemokraten, die Bürgerlichen, die ÖVP würde wahrscheinlich sofort Neuwahlen haben wollen und würde das auch jetzt ausnutzen, wenn sie nicht ebenso wie die SPÖ bei etwa 20, 22 Prozent stünde in den Umfragen, während die SPÖ bei über 30 Prozent liegt. Das heißt, seit beinahe einem Jahr liegt die freiheitliche Partei einsam an der Spitze bei über 30 Prozent und man müsste davon ausgehen, wenn wir jetzt Neuwahlen hätten, dass es einen freiheitlichen Bundeskanzler gibt und eine dominante freiheitliche Partei, die sich dann einen Junior-Koalitionspartner suchen kann, und vielleicht in einigen Wochen auch einen freiheitlichen Bundespräsidenten. Das wäre natürlich eine erdrutschartige Veränderung in Österreich, die sich sicher auch auf die europäische Politik auswirken könnte, wenn dann eine euroskeptische Partei in einer so mächtigen Position in einem doch wichtigen Land der Europäischen Union, vor allem in diesem Kernland und einem Verbündeten Deutschlands hier eine ganz andere Politik fährt.
Schweizer: Hier bei uns im Deutschlandfunk der österreichische Politikwissenschaftler Reinhard C. Heinisch zur Frage nach den Signalen und Auswirkungen des Kanzlerrücktritts in Österreich.
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