Ein älterer Herr trägt zwei Einkaufstüten bis vor seine Wohnungstür. Er zeigt auf das Nachbargebäude.
"Das war einmal ein Frauenkloster. Jetzt leben Immigranten darin."
Es sieht so leer aus:
"Nein, nein, es ist voller Menschen, der Eingang ist dort um die Ecke. Aber die Menschen kommen nur selten heraus und oft steht auch die Polizei davor. Es sind mindestens 50 Leute da drin. Und dort drüben im Kloster zum heiligen Kreuz sind mindestens 100 Menschen."
Das stand alles leer oder?
"Das stimmt, die Kirche wollte das eigentlich verkaufen. Weil es leer war, haben die Obdachlosen die Chance genutzt und sind eines nachts einfach da reingezogen."
Flüchtlinge sind in verlassene Kirche gezogen
Die Dutzenden von Zellen, in denen einst die Töchter des Heiligen Joseph gebetet und gefastet haben, teilen sich nun Familien aus Palermo, Eritrea und Somalia, ohne um Erlaubnis gefragt zu haben. Sie berufen sich auf einen Vorschlag von Papst Franziskus, der im vergangenen Jahr einige der vielen leerstehenden Klöster in Italien für die Immigranten öffnen wollte. Solange sie sich ruhig verhalten und möglichst wenig auf der Straße sehen lassen, drückt auch der örtliche Bischof von Palermo ein Auge zu. Denn in Sizilien herrscht überall Notstand. Da kann man die Gäste nicht einfach auf die Straße setzen, auch wenn sie ungebeten sind. Und schon gar nicht, wenn immer wieder neue Hiobsbotschaften eintreffen.
"Das Boot ist umgeschlagen und gekentert, der Kapitän des bereits eingetroffenen Handelsschiffes hat gerettet, wen er konnte. Und wir haben dann die Gegend abgesucht und einige Leichname bergen können."
Zuerst war Kapitän Stefano Frumento davon ausgegangen, dass am vergangenen Montag möglicherweise wieder einmal bis zu 200 Menschen im Seegebiet zwischen Afrika und der Insel Lampedusa ertrunken wären. Inzwischen spricht man nur noch von dutzenden von Toten. Schlimm genug. Frumento brachte die Geretteten auf seiner Fregatte Grecale gestern Abend nach Catania auf Sizilien. Ihm verdanken gut 230 Menschen ihr Leben, aber ihre Zukunft ist jetzt ungewiss.
Erstaufnahmelager sind restlos überfüllt
Seit Jahresbeginn sind etwa 25000 Menschen mit Booten vor allem über Libyen Richtung Italien aufgebrochen. Die meisten hat die italienische Marine direkt nach Sizilien gebracht und auf vier kleine Hafenstädte verteilt: Augusta im Südwesten, Pozzallo und Porto Empedocle im Süden und Trapani an der Westküste. Die dortigen Erstaufnahmelager sind seither restlos überfüllt und können mit dem Ansturm längst nicht mehr fertig werden. Nicht selten kommen tausend Menschen auf einmal an Land. Doch die meisten wollen gar nicht in Italien bleiben und reisen auf eigene Faust weiter zu Verwandten und Freunden in andere EU-Länder. Das Chaos in den Aufnahmelagern macht es ihnen leicht. Zum Glück, finden viele Sizilianer: In Pozzallo würden die Touristen im Sommer sonst gänzlich ausbleiben, fürchtet zum Beispiel Francesco Greco von der Gemeindeverwaltung in Pozzallo.
"Die Leute rufen an und fragen: Was ist denn da los bei euch? Wir haben gehört, es kommen tausende von Leuten an, warum schickt ihr die nicht weg? Manche sagen jetzt schon ihre Sommerferien bei uns ab und raten uns, dass wir die Immigranten am besten wieder ins Wasser zurücktreiben sollen."
Pläne europäische Immigrationspolitik ändern
Die neuen dramatischen Ereignisse geben auch den Populisten in Italien Auftrieb, die drastische und menschenverachtende Lösungen fordern wie etwa Kanonen gegen Flüchtlingsboote oder Abschiebung von politisch Verfolgten. Um ihnen keine Steilvorlage für den Europawahlkampf zu liefern, hatte sich die italienische Regierung beim Thema Immigration bisher eher bedeckt gehalten. Doch nun hat sie sich gezwungenermaßen an die Spitze der EU-Kritiker gestellt und Brüssel vorgeworfen, Italien im Stich gelassen zu haben.
Ab Juli wird Italien die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Dann will das Land, eine Änderung der europäischen Immigrationspolitik in Angriff nehmen, die die Probleme zumindest in Süditalien offenbar nicht in den Griff bekommt.