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Flüchtlingspolitik
"Ohne Deutschland wäre Österreich komplett im Flüchtlingsstrom versunken"

Österreich ist nach Ansicht des Europaabgeordneten Josef Weidenholzer (SPÖ) nicht in der Lage, sich um so viele Flüchtlinge zu kümmern, wie sie derzeit durch das Land reisen. "Alleine können wir das sicher nicht", sagte Weidenholzer im Deutschlandfunk. Deutschland dagegen sei sich seiner Verantwortung bewusst und entlaste Österreich.

Josef Weidenholzer im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Der österreichische Europaabgeordnete Josef Weidenholzer (SPÖ).
    Der österreichische Europaabgeordnete Josef Weidenholzer (SPÖ). (imago / Eibner)
    Thielko Grieß: Die Flüchtlingskrise bestimmt hierzulande die Schlagzeilen, bestimmt auch den Montagabend in Dresden. Darüber haben wir bereits berichtet. Aber sie bestimmt auch die Politik und die Schlagzeilen in unserem Nachbarland: beim Nachbarn Österreich. In Wien war gestern, am Sonntag, Landtagswahl. Die Sozialdemokraten regieren die österreichische Hauptstadt seit 1945 ununterbrochen. Die SPÖ bleibt stärkste Kraft, aber es ist knapper geworden für die SPÖ, denn die FPÖ, die Freiheitlichen haben deutlich gewonnen. Sie sind nun zweitstärkste Kraft. Das ist ein Trend, der österreichweit zu beobachten ist. Wien bestätigt ihn lediglich. Es hat ähnliche Tendenzen, ähnliche Ergebnisse bei vorangehenden Landtagswahlen schon gegeben. Die SPÖ und ihr Bürgermeister Häupl, der nun Bürgermeister bleibt, nehmen für sich in Anspruch, sie hätten in der Flüchtlingsfrage Haltung gezeigt, Haltung mit Herz, und damit ihr Wahlergebnis gerade noch so gerettet. Aber die SPÖ hat eben auch deutlich Stimmen verloren. Deshalb haben wir Josef Weidenholzer vor dieser Sendung angerufen, Mitglied des Europäischen Parlaments im Auswärtigen Ausschuss, dort auch im Ausschuss für Menschenrechte. Meine erste Frage an Ihn: Herr Weidenholzer, dann kostet die Flüchtlingskrise die Sozialdemokraten in Österreich also auch inzwischen gewaltig Stimmen, oder?
    Wie reagieren auf Rechtspopulismus
    Josef Weidenholzer: Na ja, es ist schon so: Wir haben in Österreich das Phänomen des Rechtspopulismus seit fast 30 Jahren, seit der Jörg Haider 1986 sich da zum ersten Mal an die Spitze geputscht hat, und es gab eigentlich immer wieder die Frage, wie reagiert man darauf. Die Sozialdemokraten haben einerseits die Strategie des Ausgrenzens probiert und sie haben aber immer wieder auch versucht, mehr oder minder den Argumenten der Rechtspopulisten nachzugeben, und haben, so würde ich einmal meinen, dadurch auch das Ganze verstärkt. Wir hatten in Österreich einige Regionalwahlen. Die Regionalwahlen im Burgenland beispielsweise wurden so geführt, dass man sich genau in diese Richtung bewegt hat und verloren hat. In der Steiermark hat man nichts gesagt, hat verloren. In Oberösterreich war die Sozialdemokratie weitgehend still, auch verloren. Auf diesem Hintergrund war das, was dem Michael Häupl gelungen ist, schon gewaltig, eine Entwicklung aufzuhalten, die eigentlich vorgegeben war, dass Wien als nächstes fallen wird.
    Grieß: Nun ist ja Wien auch ein besonderes Pflaster in Österreich, ein Alleinstellungsmerkmal, die Großstadt, die Hauptstadt, die Metropole. Wenn ich Sie das frage als Vertreter der österreichischen Sozialdemokraten, dann ist das eine ähnlich klingende Frage, wie ich sie auch deutschen Sozialdemokraten stelle. Wie sehr schmerzt denn dieser Spagat, in der Flüchtlingsfrage keine Lösungen zu haben und keine anzubieten?
    "Schier unglaubliche Zustände"
    Weidenholzer: In Österreich war es so: Man hat eigentlich geglaubt, lange Zeit das Problem totschweigen zu können, beide Augen zuhalten und dann wird es schon irgendwie gehen. Der Sommer war ein Sommer, wo eigentlich nichts geschehen ist. Dann gab es diese Ereignisse in Traiskirchen. Das ist ein österreichisches Flüchtlingslager, das vollkommen überfüllt war, mit Zuständen, die Bilder geliefert haben, die schier unglaublich waren. Die Leute haben auf der Straße geschlafen und so weiter. Und die Politik hat bis Mitte August benötigt, um darauf zu reagieren. Dann hat man das Problem erkannt.
    Grieß: Und vermutlich können Sie auch froh sein, dass viele Flüchtlinge gleich weiter wollten nach Deutschland und gar nicht in Österreich bleiben wollten.
    Weidenholzer: Na ja, es ist in der Tat so. Ich meine, dass wir sehr froh sein müssen und sehr dankbar sein müssen, dass Deutschland sich seiner Verantwortung bewusst ist und uns dabei entlastet. Ohne Deutschland wäre Österreich komplett in diesem Flüchtlingsstrom versunken. Das muss man auch mit aller Deutlichkeit sagen.
    Grieß: Sie kennen ja auch die Diskussion in Deutschland, die maßgeblich geprägt wird von der Diskussion im Freistaat Bayern, von der CSU. Möglicherweise kommt es demnächst in Deutschland auch zu einer restriktiveren Asylpolitik, zu Transitzonen. Dann wird es darum gehen, dass man Menschen auch wieder zurückschickt, womöglich auch nach Österreich. Würde das denn gehen?
    Kapazitätsgrenze erreicht
    Weidenholzer: Das könnte durchaus passieren. Ich glaube, Österreich ist zwar an seiner Kapazitätsgrenze angelangt.
    Grieß: Ach, jetzt schon?!
    Weidenholzer: Wir hatten schon im Sommer große Probleme, in den einzelnen Regionen genügend Quartiere zu finden. Das hat sich jetzt verstärkt. Mittlerweile sind es Behelfsunterkünfte, Zeltstädte oder große Industriehallen, die leergeräumt wurden, also alles Unterkünfte, die nicht für Dauer sind. Also Österreich ist hier sehr exponiert. Wie gesagt, Österreich ist sicher in der Lage, noch einige Flüchtlinge aufzunehmen, aber das Problem ist, das kann man nur gesamteuropäisch lösen. Die ganze Situation wird sich nur verbessern, wenn endlich diese Hotspots in Griechenland und Italien wirklich auch funktionieren.
    Grieß: Das wird noch eine ganze Weile dauern. Aber ist es nicht so, dass Österreichs Verantwortung da doch deutlich größer sein müsste, angesichts der Zahlen, die wir haben?
    "Alleine können wir das sicher nicht"
    Weidenholzer: Österreich kann eigentlich nur gemeinsam mit anderen verantwortungsbewussten europäischen Ländern versuchen, diese Dinge zu schultern. Alleine können wir das sicher nicht. Wir sind halt dank der Geographie das am meisten exponierte Land, würde ich mal sagen, der willigen Länder.
    Grieß: Da Sie über eine europäische Lösung sprachen und europäische Ansätze, Herr Weidenholzer, bräuchte es nicht sozusagen einen Ansatz der Pragmatischen? Sie können wahrscheinlich lange warten, bis die ungarische Regierung sich zu diesem Klub gesellt. Aber wäre es nicht vielleicht sinnvoll, ...
    Weidenholzer: Die werden sich wahrscheinlich dazugesellen.
    Grieß: Ja möglicherweise. Aber vielleicht finden Sie andere Partner und bräuchte es da nicht einen Ansatz zwischen den Hauptstädten, zwischen Wien und Berlin, um dort weiterzukommen?
    Weidenholzer: Ja sicher. Ich glaube, die Lösung liegt nach wie vor in der Region selber: Frieden sowieso, dann aber auch eine Unterstützung der Kapazitäten vor Ort. Mir haben die Leute dort wirklich erzählt, im Juli begann plötzlich der Exodus, wie sie gemerkt haben, dass ihre Unterstützung um die Hälfte reduziert wurde. Dann haben sie gesagt, okay, dann gehen wir weg.
    Grieß: Aber jetzt geht es ja um die Bewältigung der Leute, die auf dem Weg sind. Die kommen ja nun ohnehin schon an.
    Weidenholzer: Auf dem Weg haben wir das Problem Türkei.
    Grieß: Und wir stellen fest - bleiben wir mal bei Deutschland und Österreich, Herr Weidenholzer -, dass jede Region, jedes Bundesland, von denen Sie ja auch neun haben, ihren eigenen Stiefel macht. Das kann doch nicht die Lösung sein?
    "Alles sehr träge und sehr langsam"
    Weidenholzer: Jeder Bürgermeister macht seine eigene Lösung und das geht natürlich nicht. Aber wir hatten insgesamt in Österreich ein im Prinzip gut funktionierendes System, das auch noch in gewisser Weise belastbar ist, auch von den Summen, die wir bisher ausgegeben haben. Das sind keine wirklich exorbitanten Summen. Das kann man vorübergehend auch leisten. Aber man muss trotzdem einmal sich überlegen, was sonst noch passiert. Da haben wir diese Balkan-Route, die uns besonders betrifft. Österreich hat noch die Brenner-Route zusätzlich. Aber wenn wir nur bei der Balkan-Route bleiben, dann haben wir Hunderttausende Menschen, die da irgendwo sich noch bewegen, und ich würde einmal meinen, man muss einmal versuchen, auch dieses Tempo herunterzunehmen. Aber es ist halt alles sehr träge und sehr langsam.
    Grieß: Woran liegt das denn?
    Weidenholzer: Im Prinzip hätte man das Problem seit einem Jahr kommen sehen können, wenn man nur die Informationen, die man ja hatte, irgendwie geordnet hätte. So hat man einfach geglaubt, man kann das aussitzen, es wird eh nichts passieren, und in Wirklichkeit ist man jetzt in einer der größten Flüchtlingstracks seit dem Zweiten Weltkrieg drinnen.
    Grieß: Nun wäre es ja Zeit und Anlass, auch mal aufzuwachen. Wann passiert denn das?
    Weidenholzer: Ich hoffe, dass es jetzt in Wien passiert ist und dass man jetzt schon aktiver ist. Aber verstehen Sie, wenn Sie jetzt so apodiktisch fragen, dann kann ich Ihnen nicht versichern, dass es sofort passiert. Ich sehe viele positive Bewegungen, aber ich sehe nicht den wirklich großen Anlass. Der könnte wirklich jetzt nur darin bestehen, dass man endlich in Griechenland diese Hotspots wirklich ausbaut, und es geht auch darum, Möglichkeiten zu schaffen, dass Menschen, die in Lagern leben, auch dort um ihre Aufnahme nach Europa ansuchen können. Wir haben überhaupt keine Möglichkeiten für legale Einreise. Man zwingt die Leute mehr oder minder in einen Überlebenskampf, der drei, vier Wochen oft dauert, und sich da auf die Flucht machen. Dann würde man erstens das Schlepperwesen entscheidend bekämpfen und man würde auch viel humanere Möglichkeiten der Einreise schaffen.
    Grieß: Der Europaabgeordnete Josef Weidenholzer von den Sozialdemokraten in Österreich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.