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Flüchtlingspolitik nach den Paris-Attentaten
"Es ist Besonnenheit angesagt"

Der bayerische Integrationsbeauftragte Martin Neumeyer (CSU) hat nach den Anschlägen von Paris zu Besonnenheit aufgerufen. Ein Pauschalverdacht gegen Flüchtlinge sei nicht angebracht, sagte er im DLF. Man müsse jetzt klar zwischen Terror und Flüchtlingspolitik trennen.

Martin Neumeyer im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Der CSU-Politiker und bayerische Integrationsbeauftragte Martin Neumeyer.
    Der CSU-Politiker und bayerische Integrationsbeauftragte Martin Neumeyer. (picture alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Man könne die Attentate zwar nicht ganz aus der Debatte heraushalten, es sei aber die Aufgabe der Politik damit umzugehen und Lösungen zu finden, sagte Martin Neumeyer (CSU) im DLF. Integration von Flüchtlingen bedeute nicht nur Sprache, sondern auch Bildung und Teilhabe an der Gesellschaft. Nur so "können wir die Menschen von unseren Werten überzeugen."
    Weiter forderte der bayerische Integrationsbeauftragte eine Diskussion über eine realistische Obergrenze bei der Flüchtlingsaufnahme in Deutschland und eine einheitliche europäische Flüchtlingspolitik. Dazu gehören seiner Meinung nach auch eine bessere Sicherung der "Schengen"-Außengrenzen sowie ein verstärktes Engagement der EU-Staaten in den Krisenregionen, aus denen Menschen nach Europa flüchteten.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Allahu akbar, Allah ist groß. Das sollen die Attentäter in der Pariser Konzerthalle Bataclan skandiert haben. In der Nacht auf Samstag haben sie etwa 90 Menschen getötet. Bei den islamistischen Anschlägen in Paris verloren insgesamt 132* Menschen ihr Leben. Dutzende sind noch auf der Intensivstation. Wieder berufen sich Massenmörder auf den Islam, und das in einer Situation, in der das Land, in der Deutschland tief gespalten ist in einer Diskussion über rapide steigende Flüchtlingszahlen, da Menschen aus islamisch geprägten Ländern Zuflucht hier in Europa suchen. Es gibt zwar Mahnungen aus fast allen Parteien, muslimische Flüchtlinge oder Muslime dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Aber kann die Diskussion über Zuwanderung und Flüchtlinge so geführt werden wie vor diesem Wochenende? Unter anderem darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich Martin Neumeyer. Er ist Landtagsabgeordneter der CSU in München und Integrationsbeauftragter der bayerischen Staatsregierung. Guten Morgen.
    Martin Neumeyer: Guten Morgen.
    Schulz: Wie gehen Sie heute Morgen, am Montag nach den Anschlägen von Paris, nach den islamistischen Anschlägen an Ihren Schreibtisch zurück?
    Neumeyer: Mit einem anderen Gefühl wie am Freitag. Es hat sich natürlich viel verändert. Und trotzdem ist Besonnenheit angesagt, weil ich denke, einen Pauschal- oder einen Generalverdacht kann man nicht machen. Das würde eher schädlich sein. Und wir wissen natürlich auch, dass viele Menschen zu uns kommen, weil sie vor diesen Kämpfern, vor diesen Ideologien weglaufen und zu uns kommen, um in Sicherheit zu sein. Aber gleichzeitig ist uns allen klar, dass viele oder manche dabei sind bei diesen Flüchtlingen, die nichts Gutes im Schilde führen, und das ist die Gefahr.
    "Integration bedeutet nicht nur Sprache"
    Schulz: Was bedeuten die Anschläge denn jetzt für das Miteinander zwischen Muslime und Christen?
    Neumeyer: Wir müssen darüber nachdenken, welche Chancen wir haben für die kommende Zeit, und da ist mit Sicherheit ein ganz großer Ansatz die Integration, Integration anzubieten, und ich habe das Gefühl, dass bei diesen Attentätern, wir wissen noch nicht alles, aber viele aus dem französischen Bereich kommen, mit Sicherheit die Sprache sprechen, aber ein Teil, der wichtiger wäre, der Teil der Integration nicht stattgefunden hat. Integration bedeutet nicht nur Sprache, das ist wichtig, aber dazu gehört Bildung und Teilhabe an der Gesellschaft. Das macht es nicht einfacher, aber das ist die einzige Chance, meiner Ansicht nach, um die Menschen für uns zu gewinnen, auch für unsere Werte zu gewinnen, das heißt auch in Schule, Kindergarten, Volkshochschule die Menschen zu überzeugen, nicht zu überreden, sondern zu überzeugen von unseren Werten. Und wenn man das zusammenfasst: Was am Freitag passiert ist, ist ja ein Kampf gegen unsere Werte, gegen unser Leben. Also muss ich hier ansetzen.
    Schulz: Jetzt haben wir bis zur Freitagnacht, bis zur Nacht auf Samstag diskutiert, schon seit Wochen und Monaten, über die Zahl von steigenden Flüchtlingen, die ins Land kommen, und es gibt natürlich die Mahnungen und Warnungen, diese Diskussionen nicht zu vermengen. Gleichzeitig können wir jetzt nicht aufhören, die Flüchtlingsdebatte zu führen. Was ändert sich durch Paris für diese Diskussion?
    Neumeyer: Die Flüchtlingsdebatte können wir nicht aufhören, weil die Flüchtlinge unterwegs sind und bereits bei uns da sind. Aber wir müssen uns ganz, ganz ernsthaft unterhalten über Obergrenzen. Wir müssen uns ganz ernsthaft unterhalten, wie Europa in der Zukunft ausschauen soll. Auch die europäischen politischen Auswirkungen: da geht es um die Debatte über die Außengrenze. Ich war an der mazedonisch-griechischen Grenze. Das ist die Außengrenze Schengen, also vom Schengen-Raum. Ich war eher überrascht, wie ohne optische Trennung hier eine Grenze da ist, und das ist eigentlich der Ansatz, den europäischen Weg, aber auch den deutschen Weg und die Diskussion mit der Bevölkerung ganz offen und ehrlich zu führen, die Bevölkerung aber auch in eine Wertedebatte zu führen, dass manche Dinge, die wir haben, sei es von Freiheit, von Frieden, von Demokratie, von Rechtsstaat, von Gleichberechtigung von Mann und Frau, dass das nicht selbstverständlich ist und tagtäglich erkämpft und dafür gearbeitet werden muss.
    "Trennung zwischen Flüchtlingen und Terror"
    Schulz: Wie soll die Integration, die Sie einfordern, denn klappen, wenn es jetzt aus Ihrer Partei schon wieder die Stimmen gibt? Finanzminister Söder hat sich gemeldet mit der Einschätzung, Paris ändere alles, die Zeit unkontrollierter Zuwanderung und illegaler Einwanderung, die könne so nicht weitergehen - also durchaus eine Verknüpfung beider Themen. Wie soll diese Integration dann gelingen, wenn es diese Vorbehalte gibt und die auch aus Ihrer Partei geschürt werden?
    Neumeyer: Es muss einerseits wirklich getrennt werden. Besonnenheit, Trennung zwischen den Flüchtlingen und diesem Terror.
    Schulz: Also Markus Söder hat übertrieben?
    Neumeyer: Es ist nicht richtig, wenn man das zusammenfasst. - Andererseits wird bei jeder Debatte, auch bei uns im Interview das mitspielen. Man kann nicht ganz, ganz stark trennen, auch im Gedanken und im Gespräch. Andererseits wäre es fatal, diese Menschen, die zu uns kommen, von vornherein in eine gewisse Szene zu lenken oder in eine gewisse Richtung zu lenken, die wir nicht wissen, nicht kennen. Deshalb muss man da wirklich besonnen reagieren und auch ganz ehrlich sagen, Paris ändert alles. Paris ändert viel! Paris ändert zum Beispiel die Gesprächssituation. Paris ändert hoffentlich auch die Einstellung der europäischen Politiker, um einfach vernünftige Lösungen für die Zukunft zu finden, und dazu zählt für mich auch eine wirkliche Wurzelbehandlung in diesen Ländern, sprich in den Ländern, wo Korruption und Hunger und Armut herrscht, aber auch eine Wurzelbehandlung bei dem IS.
    Schulz: Herr Neumeyer, nur dass ich es verstehe, dass wir es zusammenfassen. Ich verstehe Sie richtig: Söder hat Recht und Seehofer, der Söder ja zurückgepfiffen hat, der liegt falsch?
    Neumeyer: Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass man ganz klar und hart trennen muss zwischen diesem Terror, zwischen diesen Morden und der Flüchtlingspolitik in Deutschland. Andererseits gibt es gewisse Verwebungen, die wir nicht ganz auch aus der Debatte heraushalten können, aber das ist ja die Herausforderung der Politik, dies vernünftig zu lösen.
    "Dazu zählt, dass wir seriös diskutieren"
    Schulz: Und sehen Sie eine Perspektive, dass diese vernünftige Lösung dann auch gelingen wird?
    Neumeyer: Ja, die wird gelingen, weil die demokratischen Kräfte in Deutschland zusammenarbeiten müssen. Die demokratischen Kräfte in Deutschland müssen den richtigen Weg gehen. Dazu zählt, dass wir die Flüchtlingspolitik diskutieren, über Obergrenzen diskutieren, seriös, und über Kontingentierung diskutieren, aber nur im Zusammenhang mit der europäischen Politik, mit der Europäischen Union.
    Schulz: Meinen Sie damit die AfD, also mit den vernünftigen Kräften, die im Moment in Umfragen bei ungefähr acht Prozent liegen?
    Neumeyer: Nein, damit meine ich explizit nicht die AfD. Aber ich kann von vornherein auch die Debatte nicht ausschließen mit allen Menschen in Deutschland, die guten Willens sind.
    Schulz: Der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, der CSU-Landtagsabgeordnete Martin Neumeyer, heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Haben Sie ganz herzlichen Dank für dieses Interview.
    Neumeyer: Bitte. Auf Wiederhören.
    *Die Moderatorin spricht von 132 Menschen, Frankreichs Präsident Hollande hat am Nachmittag (16.11.) erklärt, dass es 129 Todesopfer bei den Terrorangriffen in Paris gegeben hat, Anm. der Red.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.